Süddeutsche Zeitung

Gesundheitsschädigend oder nicht?:Ultrafeinstaub aus Flugzeugturbinen

Eine erhöhte Belastung belegen Messstationen in der Umgebung des Frankfurter Flughafens. Die Freisinger Fluglärmkommission drängt nun auf Untersuchungen zu den Auswirkungen auf die Gesundheit.

Von Peter Becker, Flughafen

Die Wissenschaft tappt im Dunkeln: Es gibt zwar Messinstrumente, welche die weniger als 100 Nanometer kleinen Partikel in der Luft messen können, was ihr chemisches Verhalten angeht und was sie im menschlichen Körper bewirken, darüber gibt es aber kaum Anhaltspunkte. Die Forschung hat sich mit Ultrafeinstaub bislang wenig beschäftigt, weil der Gesetzgeber keinen Anlass dazu gab. Studien existieren wenige, viele davon sind widersprüchlich. "Es wird höchste Zeit, dass die Wirkungsforschung einsetzt", bilanzierte Herbert Knur, Vorsitzender der Fluglärmkommission am Flughafen im Erdinger Moos.

Zuvor hatten Holger Gerwig vom Umweltbundesamt in Langen und Stefan Jacobi vom hessischen Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie vor dem Gremium Vorträge gehalten. Beide gaben einen Überblick zum Ufoplan-Vorhaben, das sich mit Ultrafeinstaub im Umfeld des Frankfurter Flughafens befasst. Gerwig berichtete, dass bei dem Projekt stationäre und mobile Messstationen zum Einsatz kämen. Diese seien in der Lage, die feinsten Partikel zu erfassen.

"Wir haben was gefunden", schilderte Gerwig. Bei der Messstation Raunheim haben die Wissenschaftler eine mittlere Jahreskonzentration von 16 400 Partikeln pro Kubikzentimeter gemessen. An einer weiteren Messstation bei Langen waren es 30 Prozent weniger. Dass die Verbreitung des Ultrafeinstaubs von der Windrichtung abhängt, verwundert nicht. Ebenso wenig, dass die Partikeldichte unter Start- und Landebahnen zunimmt. Von der Belastung her liefern die Messungen Werte, wie sie auch an stark befahrenen Straßen in Großstädten auftreten können. Jacobi stellte fest, dass die Maximalwerte ähnlich wie beim Straßenverkehr morgens und am Spätnachmittag gemessen würden.

Was die Schadstoffbelastung der Luft angeht, konnten die Wissenschaftler bislang keine "auffällige Abhängigkeit vom Flugverkehr" feststellen. In einem Ballungsraum wie dem Rhein-Main-Gebiet sei es ohnehin schwer herauszufinden, ob die gemessenen Partikel von Flugzeugen, Autobahnen, Heizungen, Fabriken oder vom Schiffsverkehr stammen. "Wir versuchen das einzuordnen", sagte Jacobi. Laut Oswald Rottmann vom "Bürgerverein Freising zur Vermeidung von Lärm- und Schadstoffbelastung" sei der Streubereich von Straßen "sehr eng". Die Partikel, die von einem Flughafen stammen, nähmen im Gegensatz dazu einen breiten Raum ein. Das ist ein Phänomen, das sich Jacobi auch nicht erklären kann. Bei der Verbrennung von Treibstoff durch Turbinen entstehen offenbar derart kleine Partikel, die durch starken Wind kilometerweit transportiert werden, anstatt sich zu größeren zu verbinden oder nach wenigen Sekunden zu verfallen. Unbekannt sind ebenfalls chemische Reaktionen des Ultrafeinstaubs.

Nach einer Studie schädigt Ultrafeinstaub das Herz-Kreislaufsystem und gerät über die Atemwege ins Gehirn

Wo die Grenzlinien des Zumutbaren für die Gesundheit der Menschen im Dunstkreis eines Flughafens verlaufen, ist bislang ungewiss. Es werde höchste Zeit, in dieser Hinsicht Klarheit zu schaffen, drängte Knur. "Wir tragen eine große Verantwortung." Rottmann schilderte das Ergebnis einer Studie, die jüngst in einem wissenschaftlichen Magazin veröffentlicht worden war. Demzufolge schädige Ultrafeinstaub nicht nur das Herz-Kreislaufsystem, sondern gerate über die Atemwege ins Gehirn. Möglicherweise trage dies zu Demenzerkrankungen bei.

Wie die gesammelten Daten zu verwerten sind, das wissen die Wissenschaftlicher selbst noch nicht. Ginge es nach Knur, dann müsste sich die Weltgesundheitsorganisation schon längst mit den Auswirkungen von Ultrafeinstaub auf den Menschen beschäftigen. Die Forderung nach einem Jahresmittelwert für den erlaubten Ausstoß solcher Partikel, wie ihn sich Josef Schwendner von der Flughafen München GmbH wünscht, hält er für fehl am Platz. "Wenn einer bei laufendem Motor in einer Garage Kohlenmonoxid einatmet, dann ist sein Jahresmittelwert vielleicht okay", sagte Knur. "Aber er ist trotzdem in kurzer Zeit tot."

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SZ vom 20.07.2017/zim
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