Schlechte Noten:Sitzenbleiben gibt's nicht mehr

Südwest-FDP - Sitzenbleiben abschaffen

Kurz vor den Sommerferien üben Eltern und Lehrer heftige Kritik am Sitzenbleiben und fordern bessere individuelle Förderung.

(Foto: dpa)

An einigen Freisinger Landkreisschulen wird die Ehrenrunde quasi abgeschafft. Die Schüler sollen stattdessen stärker individuell gefördert werden, doch die Personaldecke ist und bleibt dafür zu dünn.

Von Gudrun Regelein, Landkreis

Das Schuljahr ist vorbei: Am Freitag bekommen 1,52 Millionen Schüler in Bayern ihre Jahreszeugnisse. Überraschungen birgt das kaum noch - die Noten sind seit längerem bekannt. Eltern von Schülern, die das Klassenziel nicht erreicht haben und ein Schuljahr wiederholen müssen, haben bereits einen Brief bekommen. Dennoch: "Der Moment, in dem ein Schüler dann tatsächlich sein Zeugnis in den Händen hält, ist ein schlimmer", sagt Nicole Storz, Leiterin des Josef-Hofmiller-Gymnasiums in Freising. Kurz vor den Sommerferien üben Eltern- und Lehrervertreter heftige Kritik am Sitzenbleiben - und fordern, stattdessen die individuelle Förderung der Schüler zu intensivieren.

Ein Kind, das sitzen bleibt, fühle sich als Versager, erklärt Kerstin Rehm, Kreisvorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV) und Leiterin der Grundschule Haag. Auch sie hält die Praxis des Wiederholens einer Schulklasse für "nicht ideal". Rehm findet: "Besser wäre eine individuelle und intensive Förderung." Allerdings müssten dafür dann zwei Lehrer in jeder Klasse unterrichten, um die Defizite einzelner Schüler auffangen zu können - und dazu fehle es an Kapazitäten. "Die Personaldecke war und ist zu dünn", sagt Rehm. Grundsätzlich gehe man an Grundschulen mit dem Thema Sitzenbleiben äußerst sensibel um. "Ich selber habe das klassische Durchfallen noch nicht erlebt, es hat sich immer um ein freiwilliges Wiederholen gehandelt", berichtet die Grundschullehrerin. Nach ihrer Auskunft erfolgt es immer in Absprache mit den Eltern. Sinnvoll sei es zum Beispiel bei einer längeren Krankheit.

Dauerhaft schlechte Noten können jedoch zur Belastung werden

Andersherum können dauerhaft schlechte Noten eine riesige Belastung bedeuten. "Das ist sehr zweischneidig", sagt Kerstin Rehm. Eigentlich müsse man das komplette System der Leistungsmessung und Bewertung neu überdenken. Nicht Defizite sollten aufgezeigt werden, sondern Stärken und individuelle Lernfortschritte hervorgehoben werden. Kerstin Rehm resümiert: "Es geht doch darum, Menschen für das Leben stark zu machen."

Ein erklärter Gegner des Wiederholens ist Hubert Ettinger, Leiter der Mittelschule Lerchenfeld: "Bei uns wird das nicht praktiziert", sagt er. Die Schüler kommen in der 5. Klasse in die Mittelschule, bis zur 9. Klasse ist der Lehrplan spiralenförmig aufgebaut. "Das bedeutet, dass Schüler mit Defiziten auch in der nächsthöheren Klasse die Möglichkeit haben, den Stoff zu wiederholen", erklärt Ettinger. Sitzenbleiben bringt in seinen Augen nichts - außer, dass der Schüler ein Jahr älter ist und nicht mehr in den Klassenverband passt. Aus "pädagogischen Gründen" lasse man also auch Schüler mit schlechten Noten aufsteigen. Durch Fördermaßnahmen wird dann versucht, zu helfen.

Die Mittelschule in Lerchenfeld wird von Kindern und Jugendlichen aus 33 Nationen besucht wird. Wegen ihres hohen Migrantenanteils hat sie nach Angaben von Hubert Ettinger zwölf zusätzliche Förderstunden genehmigt bekommen. "Der intensive Unterricht in kleinen Gruppen bringt mehr, als ein Jahr zu wiederholen", da ist sich der Schulleiter sicher.

An der Freisinger Realschule sollen so wenig Schüler wie möglich sitzenbleiben

An der Karl-Meichelbeck-Realschule Freising hat man das Ziel ausgerufen, dass so wenig Schüler wie nur möglich sitzenbleiben. "Sie sollen erfolgreich sein können", sagt Schulleiterin Christine Obermaier. Dementsprechend gering ist die Wiederholerquote der Realschule: Laut Obermaier lag sie bei gerade einmal 1,9 bis drei Prozent. Derzeit besuchen rund 1 300 Schülern die Freisinger Schule. Christine Obermaier selbst ist seit 40 Jahren im Schuldienst. Sie kann von Fällen berichten, bei denen das Wiederholen einer Klasse durchaus geholfen hat: "Die haben dieses Jahr noch gebraucht." In anderen Fällen hat sie dagegen beobachtet, dass das Wiederholen "nicht zum gewünschten Erfolg führte".

Zu einer differenzierten Betrachtung rät deshalb auch Nicole Storz. "Die Entscheidung muss jedem Schüler individuell gerecht werden", sagt die Leiterin des Josef-Hofmiller-Gymnasiums. Und weiter: "Die Frage ist, wie es weitergehen kann und was für das Kind gut ist." Das aber müsse man sich immer im Einzelfall anschauen - verallgemeinern könne man das überhaupt nicht.

Sobald die Noten bekannt sind, finden für gewöhnlich Konferenzen statt. Dort wird nach Auskunft von Nicole Storz dann auch diskutiert, ob das Vorrücken auf Probe im konkreten Fall Sinn macht - allerdings nur bei Schülern, die eine reelle Chance haben, ihre Wissenslücken bis Mitte Dezember zu schließen. In Gymnasien hätten Schüler der Mittelstufe aber auch durch das so genannte Flexi-Jahr die Möglichkeit, eine Jahrgangsstufe in zwei Jahren zu durchlaufen - oder eine Klasse freiwillig zu wiederholen.

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