Ein in großen Lettern geschriebenes "Danke" klebte am Morgen nach der Kommunalwahl quer über den Plakaten des SPD-Bürgermeisterkandidaten in Marzling. "Ich wollte mich unbedingt bei den Wählern bedanken. Ich habe mich sehr über mein gutes Ergebnis gefreut", sagt Thomas Sellmeir. "Und ich bin davon überrascht gewesen."
Der 38-Jährige ist ein politischer Quereinsteiger: Erst in letzter Minute ließ sich Sellmeir als Bürgermeisterkandidat aufstellen. Und holte im ersten Wahlgang nach Martin Ernst (CSU und Freie Wähler) die meisten Stimmen. "Für die 53 Tage, die ich mich erst politisch engagiere, bin ich mit meinem Ergebnis happy", sagte Sellmeir am Wahlabend, als er sein Ergebnis erfuhr. Lange lieferte er sich mit Siegfried Kleidorfer (Parteifreie Bürger) ein Kopf-an-Kopf-Rennen - und gewann knapp: Er erhielt 26,6 Prozent der Stimmen, Kleidorfer 26,2 Prozent und Ernst 47,2 Prozent.
Eigentlich wollte er die Tage bis zur Stichwahl am Sonntag nutzen, um noch einmal die Werbetrommel zu rühren und Wählerstimmen zu gewinnen. Aber wegen der ständig wachsenden Zahl an vom Coronavirus infizierten Menschen und den momentan geltenden Ausgangsbeschränkungen hat er seine Pläne geändert. Der Wahlkampf laufe jetzt fast nur noch in den sozialen Medien, sagt er. Momentan gebe es andere Prioritäten. Sellmeir ist Mitinitiator der Gruppe "Marzling hilft zusammen", die in der Corona-Krise alte oder gebrechliche Menschen, Ärzte und Pflegekräfte unterstützen will, etwa Einkäufe erledigt oder Apothekengänge übernimmt. 50 freiwillige Helfer haben sich innerhalb weniger Tage schon bei ihm gemeldet Das freue ihn sehr, zeige es doch, dass die Gemeinschaft in der Gemeinde funktioniere.
Eigentlich ist Sellmeir Leiter einer Eventstruktur-Firma, viel Arbeit hat er immer, momentan sogar eine 70- bis 80-Stunden-Woche. Viel Schlaf bekommt er in diesen Tagen nicht, auch seine beiden kleinen Kinder sind wegen der geschlossenen Betreuungseinrichtungen momentan zuhause, um die beiden kümmern sich seine Frau und er. Vor ein paar Tagen war er dann doch noch nachts in der Gemeinde unterwegs, um wenigstens ein paar Wahlplakate aufzuhängen und Flyer in den Briefkästen zu verteilen. "Gestalten statt verwalten" steht da neben einem Foto von ihm. Und: "Zukunft wählen war noch nie so einfach." Was aber will er, der politische Newcomer, anders, besser machen? Ganz wichtig sei ihm mehr Transparenz, so Sellmeir. Der Bürger soll mehr Informationen in kürzerer Zeit bekommen: aus dem Rathaus, der Gemeinde und den Vereinen. Geschehen soll dies mit einer Marzling-App. Anderer wichtiger Punkt für ihn: Eine langfristige Planung. In den kommenden zehn Jahren werde die 4000-Einwohner-Marke geknackt, das müsse man schon jetzt in die Pläne einbeziehen. "Man darf nicht nur von Haushalt zu Haushalt denken." Als drittes Ziel nennt er die Schaffung von neuem Wohnraum, der bezahlbar sein müsse.
Thomas Sellmeir ist ein gebürtiger Marzlinger, seine Familie lebt seit Generationen in der Gemeinde. Er sei hier verwurzelt, auch wenn er beruflich viel unterwegs sei, sagt er. Politisch habe er sich bislang noch nicht engagiert, auch gehört er keiner Partei an. "Aber ich habe immer sehr aufmerksam die Entwicklungen in der Gemeinde verfolgt." Nicht immer fand er diese gut. Das sei auch der Grund gewesen, sich so kurzfristig um das frei werdende Amt des Bürgermeisters zu bewerben. "Ich möchte mitwirken, dass Marzling anders, lebenswerter gestaltet wird", sagt er.
Die Chance, zukünftig die Gemeinde politisch mitzugestalten, hat er bereits. Er wurde als Listenführer der SPD in den zukünftigen Gemeinderat gewählt. "Wenn ich dort auch als neuer Bürgermeister sitzen würde, würde ich mich natürlich umso mehr freuen", sagt er lachend. Dass das eine sehr sportliche Aufgabe ist, weiß auch er. "Ich bin Realist." Falls er bei der Stichwahl die meisten Stimmen bekäme, wäre das für ihn ein "Überraschungssieg". Viele Gedanken macht er sich über den Wahlausgang nicht, momentan sei die Corona-Krise auch für ihn die tägliche Herausforderung. "Ich lasse das jetzt auf mich zukommen. Schauen wir mal, was der Sonntag bringen wird."