Ein Jahr nach dem Skandal um Müller-Brot:Bäcker unter Generalverdacht

Filiale der Bäckereikette Müller-Brot

Der Hygieneskandal bei der Bäckereikette Müller-Brot hat die gesamte Branche unter Druck gesetzt.

(Foto: dpa)

Mäusekot und tote Schaben: Vor einem Jahr sind gravierende Hygienemängel bei Müller-Brot aufgeflogen. Die Backbranche ist seither unter Druck, die Behörden kontrollieren schärfer und machen Verstöße publik. Vor allem Discounter schauen genauer hin, woher sie ihre Semmeln bekommen.

Von Katja Riedel

Für Armin Juncker gibt es ein Davor und Danach, und der Wendepunkt hat einen Namen: "Müller-Brot". Juncker ist Deutschlands oberster Großbäcker, er steht an der Spitze des Verbandes, in dem die industriellen Bäckereien organisiert sind. Und Juncker sagt: "Müller-Brot war ein Hallo-wach für die gesamte Branche. Ein heilsamer Schock, und zwar für die Unternehmer, die Mitarbeiter, aber auch die Kunden."

Ein Schock, der am Ende eines Hase-und-Igel-Spiels stand, das sich die ehemaligen Müller-Brot-Verantwortlichen um Mehrheitseigner Klaus Ostendorf über viele Monate mit der Lebensmittelüberwachung lieferten und das am 30. Januar vergangenen Jahres mit dem Produktionsstopp ein jähes Ende fand.

Der Fall Müller-Brot hat vor genau einem Jahr eine ganze Branche unter Verdacht gestellt - und den Handel genauso wie die Behörden gezwungen, noch genauer hinzuschauen als zuvor. In den Monaten nach dem Hygieneskandal in der Neufahrner Backfabrik standen die Unternehmen unter Dauerdruck: Denn nicht nur die Prüfer der Behörden, der Landratsämter, standen häufiger auf der Matte, sondern vor allem auch die großen Discounter, die mittlerweile 51 Prozent aller Backwaren in Deutschland verkaufen, für die Großbäcker also unverzichtbare Kunden sind. Vor Müller-Brot hatten sie sich auf das internationale Gütesiegel des Handels, den International Food Standard (IFS), verlassen.

Misstrauen und Kontrolle

Der Fall Müller-Brot stürzte nun auch den IFS in eine tiefe Vertrauenskrise. Hatte doch die Neufahrner Backfabrik vom Prüfer einer Zertifizierungsstelle noch Bestnoten erhalten, als die Kontrolleure des Freisinger Landratsamts schon lange Mängellisten führten und als die Landshuter Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen Verstoßes gegen das Lebensmittel- und Futtermittelgesetz aufgenommen hatte. Nun schickten die Discounter stattdessen ihre eigenen Kontrolleure in die Backfabriken - und zwar jeder einzeln.

Weil bis zu 20 Kontrollen in zwei Monaten kein Unternehmen zeitlich verkraften kann, haben sich die IFS-Organisation und der Verband der Großbäcker im Herbst zusammengesetzt und die Hygienestandards reformiert. Die Bäckereien können sich nun nicht mehr aussuchen, welche Prüfstelle sie zertifiziert. Sie zahlen zudem die Prüfgebühr nicht mehr direkt, sondern über den IFS. Kontrollen werden außerdem nicht mehr angekündigt, die Prüfer melden sich erst, wenn sie schon kurz vor dem Werkstor stehen.

Ein freiwilliger Probelauf sei vielversprechend verlaufen, sagt Armin Juncker. Wer früher gut gewesen sei, bleibe dies auch jetzt. Und wer eher im mittleren Bereich angesiedelt sei, erfahre dies nun noch direkter. Müller-Brot müsse ein Einzelfall bleiben, "wenn heute irgendetwas auffällt, steht sofort die Welt still", sagt Juncker.

Niemand drückt mehr ein Auge zu

Auch die Behörden schauen bundesweit inzwischen genauer hin. Ein Auge drücke niemand mehr zu, sagt Peter Störling, Referent für die Backbranche bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). "Die Prüfer gehen jetzt auch in Norddeutschland auf die Knie und schauen auf und unter die Schränke."

Und das fand sich zuletzt auch in der Presse wieder: Der nordrhein-westfälische Verbraucherschutzminister Johannes Remmel (Grüne) machte im vergangenen April publik, dass in den dort überprüften Betrieben zum Teil erschreckende Zustände herrschten: 2010 und 2011 hätten 227 Routinekontrollen in 212 Fällen Nachkontrollen erforderlich gemacht.

Lebende Mäuse und eingebackene Schaben

In einer Großbäckerei im Landkreis Olpe seien lebende Mäuse in der Backstube und eingebackene Schaben in den Waren gefunden worden, sagte der Minister. Auch in Bayern blieb Müller-Brot nicht der einzige Fall des Jahres: Die Bäckerei Biendl und Weber in Donaustauf, die mittlerweile insolvente Großbäckerei Heeg in Alzenau, die Heinz KG in Altdorf - hier stellten die Behörden Hygienemängel fest.

Die Spezialeinheit des Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) überprüfte im vergangenen Jahr 46 Bäckereien bei insgesamt 63 Kontrollen. Wer dabei mehr als nur unerhebliche Verschmutzungen aufwies, bekam erneut Besuch. Bei 20 der 63 Kontrollen stellten die Prüfer erhebliche Mängel fest. Darunter sei jedoch kein Fall, der an die Missstände bei Müller-Brot heran reiche, heißt es aus dem LGL.

Insgesamt erschienen die Prüfer von LGL und Landratsämtern 150.000-mal bei 95.000 Lebensmittelbetrieben, darunter 3000 Bäckereien. Letztere hätten 2012 besonders im Fokus gestanden, "in noch stärkerem Maß als bisher".

Behörden reden Klartext

Seit Müller-Brot trauen sich die Behörden auch, Ross und Reiter offen zu benennen. Mit dem Verbraucherinformationsgesetz haben die Landratsämter seit September mehr Rechtssicherheit und dürfen Verbraucher auch dann informieren, wenn noch keine Gesundheitsgefahr besteht, sondern Kunden schlicht lieber nichts essen möchten, was unter Bedingungen produziert worden ist, die man als eklig empfindet.

Wenn das zu erwartende Bußgeld 350 Euro überschreitet, dürfen die Kreisbehörden die Namen veröffentlichen. Endlich habe man nun die Möglichkeit, die Öffentlichkeit zu informieren, freut man sich im Landratsamt Freising, das für die Müller-Brot-Fabrik in Neufahrn zuständig ist. Weil sich aber zumindest in München zuletzt immer wieder Betroffene zu Unrecht an den Pranger gestellt fühlten und Klage führen, entschied sich etwa das Münchner Kreisverwaltungsreferat, zunächst einmal keine Namen mehr öffentlich zu machen, bis eine Lösung gefunden ist.

Im Freisinger Landratsamt, das den Fall Müller-Brot gemeinsam mit dem LGL publik gemacht und mit dem Produktionsstopp die schärfste Waffe überhaupt gezogen hatte, fühlt man sich ein Jahr danach im eigenen Vorgehen bestätigt. Müller-Brot habe einen "immensen Arbeitseinsatz" bedeutet, sagt Sprecherin Eva Dörpinghaus. In ihrer fachlichen Arbeit sieht sich ihre Behörde voll und ganz bestätigt, sie habe viel Lob bekommen. Strenger seien die eigenen Kontrollen durch Müller-Brot nicht geworden.

Hygiene in den Backbetrieben stellen nicht nur die Behörden, sondern auch die Gewerkschaft NGG in diesem Jahr an oberste Stelle: Ihr jährliches Backforum im Februar heißt darum "Sauber bleiben" - auch, um Arbeitsplätze zu erhalten. "Das, was Müller-Brot gemacht hat, hat in der Branche eine Welle geschlagen. Jetzt sind alle sensibler geworden", sagt Bäckerei-Referent Störling.

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