Neue Wege für Menschen mit Demenz:Betreuen statt verwalten

Neue Wege für Menschen mit Demenz: Die an Demenz erkrankten Frauen leben in einer betreuten Wohngemeinschaft des Vereins "Älter werden in Eching".

Die an Demenz erkrankten Frauen leben in einer betreuten Wohngemeinschaft des Vereins "Älter werden in Eching".

(Foto: Marco Einfeldt)

In Eching gibt es die einzige Wohngemeinschaft für Demenzkranke im Landkreis Freising. Alles ist dort auf ihre Bedürfnisse abgestimmt, sie erhalten die ganze Aufmerksamkeit der Mitarbeiter vom Verein "Älter werden in Erding". Den Einzug dort hat noch niemand bereut.

Von Klaus Bachhuber, Eching

Zum Krankheitsbild bei Dementen gehört es, dass sie immer wieder weglaufen und dann meist hilflos umherirren. Aber als Folker Wucholt einmal seine Mutter besuchen wollte, da war nicht nur die 97-Jährige verschwunden, sondern gleich die komplette Wohngruppe Demenzerkrankter. Nun, das Wetter war prima, und die acht dementen Damen waren auf ein Eis gegangen - allerdings schon mit ihren beiden Betreuerinnen.

"Es herrscht eine fast schon familiäre Betreuung hier", sagt der langjährige Angehörigensprecher Wucholt über die Wohngemeinschaft des Vereins "Älter werden in Eching".

Die WG an der Heidestraße ist die einzige Einrichtung ihrer Art im gesamten Landkreis Freising. 2008 eröffnet, steht die Wohngemeinschaft gerade vor einem größeren Umbruch, weil von den acht Bewohnerinnen zuletzt binnen weniger Wochen drei gestorben sind und damit nun fast die Hälfte der WG neu besetzt wird. Seit der Gründung haben nur Frauen die Wohngemeinschaft gebildet, nun werden auch die ersten zwei Männer erwartet.

Wucholts Mutter, eine Bewohnerin der ersten Stunde, ist vor wenigen Tagen gestorben. "Keine Minute bereut" habe man den Einzug, betont er. Jede Seniorin bewohnt ihr eigenes Einzelzimmer, das sie mit persönlichen Einrichtungs- und Erinnerungsgegenständen ausstatten kann. Extrem wichtig für Demenzerkrankte. "An ihren Möbelstücken hat sie ihre Erinnerungen aufgebaut", sagt Wucholt.

Außerhalb der individuellen Rückzugsräume herrscht in der hellen und großzügigen Wohnküche Gemeinschaftsleben. Hier ist nicht Mittagszeit, wenn die abgepackten Essen auf die Tische gestellt werden - hier wird wie daheim gekocht, während die Damen dasitzen, zusehen, oder bei entsprechender Eignung auch selbst mit anpacken. Wie die demente Seniorin, der es plötzlich über Tage das größte Anliegen war, Schnitzel zu braten, wie vielleicht mal früher in ihrem Leben.

"Das Bedürfnis, mitzumachen, schläft langsam ein", weiß Angelika Hanrieder, deren Mutter ebenfalls seit 2008 in der WG lebt. Die beiden Betreuerinnen vom Pflege- und Betreuungsdienst des Vereins versuchen, diesen Situationen individuell gerecht zu werden. "So lange es geht, versuchen wir zu motivieren, die Selbständigkeit zu erhalten", sagt Heike Weiner.

"Unglaublich persönliche Betreuung"

Täglich gibt es Gemeinschaftsaktion wie Singkreis oder Zeitunglesen. Wenn es geht, werden Ausflüge unternommen, dazu steht ein wissenschaftlich gestalteter Garten für die speziellen Bedürfnisse von Alter und Krankheit zur Verfügung.

"So viel Aufmerksamkeit kann man bei der Pflege in der Familie nie aufwenden", betont Wucholt. Die Betreuung sei "unglaublich persönlich". Er habe das sichere Gefühl, dass sich seine Mutter hier "sehr wohlgefühlt" habe. "Sie fühlt sich wie daheim", erlebt auch Angelika Hanrieder an ihrer Mutter. Als entscheidendstes Plus der WG empfindet sie die komplett auf die dementen Menschen und ihre Gefühlswelt abgestimmte Atmosphäre.

Ihre seit 17 Jahren erkrankte Mutter war zunächst in einer Tagespflegeeinrichtung. Alleine der tägliche Wechsel von zu Hause in die Tagespflege aber bedeutet für die dementen Senioren Höchststress. "Das Angenehme hier ist die Ruhe", schwärmt Hanrieder. Ihre Mutter habe vertraute Umgebung, Bezugspersonen, Orientierungspunkte. In der Gemeinschaft verlaufe auch der demenzielle Abbau der Fertigkeiten langsamer, hat sie wahrgenommen.

Derartige Wohngemeinschaften bedeuten "einen Schub in der Altenhilfe", schildert Siglinde Lebich, Geschäftsführerin von "Älter werden in Eching". Bayern, wo es erst rund 150 dieser Einrichtungen gebe, hinke allerdings deutlich hinterher. Inklusive Miete, Nebenkosten und der WG-Kasse müsse für jeden Platz monatlich rund 2200 Euro Eigenanteil zuzüglich zur Pflegekassenleistung aufgewendet werden, erläutert sie, das sei ein durchaus vergleichbarer Betrag zur klassischen Heimunterbringung. Bei einkommenschwächeren Personen springe das Landratsamt ein.

Der Bezug der WG ist laut Lebich ideal, solange noch ausreichend Orientierungsvermögen vorhanden sei, um sich auch einzugewöhnen. Die Betreuung geht dann im Haus bis zum Tod. Im Flur hängen alle Sterbebilder der verschiedenen Bewohnerinnen. Vergessen wird hier keiner.

Infos und Anmeldung im ASZ Eching, Bahnhofstrasse 4, 85386 Eching, Tel. 0 89/3 27 14 20, www.asz-eching.de.

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