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Neue Lebensräume für die Wechselkröte:"Schon eine normale Wiese ist wie ein Dschungel"

Um die vom Aussterben bedrohte Art zu retten, schaffen Naturschützer in einem Artenhilfsprojekt Laichgewässer als Trittsteinbiotope. Seit kurzem sieht es so aus, als sei eine überlebensfähige Population etabliert worden.

Von Matthias Vogel, Eching

Die Wechselkröte ist massiv vom Aussterben bedroht. Unter dem Namen "Artenhilfsprojekt Wechselkröte" hat deshalb der Landesbund für Vogelschutz (LBV) München in Zusammenarbeit mit dem Landespflegeverband (LPV) Freising zwischen Eching und Garching im Winter zwei Laichgewässer angelegt. Das gesamte Projekt läuft bereits seit 13 Jahren - mit wachsendem Erfolg. Christian Köbele, Biologe in Diensten des LBV: "2011 haben wir zur Brunftzeit gerade einmal ein rufendes Männchen gefunden, seit vergangenem Winter sieht es so aus, als ob wir eine überlebensfähige Population etablieren könnten."

Wärme, karge Flechtwiesen und Tümpel, die alternierend Wasser führen und austrocknen: So mag es die Amphibienart, für die es auf der Roten Liste gar nicht gut aussieht: Die "1" steht da geschrieben - vom Aussterben bedroht. Nur die "0" ist schlimmer: Ausgestorben oder verschollen. Warm und feucht mag sie es, die Wechselkröte. Und weil sie mit ihren acht Zentimetern Körperlänge im Vergleich zur verwandten Erdkröte recht klein ausfällt und zur Fortbewegung hüpft, mag sie keine dichte Vegetation. "Schon eine normale Wiese ist für sie wie ein Dschungel", sagt Koebele. Die Natur-belassenen Isarauen in der Nähe des Silvensteinspeichers und eben die gesamte Münchner Schotterebene bieten den Tieren somit den perfekten Lebensraum. Drei Viertel des gesamtbayerischen Bestandes sind rund um die Landeshauptstadt beheimatet.

Die Tarnung der Kröte erinnert an ältere Nato-Militäranzüge

Gefleckt, im Camouflage-Muster eines älteren Modells des Nato-Militäranzuges, kommt die Wechselkröte daher. Grau, braungrün - irgendwie so, passend zu Sand und Kies eben. Sie vertraut bei der Konfrontation mit Fressfeinden voll und ganz auf ihre Tarnung, verharrt dann still in ihrer Deckung. Wer sich also bei einem Spaziergang durch die Fröttmaninger oder Garchinger Heide oder durch das Mallertshofener Holz ein Bild von ihr machen möchte, dürfte auf Glück angewiesen sein. Aber laut Koebele lohnt sich der Anblick: "Bislang war noch jeder, der sie mal in der Hand gehabt hat, von ihrer Schönheit angetan. Das liegt vor allem an den Augen. Die Iris schimmert grünmetallisch", schwärmt der Biologe.

Hören kann man sie dieser Tage sehr wohl. Denn von April bis Juni ist Paarungszeit. Dabei rufen Männchen sowie Weibchen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen: Das Männchen lockt trällernd, das Weibchen signalisiert, wenn genug geklammert ist oder es zu viele Verehrer gleichzeitig wissen wollen - dann aber auch ablassen. Maßnahmen wie die zwei Tümpel der beiden Naturschutzverbände sind der Fortpflanzung sehr förderlich. Was nämlich der Biene ein Blühstreifen, ist der Wechselkröte ihr Laichgewässer: ein Trittsteinbiotop. Verdichtungen des Bodens, wie zum Beispiel durch die früheren Militärübungen auf der Panzerwiese in Freimann, die Zerschneidung von Lebensräumen durch Verkehrsadern oder der Nassabbau bei der Kiesgewinnung haben im Norden Münchens nicht nur ganze Lebensräume zerstört, sondern auch fortbestehende isoliert. Die Wechselkröte ist zwar wanderfreudig und legt während ihrer Aktivzeit bis zu einem Kilometer pro Nacht zurück, dann aber sollte das nächste Aufenthaltshabitat langsam auftauchen, sonst wird das nichts mit der Vermehrung.

"Der Wert einer Art ist immer Abwägungssache"

Im Gemeindegebiet der Gemeinde Eching, auf der ehemaligen Klärschlammbrache Großlappen und angrenzend an das Gelände der Münchner Kies Union wurde im Winter zur Tat geschritten. Dabei war es nicht mit dem bloßen Erdaushub getan. Folie, eine Fleeceschicht als Durchwurzelungsschutz, eine weitere, um bei zu starkem Schilfbewuchs beherzt mit der Hacke ausdünnen zu können, das Ausbringen eines Substrats, um das Pflanzenwachstum zu begünstigen und schließlich noch eine Schicht sauberer Kies frei ab Werk - erst dann war es vollbracht. Fast. Denn die Natur ließ sich lange bitten und so war Christian Köbele neulich beim Kartieren einer der ganz wenigen Menschen, die sich bei der Arbeit über eine amtliche Regendusche freuen. "Da hat`s uns ordentlich durchgewaschen, aber es hatte bis dato sehr wenig geregnet und jetzt ist das Laichgewässer endlich voll", berichtet der Wechselkröten-Experte.

Nicht alle Menschen sind Kröten-Liebhaber. Das weiß Köbele. "Der Wert einer Art ist immer Abwägungssache", sagt er. Er ist von der Wichtigkeit des Projektes aber vollends überzeugt, unabhängig von seiner persönlichen Vorliebe für die exotisch anmutende Kröte. Die Diskussion um den Erhalt der Nahrungspyramide sei für ihn in diesem Zusammenhang "ein Schmarrn. Ich rede lieber vom ökologischen Netz, aus dem sich mit jedem Aussterben einer Art ein Knoten löst. Und wann dieses Netz kollabiert, das weiß man eben nicht." Von den neu angelegten Lebensräumen profitiert laut Köbele zudem nicht nur die Wechselkröte. "Aus der Garchinger Heide kommen schon Lärchen zum Trinken herübergeflogen. Und auch Zauneidechsen oder Kleinsäugern dienen solche Maßnahmen als Versteckschutz und Winterquartier."

Das Schutzprojekt wird aus Mitteln der Glücksspirale gefördert

Seit 2009 ist der LBV München von der Regierung von Oberbayern damit beauftragt, sich im "BayernNetz Natur" um den Schutz der Wechselkröte zu kümmern. Seit 2018 wird dieses von den Landkreisen Freising, Ebersberg und Fürstenfeldbruck unterstützte Projekt vom Bayerischen Naturschutzfonds aus Mitteln der Glücksspirale gefördert. Gut angelegtes Geld, wie es scheint. "Bei der Kartierung 2010 haben wir in diesem Bereich kein einziges Männchen vermerken können. 2011 hatten wir bereits ein Ersatzgewässer angelegt und in der Folge ein Männchen erfasst. Nach dem vergangenen Winter sieht es nun sogar so aus, als ob wir eine überlebensfähige Population etablieren könnten, wir haben in allen relevanten Gewässerkomplexen Bestand nachgewiesen", sagt Köbele.

Eine nette und in ihrer Ursache weniger nette Feststellung haben er und sein Team auch gemacht. Die Lebensräume von Erdkröte und Wechselkröte überlappen sich. Die Erdkröte kommt auch in dichter Vegetation gut voran und bevorzug das in Richtung Norden angrenzende Tertiäre Hügelland. Die Paarungszeiten unterscheiden sich eigentlich - die Erdkröte pflanzt sich lieber vor dem Monat April fort. Eigentlich. "Wegen des Klimawandels hat sich das offenbar verschoben, die Brunftzeiten überschneiden sich", sagt Köbele. Kurios: Erdkröten-Männchen wüssten wohl nicht so genau, was sie zu tun hätten und würden irrtümlicherweise Männchen der Wechselkröte klammern, so Köbele. "Und wenn die dann rufen, dass ihnen das nicht passt, verstehen die Erdkröten das nicht. Für das menschliche Ohr hören sich beide Krötenarten aber völlig gleich an." Nicht weiter schlimm, das Ganze, findet der Biologe: "Es gibt vereinzelt Hybriden, aber das kommt eher selten vor."

Jungtiere auf Wanderschaft finden wieder mehr Lebensräume vor

Die Münchner Schotterebene beherbergte noch in den 1970er Jahren die größten Wechselkröte-Vorkommen Deutschlands. Der Bestand innerhalb des Münchner Stadtgebietes und des Landkreises München dürfte damals bei mehr als 5300 adulten Tieren gelegen haben, derzeit sind es nach Angaben des LBV schätzungsweise 1600 erwachsene Tiere. Seit dem Start des Artenhilfsprojekts haben Jungtiere bessere Karten, wenn sie sich zum Zweck der Vermehrung auf Wanderschaft begeben. Sie finden auf ihrem Weg wieder mehr Lebensräume vor. Der Rückgang sei zumindest stark verlangsamt oder möglicherweise sogar gestoppt worden, heißt es auf der Homepage des Verbandes. Und weiter: Die Gefahr ist längst nicht gebannt. Gut, dass für kommenden Winter bereits das Anlegen eines weiteren Laichgewässers geplant ist.

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