Süddeutsche Zeitung

Umweltbelastung:"Es fehlt am Willen, das Notwendige endlich anzupacken"

Der Bürgerverein fordert, die Ultrafeinstaub-Belastung im Flughafenumland zu reduzieren und nicht noch länger zu warten. Denn die Fakten liegen auf dem Tisch.

Von Petra Schnirch, Freising

Der Bürgerverein Freising fordert die Staatsregierung auf, endlich zu handeln. Die Messungen der Uni Bayreuth und des Helmholtz-Zentrums hätten die bisherigen Ergebnisse des Vereins bestätigt und belegten, dass die Belastung durch Ultrafeinstaub im Flughafenumland sehr hoch sei, sagte Zweiter Vorsitzender Wolfgang Herrmann am Mittwoch bei einem Pressegespräch in Attaching. Noch länger zu warten, sei "reine Verzögerungstaktik". "Solange nichts passiert, atmen wir hier in der Umgebung des Flughafens weiter die Triebwerksabgase in hohen Konzentrationen ein", kritisierte er.

Seit dem Frühjahr 2021 erhebt die Uni Bayreuth an zwei Stationen in Freising-Lerchenfeld und in Hallbergmoos die Zahl der ultrafeinen Partikel (UFP) in der Luft. Im September 2022 stellte sie bei einer Fachtagung erste Zwischenergebnisse vor. Die belegen laut Herrmann: Kommt der Wind aus Richtung Flughafen, gibt es "signifikante Überhöhungen" der UFP-Konzentrationen in der Atemluft. Den Abschlussbericht werde die Universität erst 2024 oder 2025 vorlegen, weil damit eine Doktorarbeit verbunden sei. Die Politik aber dürfe nicht länger abwarten, sie müsse aufgrund der Faktenlage reagieren, forderte Herrmann. Auch auf Berlin oder Brüssel dürfe man sich nicht herausreden.

Was die Messungen der Experten auch gezeigt hätten: Die tatsächlichen UFP-Werte seien sogar um ein Drittel höher als die vom Verein ermittelten, weil sie über sensiblere Geräte verfügten. Der Bürgerverein erfasst die UFP-Belastung bereits seit Januar 2017, erst im Juli 2021 starteten offizielle Erhebungen. Die ebenfalls geforderten offiziellen Messungen direkt am Flughafen dagegen wird es weiterhin nicht geben. Ein entsprechender Antrag des Grünen-Landtagsabgeordneten Johannes Becher war Anfang März im Umweltausschuss des Landtags abgelehnt worden. "Das ist eigentlich empörend", fand Herrmann, weil auch mehr als 30 000 Beschäftigte am Airport und die Kinder in der Kita Airporthopser der Belastung ausgesetzt seien. Jetzt kämen noch Studierende der TU München auf dem Lap Campus dazu.

Um die UFP-Werte zu reduzieren, fordert der Bürgerverein zeitnah den Einsatz von schwefelarmem Kerosin, eine Reduzierung von Kurzstreckenflügen und den Einsatz von Taxibots, mit deren Hilfe Flugzeuge ohne laufende Triebwerke zur Rollbahn gezogen werden können, außerdem natürlich den Verzicht auf die dritte Startbahn. "Wir sind es leid, ständig zu hören, man müsse noch weitere Erkenntnisse gewinnen, man bräuchte noch weitere Wirkstudien und Messungen", so Wolfgang Herrmann. Alle Fakten lägen auf dem Tisch. "Es fehlt nicht an Erkenntnis, es fehlt am Willen, das Notwendige endlich anzupacken." Auch von Staatsminister Florian Herrmann (CSU) höre man nicht, dass er sich "proaktiv" um dieses Thema kümmere. Ein Gesprächstermin mit ihm sei bisher nicht zustande gekommen.

Die Messungen des Bürgervereins belegen laut Wolfgang Herrmann, dass bereits bei etwa 600 Flugbewegungen täglich die von der Weltgesundheitsorganisation WHO genannten Richtwerte für hohe UFP-Konzentrationen an der Mehrzahl der sechs Messstationen an mehr als der Hälfte der Tage überschritten wurden. Der Freisinger Mediziner Hermann Hobmair führte aus, dass die ultrafeinen Partikel bei einer Langzeitbelastung, ähnlich wie beim Zigarettenrauchen, zu irreversiblen Gesundheitsschäden führen. "Erfreulicherweise ist heute das Wissen um die Gefährlichkeit des Rauchens Allgemeingut, soweit sind wir leider beim Ultrafeinstaub noch nicht", resümierte er.

Teilchen, die kleiner sind als 2,5 Nanometer, erreichten Bronchien und Lungenbläschen, die allerkleinsten, der Ultrafeinstaub, gelangten sogar in den Blutkreislauf. Sie verursachten Arterienverkalkung und erreichten sämtliche Organe wie Gehirn, Herz, Lunge. Dies könne zu Demenz und COPD (chronisch obstruktive Bronchialerkrankung) führen, das Risiko für Schlaganfälle und Herzinfarkte steige, die Bauchspeicheldrüse reagiere mit vermehrter Entwicklung der Zuckerkrankheit, sowohl mit Typ-I- als auch Typ-II-Diabetes, schilderte Hobmair. Er verwies auch auf Schätzungen der europäischen Umweltagentur, denen zufolge etwa 66 000 Menschen in Deutschland und etwa 428 000 in der EU pro Jahr infolge von Feinstaubbelastung sterben.

Hobmairs Schlussfolgerung: Völlig verhindert werden könne die krankmachende Feinstaubbelastung nicht, das wäre utopisch. Doch sie sollte soweit wie möglich verringert werden. Es gelte das Vorsorgeprinzip. Die großen Emissionsquellen, das seien der allgemeine Verkehr und im Flughafenumland insbesondere der Luftverkehr.

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