Die ganze Welt in Freising:"Deutsche fragen mich nach Sucuk"

Die ganze Welt in Freising: Nerdin Alkan betreibt seit einem Jahr an der Freisinger Angerbadergasse einen Supermarkt, in dem es auch Balkanprodukte gibt.

Nerdin Alkan betreibt seit einem Jahr an der Freisinger Angerbadergasse einen Supermarkt, in dem es auch Balkanprodukte gibt.

(Foto: Marco Einfeldt)

Nerdin Alkan betreibt seit einem Jahr in der Freisinger Angerbadergasse einen Supermarkt mit Balkanprodukten. Das Klischee vom "Türkenladen" kennt sie, doch sie weiß, was sie bietet - und dass die meisten Kunden keine Türken sind.

Von Clara Wollmann, Freising

Auf dem Parkplatz wird gerade der Grillstand aufgebaut, hier findet heute eine Spendenaktion für die Familienkrebshilfe Sonnenherz statt. Die ersten Schaulustigen warten, doch es fehlen noch Senf und Preisschilder, da muss Nerdin Alkan, Inhaberin des kleinen Supermarkts neben dem Parkplatz, schnell selbst anpacken. Nebenbei grüßt sie eine Nachbarin, spricht sich mit Mitarbeitern ab, dann hat die 44-Jährige Zeit für ein Gespräch in der Kaffeeecke gleich neben der Bäckerei. Die hölzerne Wandverkleidung hat sie selbst ausgesucht, erzählt sie, die Lampen aus der Türkei mitgebracht: "Ich wollte eine Atmosphäre schaffen, in der ich mich wohlfühle, weil ich jeden Tag hier bin. Und das ist nicht kurz, zwischen zwölf und fünfzehn Stunden am Tag."

Im Oktober 2019 eröffnete Alkan den Laden in der Angerbadergasse. Damit wagte sie den Schritt in die Selbstständigkeit, auch wenn sie den Marktbetrieb aus verschiedenen Positionen in- und auswendig kannte. Die gebürtige Münchnerin, deren Eltern aus der Türkei stammen, schloss 1995 ihre Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau ab. Zunächst war sie in ihrem Ausbildungsbetrieb, dann in einem Discounter als Tagesvertretung und schließlich in einem anderen Unternehmen als Filialleiterin tätig. "Ich bin ein Arbeitstier. Egal in welchem Unternehmen, ich habe gearbeitet, als wäre es mein Markt. Doch diese Wertschätzung hat mir immer mehr gefehlt und so sehnte ich mich sagen zu können: Diese Arbeit mache ich für mich. Dann weiß ich, was ich mache und warum ich das mache." Der Entschluss zur Selbstständigkeit lag damit nahe - und sie hat ihn nie bereut.

"Ich sehnte mich sagen zu können: Diese Arbeit mache ich für mich"

Anfangs sei es ein Sprung ins kalte Wasser gewesen, denn als Alkan den Standort übernahm, befand er sich noch in der Bauphase und mit einem Mal mussten logistische Entscheidungen getroffen werden, die für sie völlig neu waren. Große Bedenken im Vorhinein habe sie aber nicht gehabt. Mit der Zeit lerne man, routinierter auch mit Schwierigkeiten umzugehen. Vorbereiten kann man sich auf diese sowieso nicht, meint Alkan: "Jeder Laden ist eine Überraschung." Es dauert nun mal, bis das Produktsortiment perfekt auf die Kundschaft vor Ort abgestimmt ist. So hat die Selbstständige erkannt, dass die Freisinger sehr auf Frische und Regionalität achten. Im Vergleich zu Münchener Märkten, in denen mehr Fertigprodukte über den Ladentisch gehen, kauft man hier mehr Obst und Gemüse. Auch der Ausländeranteil ist niedriger, was die Erwartungen der Kunden an das Sortiment beeinflusst. Besonders freut Alkan, dass ihre Produktempfehlungen immer mehr angenommen werden: "Mittlerweile kaufen unsere Balkanprodukte mehr Deutsche als Personen mit kulturellem Bezug. Deutsche fragen mich nach Sucuk."

Wer anders ist, muss sich beweisen

Im Juli dieses Jahres hat die Süddeutsche Zeitung in ihrem "Buch Zwei" ein großes "Tischgespräch" geführt, bei dem sieben Menschen mit Migrationshintergrund miteinander über Rassismus in Deutschland geredet haben.

Dabei war auch die erfolgreiche Berliner Unternehmerin Aynur Boldaz-Özdemir, die von einer Veranstaltung erzählte, bei der ein Banker neben ihr saß, der nicht wusste, was sie macht. Als sie ihm gesagt habe, dass sie eine Firma habe, habe er nur gefragt: Kosmetik? Über den Umstand, dass sie 150 Mitarbeiter in ihrem Betrieb habe, sei er richtig geschockt gewesen, so Boldaz-Özdemir weiter: "Ich glaube, es müssten viel öfter positive Beispiele gezeigt werden, damit sich etwas verändert."

Samuel Fosso, der Migrationsreferent der Stadt Freising, empfindet es so, dass Menschen mit Migrationshintergrund in allem doppelte Leistung bringen müssen: "Menschen, die sichtbar anders sind, müssen sich ständig beweisen", sagt er. Die Freisinger SZ besucht in ihrer Serie "Die ganze Welt in Freising" erfolgreiche Unternehmer mit Migrationshintergrund und spricht mit ihnen darüber, ob sie es tatsächlich schwerer haben und hatten.

Heute: Nerdin Alkan aus Freising

Der zeitweise Lockdown war ebenfalls eine harte Probe. Als Stadtfiliale fielen Kundschaft und einige Mitarbeiter mit Betreuungspflicht aus. Doch von Kurzarbeit blieben die Angestellten verschont. "Aus Prinzip" hat sich Alkan dafür eingesetzt, weil sie deren Situation nicht noch schlimmer machen wollte. Auf der anderen Seite offenbarte die Krise, wie wichtig der tägliche Gang zum Supermarkt nicht nur zur Nahrungsbeschaffung ist, sondern als Aufladestation für soziales Miteinander, ein kurzer Tratsch, eine Begrüßung oder ein warmes Lächeln. Als es wegfiel, spürten es Alkan und ihre Kunden gleichermaßen, einer schrieb sogar einen Dankesbrief.

Es sind jene Momente, in denen die Unternehmerin die Anerkennung findet, die sie sich und ihren aktuell 14 Angestellten geben will. Darum legt sie neben den Bürotätigkeiten auch im Laden Hand an: "Ich unterscheide mich nicht von meinen Mitarbeitern. Ich putze und mache Lebensmittelkontrollen, wie sie." Für sie ist das eine Selbstverständlichkeit, zum einen, da sie wisse, wie es sich anfühle, wenn Wertschätzung fehle, zum anderen, weil sie so erzogen wurde. Schon immer hätten Familie, Freunde und Bekannte eine große Rolle gespielt. Ihre Herkunft sieht Alkan als Bereicherung an, darum fällt es ihr schwer, in ihrem Fall von einer Migrationsgeschichte zu sprechen. Ihr fehlt nichts, sie hat nur mehr: "Es unterscheidet uns ja nichts, außer dass ich eine zusätzliche Sprache spreche und eine andere Kultur kenne."

Und doch wird sie immer wieder anders behandelt, etwa wenn sie selbst einkauft, nicht gegrüßt oder mit gebrochenem Deutsch angesprochen wird. Dagegen wehrt sie sich: "Ich möchte ein 'Grüß Gott' oder 'Hallo' hören. Für mich hat das nichts mit Migrationshintergrund zu tun, sondern mit Menschlichkeit." Einen unterstützenden Kreis und grundsätzliche Akzeptanz hat Alkan in Freising gefunden. Obwohl erst seit einem Jahr hier, kennt sie viele Leute beim Namen. Dass ihr eigener Name immer wieder für Vorurteile sorgt, ist Alkan bewusst, auch wenn sie das gut wegsteckt: "Ich habe schon gehört, dass Personen, die noch nie meinen Laden betreten haben, andere fragten: 'Warum gehst du zu diesem Türkenmarkt?' Ohne Grund haben sie die Vorstellung, dass hier nur ausländische Produkte verkauft werden. Ich aber weiß, wie mein Laden aussieht, wie ich ihn führe, welche Produkte ich habe, dass es sauber ist."

Mit dickem Fell und einem ständigen Lächeln vom Gegenteil zu überzeugen, macht für sie einen zusätzlichen Reiz aus. Sie ist stolz, ihren Namen in großen Buchstaben über der Tür zu sehen. Und die steht jedem offen: "Sollen sie doch hereinkommen und sich selbst überzeugen, dass es anders - oder eben nicht - ist."

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