Engagierte Spurensuche:Lokalhistorische Sprechstunde

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Die Tür zum Begegnungsraum an der Marktkirche steht weit auf, drinnen sitzt Schorsch Wiesmaier (rechts) im Gespräch mit einem Besucher. (Foto: Renate Schmidt)

Die Geschichtswerkstatt Dorfen ist 2023 mit einem Hauptpreis des Tassilo-Kulturpreises der Süddeutschen Zeitung ausgezeichnet worden. Die Ergebnisse ihrer Recherchen werden stets auf besondere Art präsentiert. Jetzt hat sie ein neues Projekt gestartet.

Von Florian Tempel, Dorfen

Die Geschichtswerkstatt Dorfen expandiert und verfügt nun über zwei Räume in der Innenstadt. Zusammen mit der Arbeitsgemeinschaft International, der Dorfener Kunst AG sowie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat sie vormalige Büroräume am Kirchtorplatz gemietet. Die Räume sind für eigene Treffen, aber auch für öffentliche Veranstaltungen und mittelgroße Ausstellungen gedacht.

Außerdem hat die Geschichtswerkstatt den kleinen Eckladen der Marktkirche St. Vitus bezogen. Er dient für kleinere Ausstellungen und als Raum für Begegnungen und Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern. Der kleine Raum war seit Mai jeden Samstag von 11 bis 14 Uhr geöffnet. Gewissermaßen für geschichtlich interessierte Laufkundschaft oder als historische Sprechstunde. Ein weiteres, tolles Konzept der lokalgeschichtlichen Arbeit.

Die Geschichtswerkstatt Dorfen ist 2023 auch deshalb mit einem Hauptpreis des Tassilo-Kulturpreises der Süddeutschen Zeitung ausgezeichnet worden, weil sie eigene und wegweisende Ansätze verfolgt. Die Ergebnisse ihrer bemerkenswerten Recherchen werden stets auf besondere Art präsentiert. Bei Live-Veranstaltungen stehen nicht nur Referentinnen vorn auf der Bühne am Rednerpult und klicken sich durch eine Powerpoint-Präsentation.

Bei den Abenden der Geschichtswerkstatt sind fast immer auch Zeitzeuginnen oder Angehörige eingebunden. Das macht ungemein viel aus. Wenn direkt oder indirekt Betroffene erzählen und berichten, überträgt sich ihre persönliche Nähe auf das Publikum. So rücken geschichtliche Themen zeitlich, örtlich und emotional näher.

Der Begegnungsraum in der Marktkirche ist dieses Konzept wie vom anderen Ende her gedacht. Auf ganz wenigen Quadratmetern, von zwei große Fenstern gut belichtet, frisch renoviert und schlicht möbliert, ist hier kein Platz für großes Publikum, sondern für persönliche Treffen. Die Tür ist weit und einladend geöffnet. Drinnen am Tisch sitzt es sich bequem und man kommt leicht in Gespräch. Es ist ein bisschen wie in einem Café, weil man so mittendrin in der Innenstadt sitzt, Passanten, Radlerinnen und Autos an zwei Seiten vorbeikommen. Es hat aber auch etwas Büroatmosphäre mit einer lockeren, aber konzentrierten Kommunikationssituation.

Aktuell werden Zeitzeugen zum Thema Flucht und Vertreibung gesucht

Kommt tatsächlich samstags immer wer vorbei? „Bei mir war es so, dass immer jemand da war“, sagt Schorsch Wiesmaier. Seine Kolleginnen und Kollegen von der Geschichtswerkstatt hatten, wenn sie zum Sprechstunden-Dienst eingeteilt waren, ebenfalls Besuch. „Es ist aber sehr unterschiedlich, wer kommt“, sagt Wiesmaier.

Manche Gespräche sind vorher ausgemacht. Letztens war eine Dorfenerin da, die etwas über Displaced Persons nach dem Zweiten Weltkrieg berichten konnte, ein Thema, das Doris Minet und Monika Schwarzenböck von der Geschichtswerkstatt besonders interessiert. Andere, die in den vergangenen Wochen im Begegnungsraum vorbeigeschaut haben, wollten sich über die Arbeit der Geschichtswerkstatt an sich informieren. Manch einer komme einfach spontan rein, sagt Wiesmaier, und im Gespräch über dies und das landet man dann doch schließlich bei geschichtlichen Themen.

„Doch was uns am meisten zupass kommt“, sagt Wiesmaier, „ist, wenn Leute kommen, die ein Anliegen haben.“ Die etwa ganz konkret bestimmte Dinge über ihre Eltern oder Großeltern erfahren möchten. Die Mitglieder der Geschichtswerkstatt haben große Erfahrung im Recherchieren, sie wissen, in welchen Archiven sich Dokumente finden lassen könnten. Wiesmaier möchte bald sogar einen Vor-Ort-Service anbieten. Da die Stadtwerke die Dorfener Innenstadt mit kostenlosem WLAN versorgen, kann man sich im Begegnungsraum mit einem Notebook ins Internet einklinken und von hier aus in Online-Dateien nachsuchen. „Ich habe vor, das hier zu machen.“

Zunächst aber ist erst mal Sommerpause. Im August bleibt der Begegnungsraum der Geschichtswerkstatt geschlossen. Im September würde man sich wieder über regen Besuch freuen. Auch mit Blick auf den nächsten lokalgeschichtlichen Abend im Dorfener Kulturzentrum Jakobmayer zum Thema Flucht und Vertreibung im Oktober. „Wir hätten gerne Informationen von Menschen, die geflohen oder vertrieben worden sind.“ Das sei auch keineswegs auf die Zeit während und nach dem Zweiten Weltkrieg beschränkt, sagt Wiesmaier. Auch Menschen, die zu anderen Zeiten Flucht oder Vertreibung erlebt haben, „können gerne hier vorbeikommen“.

Geschichtswerkstatt Dorfen, Begegnungsraum in der Marktkirche, ab September jeden Samstag 11 bis 14 Uhr; geschichtswerkstatt-dorfen.de, E-Mail kontakt@geschichtswerkstatt-dorfen.de.

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