Corona und der Vogelkundler:Ruhe für den Brachvogel im Erdinger Moos

Corona und der Vogelkundler: Seit 1973 führt Christian Magerl Vogelkartierungen im Erdinger und Freisinger Moos durch. Er kennt quasi jedes Federvieh in der Region.

Seit 1973 führt Christian Magerl Vogelkartierungen im Erdinger und Freisinger Moos durch. Er kennt quasi jedes Federvieh in der Region.

(Foto: Marco Einfeldt)

Für den Freisinger Ornithologen Christian Magerl ist der Beinahe-Flugstopp am Münchner Flughafen ein Erlebnis - und weckt ein bisschen Wehmut.

Von Alexandra Vettori, Freising

Für Vogelkundler ist es ein Traum. "Ich kann jetzt wesentlich mehr Vögel als sonst hören", schwärmt Christian Magerl, einstiger Grünen-Landtagsabgeordneter aus Freising. Im Naturschutzgebiet Eittinger Weiher, wo er gerne unterwegs ist, "da donnern sonst, wenn Ost-Starts sind, die Flieger im Minutentakt drüber. Und jetzt kommt noch alle ein bis zwei Stunden eines", erzählt er. Die ungewohnte Ruhe im Flughafenumland sei wunderbar, doch sie mache ihn auch melancholisch, gesteht Magerl, "da wird einem erst so richtig bewusst, was man durch den Flughafen an Lebensqualität verloren hat".

Seit 1973 zieht Christian Magerl, der vor seiner politischen Karriere als Biologe gearbeitet hat, durch die Natur und kartiert Vögel. Das macht er heute immer noch, einfach so für sich, und hat den Vogelschwund quasi hautnah miterlebt. Dass ausgerechnet am Münchner Flughafen eine der größten Populationen des vom Aussterben bedrohten Großen Brachvogels lebt, ist ein gewisses Paradox. Tatsächlich leben auf den Wiesen innerhalb des Flughafenzaunes ungefähr 76 Brutpaare, außerhalb, in den sorgsam gehüteten Schutzflächen im Freisinger und Erdinger Moos, ungefähr zehn bis 15 Brutpaare. Auch Kiebitze leben viele im Flughafen. Der Grund liegt darin, dass die Bodenbrüter davon profitieren, dass hinter dem Flughafenzaun kaum Füchse und andere Feinde kommen, die ihre Brut fressen und kaum Hunde, die sie bei der Brut stören könnten. Auch achtet die Flughafengesellschaft beim Rasenmähen auf die Brutzeit der seltenen Vögeln. Allerdings beobachtet Magerl bei seinen Streifzügen immer wieder, dass die Tiere zur Nahrungssuche auf Flächen im Freisinger Moos unterwegs sind, dafür nämlich sind die Flughafenwiesen zu trocken. "Deswegen sind die Schutzgebiete hier auch enorm wichtig und müssen unbedingt erhalten, wenn nicht sogar vergrößert und verbessert werden", betont Magerl. Die Chance dafür stehen gar nicht mal schlecht. Derzeit wird der lange überfällige Managementplan für das Vogelschutzgebiet "Nördliches Erdinger Moos", das weite Teile des Flughafens umgibt, erstellt. Weil da ein Verschlechterungsgebot besteht, und es zumindest den Kiebitzen wohl schlechter geht, könnte etwas getan werden müssen. Doch noch fehlen konkrete Daten, weil die Auswertungen der Vogelzählungen vom Vorjahr noch nicht vorliegen.

Den Vögeln am Flughafen dürfte die große Pause bei den Starts und Landungen eher egal sein, vermutet Magerl. "Die haben sich daran gewöhnt und gelernt, dass ihnen da nichts passiert." Außer einigen unerfahrenen Jungvögeln, die immer wieder zu nah an die Start- und Landebahnen kommen und dann in die tödlichen Schleppwirbel der Turbinen geraten, erlitten sie keinen Schaden, sagt Magerl. Dennoch ist er skeptisch, wenn die Flughafen Gesellschaft (FMG) immer wieder stolz darauf hinweist, welch tolles Vogel-Biotop der Flughafen sei. Erstens habe es vor dem Flughafen hier über 100 Brachvogel-Brutpaare gegeben, und zweitens veröffentliche die FMG keine Zahlen dazu, wie viele Jungtiere ihre Kinderstube am Flughafen überleben. Den Jungvögeln nützt der Beinahe-Flugstopp jedenfalls nichts, die Brutsaison hat gerade erst begonnen. "Der Kiebitz ist sogar gerade erst kräftig beim Balzfliegen", so Magerl. Trotz der für den Flughafenbau erfolgten Trockenlegungen im Freisinger und Erdinger Moos, trotz der Flächenversiegelung, trotz all der Straßen, Schienen und dem massiven Siedlungsdruck in den Landkreisen Freising und Erding sei das Gebiet rund um den Flughafen aus Ornithologen-Sicht immer noch hoch spannend, gerade derzeit machen auch viele Zugvögel auf der Durchreise Halt. "Es lohnt sich, dafür zu kämpfen", so Magerl.

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