Süddeutsche Zeitung

Brass Wiesn in Eching:Festival mit Dorf-Atmosphäre

Jeden Tag feiern etwa 15 000 Besucher bei einer bunten Mischung aus Blasmusik, Rap und Jazz. Sie loben überwiegend die friedliche Stimmung, einigen ist die Veranstaltung aber zu kommerziell geworden.

Von Thilo Schröder, Eching

Es gibt da diesen Ausdruck, der das Zusammenspiel von Tradition und Moderne im Freistaat beschreibt: Laptop und Lederhose. Vom früheren Bundespräsidenten Roman Herzog geprägt, wird er von der CSU zuweilen zu einer Art Staatsdoktrin erhoben. Kulturell findet er auf der Echinger "Brass Wiesn" seinen Widerhall. Blasmusik trifft dort auf Rap und Jazz, Lederhosen und Dirndl auf Basecaps und Badelatschen.

Die Brass Wiesn hat sich seit ihrer ersten Auflage 2013 mit wenigen Hundert Besuchern zu einem stattlichen Festival entwickelt. Täglich rund 15 000 Gäste seien es heuer, sagt Alex Wolff, Geschäftsführer des Veranstalters, der Sonnenrot GmbH, davon 13 000 mit einem Festivalticket für alle vier Tage. Die Brass Wiesn ist diesmal restlos ausverkauft.

Tradition und Moderne vereint

Am Freitagnachmittag sitzen die meisten in den zahlreichen, über das weitläufige Gelände verstreuten Biergärten im Schatten. Es ist angenehm warm. In urigen Holzhütten wird geschunkelt, getanzt und getrunken, während Combos auf kleinen Bühnen spielen. Die Stimmung wirkt entspannter als auf Großfestivals, mit einem Schuss Dorffest-Atmosphäre. Das Publikum dominieren Familien und kleine Gruppen, über alle Generationen hinweg, Einheimische und Auswärtige. Die Musik ist bunt gemischt. Mal wird es politisch, wie bei der Froschenkapelle aus Radolfzell, die am Freitag ein Lied von Moop Mama spielt: "Alle Kinder mögen alle Kinder, außer Lisa, die mag Pegida (...). Alle Kinder haben Ökostrom, nur nicht Tina, aus Fukushima. Mal werden Oldies herausgekramt, wie bei Jack Russel's Halsbänd, die am Samstag Bon Jovis "Livin' on a Prayer" trompetet. Mit dabei auch Ringlstetter & Band. Tradition und Moderne spiegeln sich auch neben den Bühnen wider. Brass-Burger und sizilianisches Mandelgebäck werden neben Wildsaubratwurst feil geboten, Goaßn-Hoibe und Gin Tonic stehen auf derselben Getränkekarte. Struppige Strohballen wechseln sich als Sitzgelegenheit mit geschliffenen Bierbank- und Gartentischgarnituren ab.

Elisabeth, Kathrin (beide 34) und Karin (38) sind aus Tirol gekommen. Am Samstagvormittag sitzen sie gegen Mittag auf einer Bank nahe des Festzelts und trinken Spezi. Die drei Frauen sind zum ersten Mal auf der Brass Wiesn. Sie sei "schwer begeistert" von dem Festival, sagt Kathrin. Es sei "schön, dass das so gelebt wird, mit Dirndl und Lederhosn, da kommt die Tradition durch". Andererseits gebe es nicht nur Blasmusik, "das spricht mehr Leute an".

Friedliche Atmosphäre

Diese "unglaubliche Kreativität, wennst durchs Gelände gehst", fasziniert Karin. Das bargeldlose Chipbezahlverfahren finden alle drei "super praktisch". Dass morgens schon Müll aufgesammelt werde, sei "nicht selbstverständlich", sagt Kathrin. "Und es gibt warmes Duschwasser", ergänzt Elisabeth. Als "sehr friedlich" beschreiben die drei Frauen die Atmosphäre. "Da ist wahnsinnig viel Geduld und Rücksichtnahme, da wird net gemault beim Anstehen", sagt Kathrin.

Dass es ruhig zugeht, bestätigt Markus Schmid, Bereitschaftsleiter beim Roten Kreuz. Etwa 110 bis 115 Patienten, davon sechs Abtransporte, habe man bis Samstagmittag gezählt. "Brandwunden, Schnittwunden, ein Wespenstich mit heftiger Schwellung - moderater Normalbetrieb" nennt er das, "wahrscheinlich auch dem Wetter geschuldet". In der Nacht zu Samstag hatte es stark geregnet.

Einen anderen Blick auf die Brass Wiesn haben Sandra, Thomas und Eddi, sie sind aus dem Allgäu angereist. "Es war schon besser", sagt Eddi. "Wir sind schon ein paar Jahre dabei, wahrscheinlich heuer das letzte Mal. Viel zu viel Kommerz, das fühlt sich an wie auf der Loveparade." Sandra klagt über "Rücksichtslosigkeit". Der Campingplatz sei "ein rechtsfreier Raum", sagt Eddi. Bei einigen habe man den Eindruck, "die fühlen sich im Müll wohl", kritisiert Thomas. Beschränkungen wären gut, sagt Sandra, "nicht jedes Jahr noch größer". Die Musik sei aber gut, da stimmen sie den drei Tirolerinnen zu. Am meisten freut sich Thomas auf die Fäaschtbänkler, die Kapelle Josef Menzl und Erwin & Edwin. Ein Highlight sei der angrenzende Baggersee, darauf können sich alle einigen.

Jeder kommt auf seine Kosten

Einige Meter weiter haben Schore, Sven und Eric je einen Maßkrug vor sich stehen. 110 Kilometer weit seien sie aus der Oberpfalz angereist, sagt Sven. "Bei uns gibt's ein Metalfestival, aber wir mögen halt Blasmusik." Die besten Acts seien bislang Russkaja und die Echinger Blaskapelle gewesen. "Im Endeffekt ist das hier nix anderes wie Oktoberfest mit Camping", sagt Schore, "und die Mass kostet nur 9,60 Euro". Ein besseres Bier wäre allerdings toll, meint Sven, "und ein Waschplatz näher am Festivalbereich". Am Nachmittag ziehen dunkle Wolken auf, es fängt an zu nieseln. Nur wenige warten vor der Freiluftbühne auf die erste Band des Tages. Im Festzelt, wo es trocken ist, feiern derweil Hunderte. Jack Russel's Halsbänd sorgt dort für Stimmung, ein Musiker animiert die auf den Bänken stehende Menge zum Mitmachen: "Wollt ihr 90er?" Natürlich wollen sie und singen beim Blasmusik-Cover von Haddaways "What is Love" mit. Der letzte Song, ein Medley, greift auf Passagen aus Rammsteins "Engel" zurück: "Gott weiß, ich will kein Engel sein", schallt es durchs Festzelt. Jeder kommt auf seine Kosten.

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SZ vom 05.08.2019/psc
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