Bevor im Jahr 1959 die Stadtbibliothek gegründet wurde, gab es für die meisten Freisingerinnen und Freisinger keinen Zugang zu einem breiteren Angebot an Fach-, Sach- oder Unterhaltungsliteratur. Die in der Stadt reichlich vorhandenen Spezialbibliotheken auf dem Domberg und auf dem Weihenstephaner Berg waren rein auf die Bedürfnisse von Forschung, Lehre und Studium einzelner wissenschaftlicher Sparten ausgerichtet und für die Öffentlichkeit nicht zugänglich.
Das Fehlen einer öffentlichen Leihbibliothek, deren Bildungsauftrag sich auf die Stadtgesellschaft in ihrer ganzen Breite erstreckte, rief verschiedentlich private Initiativen auf den Plan, die sich um den Aufbau kleinerer Bibliotheken bemühten und damit zumindest phasenweise auch Erfolg hatten.

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Bürger initiierten 1856 die vermutlich älteste private Leihbibliothek in Freising
Die vermutlich älteste private Initiative einer bürgerlichen Leihbibliothek in Freising geht auf die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. Eine Reihe Freisinger Bürger beschloss im Jahr 1856, eine Bibliothek aufzubauen und deren Betrieb über einen Verein zu organisieren. Die Vereinsgründung fand am 20. September 1856 statt, der Vereinsname lautete "Literarischer Verein Freysing". Die Bezeichnung ist insofern etwas missverständlich, als man unter "Literarischer Verein" andernorts literarische Gesellschaften verstand, innerhalb welcher Literatur geschaffen und besprochen wurde.
Ziel des Freisinger "Literarischen Vereins" war es laut Satzung jedoch, "seinen Mitgliedern die neueren Erscheinungen der Belletristik, historische und naturwissenschaftliche Literatur, ferner Reisebeschreibungen und sozial-politische, wie kirchlich-politische Schriften in deutscher Sprache" zu beschaffen und zur Ausleihe bereitzustellen.

Am ersten Montag im Monat stimmten die Mitglieder über zu erwerbende Titel ab
Geleitet wurde der Verein von einem Vorsitzenden, einem Vereinsbibliothekar und einem Kassier. Finanziert werden konnte der Buchbestand durch die Mitgliedsbeiträge sowie Spendenmittel. Die Buchbeschaffung erfolgte auf sehr demokratische Weise: Jeden ersten Montag im Monat fand eine Mitgliederversammlung statt, bei der über die neu zu erwerbenden Titel abgestimmt wurde.
Zur besseren Übersicht ließ der Verein Kataloge drucken, in denen der gesamte Buchbestand alphabetisch nach Autor aufgeführt war. Ein im Stadtarchiv Freising aufbewahrter Katalog (19 x 13 Zentimeter) aus dem Jahr 1864 enthält 542, teils mehrbändige Titel. Die Ausleihe war allerdings nur Vereinsmitgliedern gestattet.
Der Verein hat sich vermutlich noch vor der Jahrhundertwende aufgelöst
Neben dem Katalog und einigen wenigen behördlichen Schriftstücken besitzt das Stadtarchiv auch einen Buchtitel aus dem Bestand der ehemaligen Vereinsbibliothek. Das Buch ("Der Tannhäuser. Eine Künstlergeschichte", 1. Band, von Friedrich Wilhelm Hackländer, 1860) trägt die Nummer "382", unter ebenwelcher der Titel auch im Katalog aufgeführt ist. Am vorderen Buchspiegel (Innenseite des vorderen Buchdeckels) ist das Exlibris des "Literarischen Vereins" eingeklebt. Über die weitere Entwicklung und das Ende des Vereins ist derzeit nichts bekannt. Es ist zu vermuten, dass sich dieser noch vor der Jahrhundertwende auflöste und der Bibliotheksbestand veräußert wurde.
Der Autor, Florian Notter, ist Stadtarchivar in Freising. Quellen: Stadtarchiv Freising, Akten I, Vereine, Literarischer Verein; ebd., Bibliothek.