Ehemaliger Bürgermeister:Von Eching nach Madagaskar und zurück

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Joachim Enßlin hat als Bürgermeister eine Mustergemeinde geschaffen, als Geschäftsführer Messen organisiert und als Präsidentenberater Reden geschrieben. Aktuell kümmert er sich um Entwicklungshilfe - und um Europa.

Alexandra Vettori, Eching

1968 ist Joachim Enßlin mit Frau und kleiner Tochter von München nach Eching gekommen, der damals noch günstigen Mieten wegen. Vier Jahre später war er Bürgermeister und hat aus Eching in 20 Jahren eine Vorzeigegemeinde gemacht. Er war Chef der Messe München, hat den Präsidenten von Madagaskar beraten, und er war dabei, als mit Sebastian Thaler vor zwei Jahren ein Bürgermeisterkandidat gekürt wurde, der mittlerweile im Amt ist.

Sie waren 20 Jahre lang, bis 1992, Bürgermeister von Eching. Was zählen Sie zu ihren größten Erfolgen?

Enßlin: In 20 Jahren kommt viel zusammen ( lacht). Ich zähle dazu das Freizeitgelände am Echinger See, Teil eines Grüngürtels mit Kleingärten, Friedhof und Obstwiesen. Und den Wahlkampf von 1971: Die SPD hatte drei Gemeinderäte, unser Motto war "10 plus 1", also zehn Räte plus Bürgermeister, weil es 20 Sitze gab. Und wir haben zehn Gemeinderäte bekommen! Wir hatten die absolute Mehrheit, und in den folgenden Wahlperioden immer noch eine Mehrheit. Eching war eine der ersten Kommunen Bayerns mit Gemeindeentwicklungsprogramm. Ich habe das Gutachten Münchner Norden initiiert, um die nördliche Region aufzuwerten und Negativeinrichtungen wie den Standortübungsplatz zu verhindern, was ja auch erreicht wurde.

Wir haben das "Echinger Modell" für neues Bauland entwickelt, wonach 50 Prozent des Nettobaulands zum Preis von etwa 50 Prozent des künftigen Verkehrswertes an die Gemeinde abgegeben werden müssen. Dieser Preisvorteil wurde an Echinger Familien weiter gegeben, so sind um die 300 begünstigte Reihenhäuser und 100 Sozialwohnungen entstanden. Wir wurden ausgezeichnet und hatten viele Besuchergruppen da.

Es sind auch viele Einrichtungen entstanden..

Ja, das Bürgerhaus, die Musikschule, das Alten- und Service-Zentrum, das Jugendzentrum, die Bücherei, der Bürgersaal in Dietersheim, Kindergärten, die Dreifachturnhalle und die kürzlich leider abgebrannte Tennishalle.

Nach 20 Jahren wollten Sie aber nicht mehr?

1990 war ich noch mit 79 Prozent gewählt. Aber wenn man 20 Jahre Bürgermeister ist und mit 29 angefangen hat, sollte man sich noch einmal auf Neues einlassen. Und dann kam die Chance, Geschäftsführer der Messe München zu werden. Zum reichen Aufgabenspektrum gehörte es, Messeveranstaltungen zu optimieren und zu internationalisieren. Da die Märkte sich wandeln, muss man dauernd schauen, dass die Konzeptionen passen und die richtigen Aussteller und Besucher kommen.

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Joachim Enßlin hat lokal wie auch international Spuren hinterlassen

Und was kam dann?

Nach zehn Jahren sehr interessanter, aber auch sehr stressiger Messetätigkeit wollte ich mehr Zeit für Familie und persönliche Interessen haben. Als ich gefragt wurde, ob ich Berater des Präsidenten von Madagaskar werden will, habe ich zugesagt. Zwei Drittel meiner Zeit habe ich in Madagaskar gelebt, meine Frau kam mich besuchen. Ich hatte ein Büro im Präsidentenpalast und eine Wohnung in einer riesigen Villa gleich daneben. Die habe ich allerdings bald aufgegeben, um Platz zu machen für den neuen Anti-Korruptionsausschuss, eines der ersten Ergebnisse meiner Arbeit. Die wichtigsten Aufgaben waren, die Richtlinien der Politik zu entwickeln - und das Schreiben der Reden für den Präsidenten, es waren weit über 100 insgesamt. Nach fünf Jahren, in denen ich versucht habe, vieles anzustoßen, hat es mich aber wieder in die Heimat gezogen, zur Familie, zu den Freunden, zum Leben in Eching.

So waren sie bereit für den Echinger Arbeitskreis Entwicklungshilfe...

Den haben wir schon zu meiner Zeit als Bürgermeister Mitte der achtziger Jahre gegründet, zusammen mit den ehemaligen Entwicklungshelfern Josef Filser und dem Ehepaar Pflügler und Rolf Lösch. Josef Filser war Metzger und hat in Peru eine Leberkäse-Herstellung aufgebaut. In dem Ort, Pachar, gab es Probleme mit dem Trinkwasser. Dort haben wir dann mit viel Hilfe der Bewohner in 3000 Metern Höhe eine Quelle gefasst und ein Trinkwassernetz aufgebaut, das heute noch funktioniert. Wir haben eine Brücke gebaut und eine Schule mitfinanziert, die heißt heute immer noch "Eching". Seit 15 Jahren ist der Arbeitskreis vor allem in Madagaskar tätig. Wir haben dort mittlerweile an die 90 Brunnen mit Trinkwasser für über 20 000 Menschen gebaut und mehrere Schulen finanziert. Zur Zeit überlegen wir, wie wir den Menschen, die weitgehend auf Selbstversorgung ausgerichtet sind, helfen können, höhere Erträge zu erzielen.

Und nebenbei ziehen Sie gegen den Freistaat vor Gericht....

Auf die Popularklage bin ich gekommen, als mir Franz Nadler aus Dietersheim von den horrenden Mieten erzählte, die anerkannte Flüchtlinge in den Unterkünften zahlen müssen. In einem 35-Quadratmeter-Zimmer leben fünf Leute, jeder soll für seine sieben Quadratmeter 311 Euro zahlen. Das ist nicht fair, und das sind Menschen, die sich nicht gegen den Staat wehren. Nachdem es bereits ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gibt, das unsere Argumente bestätigt, sind unser Rechtsanwalt und ich überzeugt, dass wir auch beim Verfassungsgericht Recht bekommen .

Sie sind ja heute noch SPD-Mitglied, die Frage nach dem Zustand ihrer Partei kann also nicht ausbleiben.

Das Wahlergebnis in Bayern ist deprimierend. Das hat die SPD nicht verdient. Die SPD hat, sowohl in Berlin wie in Bayern, viel bewegt. Stichworte sind Mindestlohn, Mietpreisbremse, Ganztagesschulen et cetera. Die SPD verkauft sich unter Wert. Sie muss in den eigenen Reihen mehr Abstimmungen über Ziele, Schwerpunkte, Worte Aktionen erreichen. Zum Beispiel sollte sie das Thema soziale Gerechtigkeit klarer und konkreter fassen, dann können alle geschlossener dafür eintreten.

Als Eching vor zwei Jahren einen jungen Bürgermeister bekommen hat, waren Sie auch beteiligt...

Wir waren eine kleine Gruppe in der SPD, die nach einem Kandidaten Ausschau hielt. Maßstab war nicht das Parteibuch, sondern die Fähigkeiten. Dann sind wir auf Sebastian Thaler aufmerksam gemacht worden. Er machte Eindruck: Intelligenz, beruflicher Werdegang, Beredsamkeit Ausstrahlung; inzwischen hat er sich gut eingearbeitet, er konnte manches auf den Weg bringen, wie den Bürgerhaushalt und die Initiative für die Kreuzung Paul-Käsmeier-Straße/Hauptstraße. Er hat es im Gemeinderat natürlich nicht ganz leicht bei den bestehenden Mehrheitsverhältnissen.

Und was kommt jetzt noch, mit 75 Jahren?

Ich habe keine feste Aufgabe mehr und bin überwiegend bei meiner Familie, aber da bin ich gerne Handwerker oder Koch. Bei der SPD und beim Arbeitskreis Entwicklungshilfe bin ich immer noch. Konkret möchte ich dazu beitragen, dass bei der Europawahl eine europafreundliche Atmosphäre herrscht. Ich bin begeisterter Europäer. Wir müssen Sorge tragen, dass die offene Gesellschaft und die Demokratie europaweit ihr festes Fundament behalten.

© SZ vom 22.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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