Eine Freisingerin in Dunkerque (4)::Stille Nacht

Katharina Horban und ihre Gastfamilie bereiten sich in Dünkirchen auf Weihnachten vor

Von Katharina Horban, Dünkirchen

Sie ist riesengroß, ragt weit in den Himmel. Die drei großen Eingangsportale sind mit Engeln, Rittern, Hirten, Drachen und Königen verziert. Weiter oben sieht man Dutzende Bischöfe, die auf die Stadt hinabblicken. Es weht ein eisiger Wind in den Straßen, und jeder möchte möglichst schnell wieder in ein warmes Haus kommen. Aber auf dem Platz vor der Kathedrale von Amiens bleiben die Menschen stehen, und schauen auf. Sie ist die größte in ganz Frankreich, das Kirchenschiff ist über 40 Meter hoch.

An einem Sonntag im Dezember mache ich einen Ausflug mit meiner Familie in diese Stadt in der Picardie, wir sind wegen des Weihnachtsmarktes gekommen und besichtigen natürlich die Kathedrale. Schokolade, Lebkuchen, Honig, Maccarons, heiße Schokolade, Glühwein. Viele Händler bieten Spezialitäten ihrer Regionen an, der Provence, der Auvergne oder der Bretagne. So gibt es Schinken, Salami und riesige Käseräder. Stände aus dem Elsass sind auch da, hier findet man Flammkuchen, Lebkuchen und Bretzeln.

Ja, die bayerischen Brezn! Als ich das entdecke, kann ich es gar nicht glauben, weil ich Brezn immer mit meiner bayerischen Heimat verbinde. Für meine Gastfamilie sind Brezn und Würstchen der Inbegriff der deutschen Küche. Zwei Männer aus Quebec, Kanada, preisen lautstark ihr Ahornsirup-Eis an. Es schmeckt sehr gut und ist sehr klebrig. Sonst gibt es viel Kunsthandwerk, die Auswahl ist ähnlich wie in Deutschland. Vor dem Rathaus wurde eine Eisfläche aufgebaut, jetzt rutschen Groß und Klein übers Eis. Außerdem gibt es "Le sapin magique", den magischen Weihnachtsbaum, ein Karussell. Daneben stehen fünf Polizisten in Uniform, was so gar nicht in die vorweihnachtliche Stimmung passt. Aber nach den Anschlägen von Paris ist die Polizeipräsenz überall erhöht worden, in Bahnhöfen, Einkaufszentren und eben auf Weihnachtsmärkten merkt man das besonders. "Die Leute haben Angst, es ist nicht so wie letztes Jahr", meint mein Gastvater. Er ist froh, dass die Polizisten da sind, das gibt ihm ein Gefühl von Sicherheit.

france

Der Weihnachtsmarkt in Amiens zählt zu den schönsten in der Region. Dort gibt es sogar Brezn.

(Foto: Horban)

Am nächsten Wochenende sind wir eine internationale Familie, es ist das Weihnachtswochenende von Rotary für alle Austauschschüler dieser Gegend. Nachdem am Nachmittag gemeinsam in einer Indoorhalle geklettert wurde, feiern wir am Abend Weihnachten. Das Küchenteam hat ein großes, französisches Weihnachtsmahl für die etwa 60 Jugendlichen und Rotarier gekocht. Das hier ist die Generalprobe für das Weihnachtsessen in unseren Familien am 25. Dezember, denn wie es die Chefin des Distrikts so passend formuliert: "Die Franzosen essen an Weihnachten den ganzen Tag. Und wer dies das erste Mal erlebt, für den ist das nicht sofort einfach." Deshalb gibt es in Frankreich wohl keinen zweiten Weihnachtsfeiertag, am 26. Dezember ruhen sich alle von der Schlemmerei am Vortag aus.

Später, als auch der letzte fertig gegessen hat, ist es Zeit, die Geschenke aufzumachen. Vor dem Weihnachtsbaum sind sie aufgereiht. An den Wänden haben alle ihre Flaggen aufgehängt, es ist keine gewöhnliche Weihnachtsfeier. Vor einem Monat etwa haben wir "Secret Santa" organisiert, jeder hat einen Namen bekommen, für den er ein Geschenk besorgen musste. Ich habe einen Rotarier gezogen und eine Riesenschachtel voll Butterplätzchen gebacken. Nach der Bescherung geht es weiter mit der Talentshow. Jeder, der Lust hatte, hat eine Nummer vorbereitet. Ich fange an: Auf der Querflöte spiele ich deutsche, englische und spanische Weihnachtslieder. Die Jugendlichen aus Lateinamerika freuen sich über "Feliz Navidad". Aber bei den Klassikern "Jingle Bells" und "We wish you a Merry Christmas" tobt der Saal, alle singen lautstark mit. Das deutsche Weihnachtslied "Stille Nacht" kennen alle, englische und französische Versionen vermischen sich miteinander. Nach mir tanzen die drei japanischen Mädchen in ihren Kimonos, dann singt ein Mädchen aus Neuseeland einen selbst geschriebenen Song über das Leben als Austauschschüler.

In der letzten Schulwoche vor den Ferien fahre ich für zwei Tage nach Arras. Der dortige Rotary-Club hat mich zu der "l´inauguration du monument des fraternisations", also der Einweihung eines Denkmals eingeladen, das an die Verbrüderung der deutschen und französischen Soldaten im Ersten Weltkrieg erinnert. Grüne leicht hügelige Felder, dazwischen der Friedhof und gleich daneben steht ein riesiges weißes Zelt. Die Warteschlange ist lang, am Eingang wurden Sicherheitstüren aufgestellt, wie es sie an jedem Flughafen gibt. Zahlreiche Politiker, darunter der neu gewählte Ministerpräsident Xavier Bertrand der Region Nord-Pas-De-Calais-Picardie und Francois Hollande kommen. Dann schreitet der Zug von Politikern, Ehrengästen, Militärgarden in das Festzelt hinein. Der Bürgermeister des Dorfes beginnt als Gastgeber.

Kathi Horban

Katharina Horban berichtet für die SZ aus Frankreich.

(Foto: oh)

Weiter geht es mit diversen Lokalpolitikern, bis dann schließlich Christian Carion mit seiner Rede an der Reihe ist. Er ist der Regisseur des Films "Joyeux Noël", er hat das Weihnachten 1914 an der Front verfilmt. Deutsche, französische und britische Soldaten haben sich verbrüdert und entschlossen sich zu einem Waffenstillstand. Sie feierten Weihnachten in den Schützengräben und vergaßen den Krieg für diesen einen Abend. Daran soll an diesem Tag mit der Einweihung des Denkmals erinnert werden. Dann hält Hollande seine Rede. Am Anfang dankt er allen Beteiligten für die Planung und Ausführung des Projekts, und erzählt von seinem Großvater, der in Nordfrankreich Soldat im Ersten Weltkrieg war. Immer wieder bezieht er sich auf die Anschläge vom 13. November. Er sagt, dass die Soldaten von damals niemals vergessen werden dürfen, sie starben für Europa. Und wenn dieses Europa heute in Gefahr ist, muss man für Europa kämpfen, genau wie es unsere Vorfahren vor hundert Jahren taten.

Nach seiner Rede ist der offizielle Teil zu Ende, es werden Cocktails und Fingerfood serviert. Die ganzen wichtigen Politiker reisen sofort ab. Ein paar bleiben, mit ihnen rede ich. Xavier Bertrand, der neu gewählte Ministerpräsident, ist live in die Nachrichten zugeschaltet. Mit Christian Carion, dem Regisseur, wechsele ich ein paar Worte. Nach dem Ende der Veranstaltung fahren wir zu dem nahe gelegenen deutschen Soldatenfriedhof. Der Soldatenfriedhof von Neuville-Saint-Vaast ist der größte deutsche aus dem Ersten Weltkrieg. Über 44 800 gefallene Soldaten liegen dort. Das Gefühl, wenn man dort steht, kann man nicht beschreiben.

Wenige Tage vor Weihnachten auf dem Weihnachtsmarkt von Gravelines: Nur noch wenige Minuten, viele haben sich vor dem Glockenturm versammelt. Die Kinder schauen gespannt nach oben. In Nordfrankreich gibt es in fast jeder Stadt einen Belfried und "la descente du Père Noël" ist ein willkommenes Weihnachtsspektakel.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: