Süddeutsche Zeitung

Debatte um die Startbahn:Völlig aufgewühlt

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Am Tag nach dem Besuch von Horst Seehofer in Attaching sind die meisten Startbahngegner guter Dinge. Dass der Ministerpräsident noch für das Projekt entscheiden könnte, kann sich kaum einer vorstellen.

Von Christian Gschwendtner, Freising

Oberbürgermeister Tobias Eschenbacher war noch in der Stadtratssitzung am Donnerstagabend fast euphorisch: "Das ist ein historischer Tag im Abwehrkampf", sagte er nach dem Besuch von Ministerpräsident Horst Seehofer in Attaching. Nach dessen Aussagen zum aktuell fehlenden Bedarf für eine dritte Startbahn hofft der OB wie viele andere, dass der geplante Flughafenausbau schon bald Geschichte sein könnte.

Landrat Josef Hauner (CSU) zeigte sich im Kreistag, der fast gleichzeitig zur Seehofer-Veranstaltung tagte, erfreut über die hohe Zahl der Bürger dort und dass alles friedlich abgelaufen sei. Er selber hatte Seehofer in Attaching kurz begrüßt. "Dass der Ministerpräsident gesagt hat, dass die Zahl der Starts und Landungen derzeit keine dritte Startbahn rechtfertige, zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind."

Aufgemuckt-Sprecher Hartmut Binner ist am Freitag nach der Seehofer-Stippvisite noch völlig aufgewühlt. Den Vormittag habe er erst einmal dafür genutzt, ausführlich die Seele baumeln zu lassen. Später kommen die Enkelkinder, Binner will dann wieder zur Normalität zurückfinden - soweit das im Moment überhaupt möglich ist. "Anders als in den Jahren zuvor hat es gestern zum ersten Mal ein Gespräch auf Augenhöhe gegeben", sagt Binner. Auch über die Zusammenarbeit mit der Staatskanzlei ist er voll des Lobes. Binner wertet es als Vertrauensbeweis, dass er enger in die Planung des Ministerpräsidentenbesuchs eingeweiht war als die Freisinger Polizei.

Die Vorstellung, der CSU-Chef könne sich nach seinem Auftritt am Donnerstag noch für den Bau der Startbahn entscheiden, ist für den ehemaligen Polizisten im Moment undenkbar. "Falls doch, dann war der bisherige Protest ein Kindergeburtstag", sagt Binner. Er will das aber explizit nicht als Drohung verstanden wissen. Seine Aufgemuckt-Kollegin Helga Stieglmeier teilt die Zuversicht. Ob man Seehofer die Rolle des ehrlichen Maklers zu 100-Prozent abkaufen könne, sei dahingestellt. "Meine Menschenkenntnis sagt mir aber, Seehofer ist an einer ernsthaften Bewertung interessiert", bekundet Stieglmeier freimütig. Sie ist optimistisch, dass die dritte Startbahn noch in diesem Jahr beerdigt wird.

In der Bewertung der Betroffenen überwiegt diese Sicht der Dinge. Viele sind der Meinung, Seehofer habe sich mit seinen Verlautbarungen in Attaching weit aus dem Fenster gelehnt. Ein plötzlicher Meinungsumschwung wäre da nur schwer vermittelbar, heißt es jetzt überall.

Selbst hartgesottene Startbahngegner, wie etwa der Attachinger Ludwig Grüll von der Protestbewegung "Planet Stupid" hat der Besuch des Ministerpräsidenten zuversichtlich gestimmt. Zwar erscheint ihm die Euphorie als etwas verfrüht. Auch weiß Grüll, dass Seehofer es in Sachen Außendarstellung zu einiger Perfektion gebracht hat. Was er aber auf der Fahrt von Schwaig zum Attachinger Sportplatz in der Dienstlimousine des CSU-Chefs erlebt hat, das hat einen spürbaren Eindruck bei Grüll hinterlassen.

"Die Zustimmung zu unseren Argumenten muss man ihm abnehmen, obwohl Seehofer natürlich ein Profi ist", sagt Grüll. Besonders geschmeichelt hat ihm Seehofers Reaktion auf eine Karte zu dessen Ingolstädter Wohnort, die ihm die Attachinger überreicht haben. Sie zeigt, welche Ortsteile von der Bildfläche verschwänden, würde man die dritte Startbahn statt im Erdinger Moos in Ingolstadt bauen. Seehofer habe das für einen sehr geschickten Schachzug befunden, erzählt Grüll, und seinen Security-Mann angewiesen ihn das "nicht vergessen zu lassen".

Der Freisinger Stadtrat Benno Zierer von den Freien Wählern freut sich am Tag nach Attaching insbesondere über Seehofers Aussage zu den aktuellen Flugbewegungen. Laut dem Ministerpräsidenten sprächen sie gegen die Notwendigkeit einer dritten Startbahn. Schon bei einer Unterredung in der Staatskanzlei vor 14 Tagen sei ihm diese Stoßrichtung aufgefallen.

"Ich unterstelle ihm, dass er es ehrlich meint, trotz seiner berühmten Wendemanöver", sagte Zierer. Er habe außerdem bereits bei seinem Parteivorsitzenden Huber Aiwanger dafür geworben, Seehofer künftig als Redner zu Veranstaltungen gegen die dritte Startbahn einzuladen.

Für den CSU-Bundestagsabgeordneten Erich Irlstorfer hat der Besuch seines Chefs nichts substanziell neues gebracht. Die Zahlen zu den Flugbewegungen seien seit langem bekannt. Nach Ansicht von Irlstorfer hat der Ministerpräsident deshalb lediglich den Status quo formuliert. "Wir haben Wort gehalten und mit den Betroffen direkt gesprochen", sagt er. Nun sei es an den Vertretern der Wirtschaft, ihre Argumente noch einmal in aller Deutlichkeit darzulegen. Eine Entscheidung werde dann am Verhandlungstisch und nicht auf der Straße fallen, so Irlstorfer.

Die SPD-Stadträtin Heidi Kammler interpretiert Seehofers Besuch hingegen als eine klare Ansage an die CSU. Mit seinem Besuch in Attaching habe der bayerische Ministerpräsident die Entscheidung um die dritte Startbahn endgültig zur Chefsache erklärt. Dass Seehofer die Flughafenerweiterung in den Zusammenhang mit dem gescheiterten Donauausbau gestellt habe, stimme sie "sehr hoffnungsvoll".

Damit sind die Erwartungen an den CSU-Chef einmal mehr mit Nachdruck formuliert. Ob Seehofer sie erfüllt, wird sich Anfang Dezember zeigen. Dann soll die finale Entscheidung in Sachen dritter Startbahn fallen.

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SZ vom 31.10.2015
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