Die Reihe "Heimatgeschichten" hat einen neuen Namen erhalten: Unter dem Titel "Zwischen Isar und Abens" veröffentlicht die Heimatpflege im Landratsamt Freising zukünftig in loser Reihenfolge Beiträge, die sich mit der Geschichte, der Kultur und dem Brauchtum im Landkreis Freising beschäftigen. Diesmal geht es um eine Weihnachtsaktion der US-Armee aus dem Jahre 1952, deren Auftakt in Freising stattfand, der Titel: "Nikolaus im Landeanflug".
Am 5. Dezember 1952 herrschte in Freising gespannte Erwartung: Der heilige Nikolaus hatte sein Kommen für diesen Tag angekündigt. An und für sich wäre das für diese Jahreszeit nichts Besonderes gewesen. Doch in diesem Jahr aber wollte der heilige Wohltäter erstmals ein hochmodernes Verkehrsmittel nutzen. Dutzende von Kindern und Jugendlichen waren von 11 Uhr an auf das ehemalige Werksgelände der alten Ziegelei Steinecker geströmt, um den Heiligen zu empfangen. An dieser Stelle steht heute das Marriott Hotel. Doch der Nikolaus hatte kurzfristig umdisponiert. Deshalb ging es hinauf zum Pallotti-Heim, wo sich bereits die Schwestern des Kinderheimes mit ihren Zöglingen und die Freisinger Waisenhausreferentin Hella Kirchberger eingefunden hatten.
Um 12 Uhr war es endlich soweit: Unter dem Jubel der Kinder schwebte Sankt Nikolaus mit einem Helikopter der US-Armee ein. In der sogenannten Goldfischglaskabine des Hubschraubers vom Typ Bell 47 konnte man ihn schon von Weitem gut erkennen: Es war diesmal nicht der fromme Bischof Nikolaus mit Stab und Mitra, sondern ein draufgängerischer Santa Claus, der Freising seine Aufwartung machte. Angetan mit einem langen weißen Bart steuerte er in rot-weißer Montur höchstpersönlich das Luftfahrzeug.
Die spektakuläre Landung des ersten Weihnachtsmannes in Freising bildete im Jahr 1952 den Start der "Operation Christmas" in Bayern. Die Benefizaktion wurde erstmals in diesem Jahr weltweit von der US-Air Force durchgeführt. Daran erinnert übrigens der Film "Alles Gute kommt von oben", der kürzlich bei einem Streaming-Dienst erschienen ist. Die "Operation Christmas" kam elternlosen und bedürftigen Kindern zu Gute. Sie erhielten von den US-Militärs Lebensmittel und Spielsachen geschenkt. Während über den Inseln des Pazifik die Air Force ihre Geschenke abwarf, bescherten in Deutschland Piloten in Gestalt des Santa Claus die Kleinen.
Die Projektleitung für Bayern teilten sich zivile und militärische Kräfte. Chester S. (Jim) Wright, der Beauftragte der US- Regierung für München, hatte die Idee aus den Vereinigten Staaten nach Deutschland mitgebracht. In den Vereinigten Staaten beschenkten nämlich bereits seit 1914 Wohltätigkeitsorganisationen unter dem Motto "Give every child a Christmas" Kinder aus armen Familien alljährlich zur Weihnachtszeit. Colonel Ben Funk, Kommandeur des Erdinger Air Depot, und seine Frau Judy, eine ehemalige Hollywood-Schauspielerin, planten die strategische Umsetzung. Und so erhoben sich in den ersten Dezemberwochen des Jahres 1952 sechs Helikopter vom Erdinger Air Depot der US-Armee in die Lüfte. Insgesamt 97 bayerische Waisenhäuser sollten angeflogen und etwa 10 000 Kinder bedacht werden.
Mr. Wright und Colonel Funk ließen es sich nicht nehmen, bei der Auftaktveranstaltung der Bescherungsaktion in Freising mit dabei zu sein. Bereitwillig stellten sie sich auch den Fragen der anwesenden Journalisten. Und die waren in großer Besetzung nach Freising gekommen. Neben den Vertretern der Lokalpresse hatte sich auch ein Radioreporter des Bayerischen Rundfunks nach Freising begeben. Die Redaktion der Wochenschau "Welt im Bild" entsandte dazu ein Kamerateam nach Freising, das die Ereignisse filmte. Bereits am nächsten Tag lief der Beitrag in den deutschen Kinos. Dieser 40-sekündige Film hat sich bis heute im Bundesarchiv erhalten. Das interessante Zeitdokument ist auf dem YouTube-Kanal des Landratsamtes Freising unter https://lrafs.de/nikolaus zu sehen.
Colonel Funk machte in den folgenden Jahren Karriere bei der US-Armee und brachte es bis zum Generalmajor. Nach seiner Militärzeit arbeitete er für die Raumfahrtindustrie. Hochbetagt starb Ben Funk mit 98 Jahren im Jahr 2012. Was aus den Freisinger Kindern wurde, die mit Begeisterung und Ehrfurcht die Geschenke des Santa Claus entgegennahmen, ist nicht bekannt, noch nicht. Wer die gefilmten und fotografierten Personen oder vielleicht sogar sich selber erkennt, kann sich per E-Mail an besucherdienst@kreis-fs.de im Landratsamt melden. Es wartet eine kleine Überraschung.