Süddeutsche Zeitung

Der Trainer entscheidet, was gut ist:Zu viel Druck schadet

Lesezeit: 3 min

Die Trainer des SV'77 Neufahrn reden wenig über Podiumsplätze ihrer Schwimmtalente und Bestenlisten. Wichtig ist ihnen, dass diese ihre persönlichen Rekorde verbessern. Ehrgeizige Eltern bremsen sie aus

Von Laura Dahmer, Neufahrn

"Ihr seid zwar nicht die Schnellsten, aber die Lustigsten." Diesen Satz, sagen Markus Kaitschick und Michael Alt, hören sie öfter über ihren Verein. Eine Beschreibung, mit der die Schwimmer des SV'77 Neufahrn sich zwar identifizieren können, aber keineswegs müssen. Kaitschick und Alt, Trainer der Schwimmteams, legen viel Wert auf Spaß und wenig auf Leistungsdruck. Trotzdem räumt der Verein ein ums andere Mal Medaillen bei Wettbewerben der Jugendgruppen ab. Seine Trainer reden aber wenig über Zeiten, Podiumsplätze und Bestenlisten. Der relativ kleine Verein lebt vom guten Zusammenhalt seiner Mitglieder, hat lange Wartelisten und kämpft beizeiten mit etwas zu ehrgeizigen Eltern.

"Unser Ansatz ist: Die persönliche Bestzeit verbessern", erklärt Michael Alt, Trainer und ehemaliger Vorstand des SV'77. "Das ist ein Ziel, was jeder unserer Schwimmer, egal welches Leistungsniveau, verfolgen kann." Der Verein konzentriert sich in der Nachwuchsarbeit vor allem auf die ganz Kleinen. "Unser Fokus liegt auf der Basisarbeit und dem stilsicheren Schwimmen", erklärt Kaitschick, seit Anfang dieses Jahres neuer Vorsitzender. Nach absolviertem Schwimmpferdchen nehmen sie Kinder auf und bringen ihnen die grundlegenden Schwimmstile bei. "Danach trennen wir recht schnell, weil sich unterschiedliche Niveaus abzeichnen", sagt er.

Von Anfänger- und Fortgeschrittenengruppen ausgehend gibt es dann Förder- und Leistungsgruppen, je nach Alter und Niveau. Während die Kleineren mit vielen Trainingseinheiten gefördert werden, kann der kleine 320-Mann-Verein das bei den Größeren nicht mehr leisten. "Wenn wir wirklich Potenzial sehen, geben wir die Schwimmer an andere Vereine weiter", sagt Trainer Alt.

"Natürlich wäre es falsch zu sagen, bei uns wäre gar kein Druck dabei. Aber wir versuchen, ihn möglichst klein zu halten", gesteht er. "Wer zu viel Druck macht, kann gerade den ganz Jungen schaden." Daran müssen die Trainer des SV'77 die Eltern ihrer Schwimmtalente manchmal erinnern. Immer wieder erreichen Kaitschick Anrufe von Eltern, die ihr Kind gerne noch bei ein paar Wettbewerben anmelden würden oder andere Extrawünsche haben. "Das machen wir nicht auf Zuruf", sagt der Vereinsvorstand. "Die Trainer entscheiden, was am Ende geschwommen wird", pflichtet Alt bei. Einen krassen Fall hatten die Schwimmer kürzlich: Sie hatten Altersbestenlisten auf ihrer Webseite online gestellt, "hauptsächlich, damit Kinder sich mit ihren Vorbildern vergleichen und sehen können, wie die in ihrem Alter geschwommen sind", erklärt Alt. Einzelne Eltern haben diese Bestenlisten aber scheinbar als Druckmittel benutzt und wollten ihre Kinder auf den Rekordplätzen sehen. "Daraufhin haben wir die Listen offline genommen, um unsere Kinder zu schützen."

Stoff für diese Listen gibt es jedenfalls genug: Drei der Neufahrner Schwimmer, Elias Kauerauf, Gabriel Müllner und Vincent Weiß, schwimmen in der oberbayerischen Auswahlmannschaft. Weiß ist außerdem bayerischer Meister. Von den ganz Kleinen sind viele im Kreiskader. Der Verein nimmt an regionalen, nationalen aber auch internationalen Schwimmwettbewerben teil, im Frühjahr gab es dabei auch für den ganz jungen Nachwuchs, etwa den sechsjährigen Jonas Festerling, Gold beim internationalen Unterschleißheimer Einladungsschwimmen.

Kandidaten für den Jugend-Sportpreis der SZ

Zum zehnten Mal hat die Süddeutsche Zeitung in den vergangenen Wochen Leser, Aktive und Vereine aufgefordert, herausragende Sport-Talente aus München und der Region vorzuschlagen. Exakt 123 Athleten und Mannschaften hat die SZ seit der Premiere des "Talentiade"-Wettbewerbs im Jahr 2001 ausgezeichnet. In diesem Jahr gehen zahlreiche weitere Kandidaten ins Rennen um einen der mit jeweils 1500 Euro dotierten neun Förderpreise und den Schulsport-Preis "Klasse!" sowie den mit 5000 Euro dotierten Handball-Sonderpreis der Münchner Dr.-Ludwig-Koch-Stiftung - zu viele, um sie alle in Wort und Bild würdigen zu können. Die Landkreis- und Stadtviertel-Ausgaben der SZ präsentieren in dieser Ausgabe hoffnungsvolle Talente aus ihrem Verbreitungsgebiet. Bereits vorgestellte Talente bleiben selbstverständlich im Wettbewerb. Eine unabhängige Jury wählt am Dienstag, 25. Juni, die Gewinner aus.

Erfolgsmomente soll es für jeden geben, nicht nur für die Besten. "Wir suchen auch mal Wettkämpfe aus, wo die Konkurrenz nicht so stark ist, und schicken unsere schwächeren Schwimmer dorthin", erzählt Alt. Kaitschick kann von seiner eigenen Tochter erzählen: "Jasmin hat sich lange Zeit sehr schwer getan, schwamm immer im Mittelfeld mit, weil sie einen sehr starken Jahrgang hat." Bei einem Wettkampf in Eichstätt holte sie zum ersten Mal einen dritten Platz. "Sie hat über das ganze Gesicht gestrahlt. Darum geht es doch."

Jasmin Kaitschick, die neben ihrem Vater sitzt, lächelt bei der Erinnerung. Die 16-Jährige ist schon lange beim Neufahrner Verein, ist Co-Trainerin einer Kindergruppe und will bald die Trainergrundausbildung absolvieren. Diesen Weg gehen viele Neufahrner, alle Trainer sind selbst Schwimmer. Michael Alts Tochter Jenny ist im Verein großgeworden, schwimmt in der einen Leistungsgruppe und trainiert die andere. "Ich habe schon mit 14 als Co-Trainerin angefangen, für mich war der Weg klar. Ich hatte immer eine tolle Zeit im Verein und will etwas zurückgeben", sagt die 19-Jährige.

Während es dem Verein an Trainern nicht mangelt, kämpft er mit begrenzten Trainings- und Beckenzeiten. Die Warteliste für Kinder- und Jugendgruppen ist lang, 50 stehen noch drauf. Dieses Jahr wird sie wahrscheinlich nicht mehr aufgemacht, fürchtet Markus Kaitschick. Trotz Trennung nach Wettbewerbs- und Freizeitgruppen, sagen die Trainer, stehen alle Altersgruppen miteinander in Kontakt,es werden viele außersportliche Aktivitäten und gemeinsame Fahrten organisiert. Das ist es, was einstimmig alle vier an ihrem Verein so schätzen: die familiäre Atmosphäre.

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Quelle:
SZ vom 22.06.2019
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