Süddeutsche Zeitung

Betreuung zu Hause:Auf dem letzten Weg

Die "Spezialisierte ambulante Palliativversorgung" hilft, wenn Schwerkranke in ihrer vertrauten Umgebung sterben wollen. Eva Pröscholdt-Graupner und Gudrun Müller sorgen für die medizinische Versorgung und unterstützen auch die Angehörigen

Interview von Rebecca Seeberg, Freising

"Palliare" bedeutet so viel wie "schützendes Einhüllen", etwas, das Angehörigen, die einen geliebten Menschen auf seinem Sterbeprozess begleiten, ein Anliegen ist. Die geborgenste Umgebung bieten die eigenen vier Wände, wo der Patient aber oft aufgrund seiner schweren Erkrankung nicht versorgt werden kann. Im Februar dieses Jahres hat sich ein Team gebildet, dass unter Leitung von Eva Pröscholdt-Graupner und Gudrun Müller diesen Wunsch vieler Patienten und Angehöriger ermöglichen will - die sogenannte "Spezialisierte ambulante Palliativversorgung".

SZ: Frau Pröscholdt-Graupner: Wie kommt es, dass Sie als ehemalige ärztliche Leitung der Palliativstation Freising jetzt die SAPV leiten, die ja beinahe als Konkurrenzunternehmen zum Krankenhaus gesehen werden kann?

Pröscholdt-Graupner: Die Spezialisierte ambulante Palliativversorgung, kurz SAPV, soll Patienten das Sterben zu Hause ermöglichen. In dem Gesetz, das die Bundesregierung dazu 2008 auf den Weg gebracht hat, heißt es (gemäß § 37 b SGB V): "Die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) dient dem Ziel, die Lebensqualität und die Selbstbestimmung unheilbar erkrankter Menschen zu erhalten, zu fördern und zu verbessern und ihnen ein menschenwürdiges Leben bis zum Tod in ihrer vertrauten häuslichen Umgebung oder in stationären Pflegeeinrichtungen zu ermöglichen." Wir ergänzen das bestehende Versorgungsnetz und stehen dabei in keinster Weise in Konkurrenz zu Hausarzt, Palliativstation oder Pflegedienst, sondern versuchen für die Patienten und ihre Familien die beste Lösung zu finden.

Es gibt ja bereits den Hospizverein in Freising.

Pröscholdt-Graupner: Genau. Der Hospizverein übernimmt die allgemeine ambulante Palliativversorgung für den Landkreis Freising. Die SAPV kommt dazu, sobald der Patient eine besonders aufwendige Behandlung und Betreuung benötigt. Im Vordergrund unserer Arbeit steht "die medizinisch-pflegerische Zielsetzung, Symptome und Leiden einzelfallgerecht zu lindern." Die Pflege bleibt immer noch Aufgabe der ambulanten Pflegedienste - die SAPV berät medizinisch, koordiniert und schaut, dass der Patient medikamentös richtig eingestellt ist. Damit das möglich ist, besteht unser Team aus speziell ausgebildeten Palliativ-Care-Schwestern sowie Fachärzten mit einer Zusatzausbildung in Palliativmedizin. Zu den fest angestellten Teammitgliedern zählen alle Palliativ-Care-Schwestern, unter anderem meine Kollegin Gudrun Müller. Die Ärzte beschäftigen wir auf Honorarbasis.

Gudrun Müller: Dadurch, dass wir unsere Palliativmediziner immer im Hintergrund haben, die sich um die Medikamentenverordnungen kümmern und auch Hausbesuche - auch am Wochenende oder an Feiertagen - machen, können wir Krankenhauseinweisungen oft vermeiden.

SAPV, Hospizdienst, Pflegedienst, Palliativstation - Wer koordiniert deren Zusammenarbeit?

Pröscholdt-Graupner: Bei der Versorgung entscheidet immer der Hausarzt. Er ist ja derjenige, der den Patienten begleitet - egal, ob nun in der Zusammenarbeit mit dem Hospizdienst oder der SAPV. Er bespricht mit uns die Therapie, kann sich aber auch auf uns verlassen, wenn akute Situationen auftreten, die eine sofortige Intervention erfordern. Dafür ist die SAPV 24 Stunden lang erreichbar.

Seit wann gibt es das Konzept der SAPV überhaupt?

Pröscholdt-Graupner: Vor acht Jahren hat die Bundesregierung ein Gesetz auf den Weg gebracht, in dem festgeschrieben steht, dass jeder Schwerstkranke Anspruch auf eine SAPV hat. Angestoßen hat das Ganze die Hospizbewegung, eine Bürgerbewegung, die sich seit Anfang der Achtzigerjahre für eine angemessene Betreuung schwerstkranker Menschen engagiert. Seit dem ist wahnsinnig viel erreicht worden, unter anderem auch die Realisierung der SAPV. Deren Finanzierung ist zum Beispiel auch sehr hart erkämpft worden - es ist es wirklich ein großer Fortschritt, dass die Kassen jetzt die Kosten für die Behandlung übernehmen.

Wie begleiten Sie den Patienten auf seinem Sterbeprozess?

Pröscholdt-Graupner: Wir versuchen in der Palliativmedizin den Patienten möglichst ganzheitlich zu umsorgen. Medizin ist nur ein Teil des Ganzen - auch Spirituelles und Psychosoziales spielen mit hinein. Wir kommen einfach in ein Familiensystem rein, in dem oftmals Angst, Verzweiflung, Trauer, ja, große Emotionen vorherrschen. Als Palliativ-Care-Schwester ist man dann gefordert, man muss gleichzeitig schauen, wie man mit der Situation umgeht und dabei das System stützt. Viele Angehörige haben beispielsweise Angst, Opiate zu verabreichen. Dann trägt es viel zu deren Beruhigung bei, wenn sie einen Ansprechpartner haben, den sie jederzeit anrufen und fragen können.

Was ist die wichtigste Eigenschaft, die man im Umgang mit Sterbenden haben muss?

Müller: Man braucht vor allem Empathie für den Patienten. Ich kriege oft zu hören: "Wie kannst du das nur aushalten?" Ich kann nichts dafür, dass der Mensch so krank ist. Was ich kann, ist den Menschen zu begleiten und versuchen ihm seine Leiden zu lindern.

Pröscholdt-Graupner: Leiden zu lindern - das ist in der Palliativ-Care wirklich essenziell. "Wir können Ihnen nicht mehr helfen" ist ein Satz, der einfach nicht zutrifft. Allein durch eine gute Schmerzbekämpfung kann ein Patient sein Leben noch ganz anders gestalten, als ein Patient, der vor lauter Schmerzen nicht mehr klar denken kann.

Müller: Ich glaube auch, dass es für viele Menschen ganz wichtig ist, zu Hause sterben zu dürfen. Denn ein Krankenhaus hat in erster Linie den Auftrag zu heilen. Doch Patienten, die man nicht mehr heilen kann, denen tut es wirklich gut, mit ihren Angehörigen in gewohnter Umgebung sein zu dürfen. Nach meiner Erfahrung denken diese anfangs oft, dass sie die Situation nicht aushalten können. Tatsächlich sind die letzten Tage, die die Angehörigen dann mit ihrem geliebten Menschen verbringen dürfen, sehr innig. Was am Ende bleibt sind die dankbaren Erinnerungen.

Fungieren Sie also als helfende Hand im Hintergrund?

Pröscholdt-Graupner: Nein, so kann man das nicht sagen. Die Herausforderung für uns ist, dass wir uns zurückhalten und aber auch erkennen müssen, wann wir gebraucht werden. Wir drängen uns nicht auf, können aber in Krisensituationen sofort eingreifen. Wir freuen uns darüber, dass wir mit unserer Arbeit dieses Jahr beginnen konnten und damit eine bestehende Lücke im Versorgungsnetz schließen.

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Quelle:
SZ vom 21.03.2016
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