Betriebsratswahlen in Freising und Erding:An großen und kleinen Stellschrauben drehen

Betriebsratswahlen in Freising und Erding: Mehr als 400 Beschäftigte des Logistikers ITG haben 2021 an der Aufstellungsversammlung für den ersten Betriebsrat teilgenommen. "Wir waren überwältigt", sagte Verdi-Bezirkssekretär Haris Softic damals.

Mehr als 400 Beschäftigte des Logistikers ITG haben 2021 an der Aufstellungsversammlung für den ersten Betriebsrat teilgenommen. "Wir waren überwältigt", sagte Verdi-Bezirkssekretär Haris Softic damals.

(Foto: Verdi)

Beschäftigte haben oft keine Interessensvertretung. Mit Blick auf die bundesweiten Betriebsratswahlen appellieren Engagierte in Freising und Erding daran, Instrumente der Mitbestimmung wahrzunehmen.

Von Thilo Schröder, Freising/Erding

Betriebsratswahlen in Freising und Erding: Mehr als 400 Beschäftigte des Logistikers ITG haben 2021 an der Aufstellungsversammlung für den ersten Betriebsrat teilgenommen. "Wir waren überwältigt", sagte Verdi-Bezirkssekretär Haris Softic damals.

Mehr als 400 Beschäftigte des Logistikers ITG haben 2021 an der Aufstellungsversammlung für den ersten Betriebsrat teilgenommen. "Wir waren überwältigt", sagte Verdi-Bezirkssekretär Haris Softic damals.

(Foto: Verdi)

Sie vertreten die Interessen von Beschäftigten gegenüber der Arbeitgeberseite und gelten als wichtige sozialpolitische Errungenschaft: Betriebsräte, wahlweise auch Personalräte oder Mitarbeitervertretungen genannt. Eine gesetzliche Grundlage gab es für sie in Deutschland bereits in der Weimarer Republik. Seit dem 1. März und bis zum 31. Mai finden bundesweit wieder Betriebsratswahlen statt. Auch in den Landkreisen Freising und Erding gehen Beschäftigte an die Wahlurnen.

Eine Personalrätin vom Roten Kreuz, ein Betriebsrat einer Logistikfirma, ein Gewerkschaftssekretär sowie der örtliche Sprecher des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) erzählen, warum Beschäftigte ihrer Ansicht nach eine Vertretung brauchen. Auch die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) plädiert für betriebliche Mitbestimmung. Denn in den meisten Firmen gebe es diese nicht.

Betriebsratswahlen in Freising und Erding: Katharina Grill, 36, ist Personalrätin beim BRK-Kreisverband Freising und leitet eine Kinderkrippe.

Katharina Grill, 36, ist Personalrätin beim BRK-Kreisverband Freising und leitet eine Kinderkrippe.

(Foto: privat/oh)

Fehlende Betriebsräte gehen einher mit schlechten Arbeitsbedingungen

Nach den Vorteilen eines Betriebsrats gefragt, schildert Katharina Grill, wie es ohne eine Vertretung oft zugehe. "In solchen Unternehmen machen die Verantwortlichen unglaublich viel Mist, weil sie's halt können", sagt die 36-Jährige. Sie ist Personalrätin beim BRK-Kreisverband Freising und leitet eine Kinderkrippe. "Oft sind das jene Sparten, die nicht die am besten bezahlten Berufe haben, ohne gute Arbeitsbedingungen, mit vielen nicht sozialversicherungspflichtigen Minijobs."

Ein solches Unternehmen war bis vor kurzem mutmaßlich das Logistikunternehmen ITG in Oberding mit seinen 890 Festangestellten und 300 bis 400 Leiharbeitern. Seit vergangenem Sommer hat es einen Betriebsrat, auch auf Betreiben von Verdi-Gewerkschaftssekretär Haris Softic. Der "pure Kapitalismus" habe bei ITG zuletzt geherrscht, berichtet der 39-Jährige. Nun gebe es einen "sehr engagierten Betriebsrat", der Schulungen wahrnehme, Kompetenzen aufbaue und sich für Themen wie Arbeitszeitregulierung einsetze - "die wichtigste Maßnahme in der Logistikbranche", sagt Softic.

Arbeitgeber oft rücksichtslos gegenüber ihren Beschäftigten

Eine Mitarbeiterbefragung habe ergeben: Die Beschäftigten seien chronisch überlastet durch teilweise Sechs-Tage-Wochen und Zehn-Stunden-Arbeitstage, die Bezahlung sei miserabel auf Mindestlohnniveau, es fehle an Wertschätzung. "Die Arbeitgeber haben mittlerweile vergessen, dass sie eine Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern haben." Softic will sich heuer um eine Tarifierung von ITG kümmern, wie er sagt. Und den 13-köpfigen Betriebsrat gelte es zu verdoppeln.

Betriebsratswahlen in Freising und Erding: Stefan Grätz-Bader, 45, ist seit Sommer 2021 Betriebsrat beim Logistiker ITG in Oberding.

Stefan Grätz-Bader, 45, ist seit Sommer 2021 Betriebsrat beim Logistiker ITG in Oberding.

(Foto: privat/oh)

Stefan Grätz-Bader ist einer der Betriebsräte. Als der 45-Jährige vor fünf Jahren zu ITG kam, sei er "schon ein bisserl erschrocken" gewesen, dass es dort keine Beschäftigtenvertretung gab. "Wo immer ich davor gearbeitet habe, gab es einen Betriebsrat." Grätz-Bader bestätigt Softics Schilderungen. Frühere Bestrebungen zur Betriebsratsgründung seien ins Leere gelaufen, indirekt sei den Beteiligten mit Kündigung gedroht worden. Gerade werde die erste Betriebsvereinbarung auf den Weg gebracht, sagt er. "Jetzt müssen wir in Verhandlungen mit dem Arbeitgeber treten."

Ein Betriebsrat kann aber auch an kleinen Stellschrauben drehen. "Das sind auch so Kleinigkeiten wie eine fehlende Kaffeemaschine, die, wenn sie vorhanden wäre, die Motivation erhöhen würde", erklärt Grill. Dinge, die ein Arbeitgeber schon mal übersehe. In sozialen Berufen mit einem hohen Anteil an Frauen, die selbst selten in Gremien säßen, fehle oft deren Perspektive. "Zum Beispiel denken Frauen eher daran, dass auf Betriebstoiletten Hygieneartikel bereitgestellt werden oder verschiedene Arbeitszeit-Modelle und Care-Arbeit wie das Pflegen von Angehörigen oder die Kinderversorgung berücksichtigt werden."

"Als Personalrätin braucht man ein dickes Fell"

Aus ihrer Erfahrung bei der Caritas und nun beim BRK weiß Katharina Grill, dass das während der Arbeitszeit ausgeübte Ehrenamt als Personalrätin Interessenskonflikte mit sich bringt. Etwa wenn es im Betrieb gerade pressiert und zeitgleich eine Betriebsratssitzung ansteht. "Das abzuwägen, ist auch für mich immer noch schwer", sagt sie. "Man braucht manchmal ein dickes Fell bei Konfliktsituationen, gerade bei größeren Vertretungen." Und man dürfe sich nicht zurücklehnen im Sinne: "Ich trinke hier ein paar Stunden Kaffee und bin nicht so einfach kündbar." Das Amt bereite aber "sehr viel Spaß".

Betriebsratswahlen in Freising und Erding: Guido Hoyer, 54, ist DGB-Sprecher für Freising und Erding.

Guido Hoyer, 54, ist DGB-Sprecher für Freising und Erding.

(Foto: Marco Einfeldt)

Per se sei ein Betriebsrat indes kein Allheilmittel, sagt Guido Hoyer, DGB-Sprecher für Freising und Erding. "Es ist ganz wichtig einen zu haben - und den richtigen zu haben." Erst die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften gebe eine "Gewähr, dass Interessen optimal vertreten werden", durch Beratungen, Rechtsschutz, Expertise und Vernetzung. Auch ITG-Betriebsrat Stefan Grätz-Bader sieht diesen Mehrwert.

Fakt sei, sagt Hoyer mit Verweis auf eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung: In Firmen mit Betriebsrat verdienten Beschäftigte im Schnitt 8,4 Prozent mehr und hätten einen Urlaubstag mehr im Jahr. Das Kurzarbeitergeld in der Corona-Krise sei in diesen Betrieben zudem doppelt so häufig aufgestockt worden, in rund zwei Drittel der Fälle.

90 Prozent der Firmen ohne Betriebsrat

Ein Betriebsrat ist jedoch "auch heutzutage nichts Selbstverständliches. Ganz im Gegenteil", sagt Hannes Kreller, Diözesanvorsitzender der KAB München und Freising. Die hierzulande dominierenden kleinen und mittleren Unternehmen hätten häufig keine Vertretung. "So kommt es, dass mittlerweile über 90 Prozent der Betriebe ohne Betriebsrat sind. Und die große Mehrheit der Beschäftigten, etwa 60 Prozent, arbeitet in einem Unternehmen ohne Betriebsrat. Unternehmensspitze und Management bekämpfen Betriebsratsgründungen oft aktiv."

Betriebsratswahlen in Freising und Erding: Hannes Kreller ist Vorsitzender der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) München und Freising.

Hannes Kreller ist Vorsitzender der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) München und Freising.

(Foto: KAB/oh)

Dabei werde Mitbestimmung angesichts der Digitalisierung und der durch den Klimawandel notwendigen Transformation des Arbeitsmarktes immer wichtiger, sagt Kreller. Die KAB unterstütze daher die Gründung von Betriebsräten. "Nach der katholischen Soziallehre ist Mitbestimmung eine Frage der Menschenwürde."

Ein Betriebsrat nützt vor allem dann, wenn er demokratisch breit legitimiert ist. Katharina Grill appelliert darum: "Es ist wichtig, dass die Beschäftigten auch zur Betriebsratswahl gehen und nicht nur meckern, wenn ihnen etwas im Betrieb nicht passt."

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ITG wählt erstmals Betriebsrat
:Plötzlich geht was

Beim internationalen Logistikunternehmen ITG in Oberding wird nach jahrelangem Bemühen von Verdi zum ersten Mal ein Betriebsrat gewählt. Die Gewerkschaft freut sich, dass eine Vertretung der Beschäftigten zustande kommt. Die Geschäftsführung erklärt, das sei angesichts des starken Firmenwachstums eine normale Entwicklung.

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