Bestandsaufnahme im Kreis Freising:Der Kampf beginnt gerade erst

Bestandsaufnahme im Kreis Freising: Fein säuberlich hat sich dieser Landwirt südlich von Günzenhausen mit Pflöcken markiert, wo der Maisacker jetzt endet. Mit der 5-Meter-Abstandsregelung sollen in Zukunft weniger Pestizide und Dünger in die Bäche gelangen. Ein Streifen Wiese zusätzlich bietet außerdem mehr Lebensraum für Tiere und Pflanzen.

Fein säuberlich hat sich dieser Landwirt südlich von Günzenhausen mit Pflöcken markiert, wo der Maisacker jetzt endet. Mit der 5-Meter-Abstandsregelung sollen in Zukunft weniger Pestizide und Dünger in die Bäche gelangen. Ein Streifen Wiese zusätzlich bietet außerdem mehr Lebensraum für Tiere und Pflanzen.

(Foto: Marco Einfeldt)

Das Volksbegehren für Artenvielfalt "Rettet die Bienen!" war das bisher erfolgreichste in der Geschichte Bayerns. Doch was hat sich seitdem getan? Die SZ hat nachgefragt, wie verschiedene Protagonisten die Lage beurteilen

Von Gudrun Regelein und Alexandra Vettori, Freising

Im Februar 2019 ging es los, mit langen Menschenschlangen vor den Rathäusern. Nach zwei Wochen hatten über 1,7 Millionen Wahlberechtigte unterschrieben, 18, 3 Prozent. Damit war das Volksbegehren für Artenvielfalt "Rettet die Bienen!" das bisher erfolgreichste in der Geschichte Bayerns. Die Initiatoren, vor allem ÖDP, Landesbund für Vogelschutz und Grüne, jubelten. Am 17. Juli nahm der Landtag das Artenschutzvolksbegehren an. Rund 100 neuen Regelungen traten am 1. August 2019 in Kraft und sollten fortan für besseren Natur- und Artenschutz in Bayern sorgen.

Ein dreiviertel Jahr später hat sich zumindest augenscheinlich nicht viel geändert. Landwirte bringen wie gehabt Dünger und Pestizide aus, Gebüsche werden von kommunalen Bauhöfen weiter rigide gestutzt, selbst kümmerliche Wiesenstreifen an Feldwegen gemäht. Gerade erst hat es im Bayerischen Landtag harsche Kritik von SPD und Grünen für die Landesregierung gehagelt, weil es keine belastbare Ist-Analyse für den Zustand der bayerischen Naturflächen gibt. Nicht einmal die genaue Zahl der Biotope in Bayern kennt man, denn in fast der Hälfte der 71 Landkreise sind die Kartierungen der Lebensräume von Wildtieren und Pflanzen mehr als 20 Jahre alt. Die SZ fragte nach, wie es im Landkreis Freising aussieht und wie die unterschiedlichen Protagonisten die Umsetzung sehen.

Der Vogelschützer

Bestandsaufnahme im Kreis Freising: Günther Knoll, Landesbund für Vogelschutz.

Günther Knoll, Landesbund für Vogelschutz.

(Foto: Marco Einfeldt)

Grundsätzlich sei das neue Gesetz gut, sagt Günther Knoll, der Vorsitzende der Kreisgruppe Freising beim Landesbund für Vogelschutz (LBV). "Aber die Ausführungsbestimmungen müssten eben auch so sein, dass das Ganze umsetzbar ist", moniert er. Tatsächlich habe sich bislang "kaum etwas verbessert." Dazu, sagt Knoll, müsste man die Unteren Naturschutzbehörden personell besser ausstatten, mit gerade einmal zwei Mitarbeitern in Freising sei es nur schwer zu kontrollieren, ob die neuen Bestimmungen ausgeführt werden. Der LBV schicke selbst Mitarbeiter los, die beispielsweise überprüfen, ob bei Gewässerstreifen der Abstand passt. Einen solchen nämlich müssen Bauern jetzt einhalten. Erste Trends könne man aber durchaus schon sehen, so Knolls Einschätzung. Er nennt als Beispiel die Wiesen, die nicht mehr so früh gemäht werden wie früher und länger auswachsen dürfen. Konkrete Ergebnisse aber erwartet sich Günther Knoll frühestens in fünf Jahren.

Ein großes Problem sei, sagt er, dass sich bei den Landwirten eine Front gebildet habe. "Da gibt es die ökologisch denkenden und solche, die sich die grünen Kreuze auf ihre Felder gestellt haben. Die denken, dass das neue Gesetz ihren Ruin bedeutet." Man hätte die Landwirte früher ins Boot holen sollen, sagt Knoll, das sei ungeschickt gelaufen. Die Landwirte nämlich brauche man, "an denen kommen wir nicht vorbei". Gut funktionieren könne es auch nur, wenn die Förderrichtlinien verändert würden, meint Knoll. Notwendig wäre eine ökologisch sinnvolle Förderung und nicht eine, die sich an der Betriebsgröße orientiert. "Die Subventionen gehören auf den Prüfstand, das ist der Hauptschlüssel."

Eigentlich sollte die Umsetzung aktuell schon laufen, die Uferstreifen beispielsweise verbreitert werden. Bei seinen Streifzügen durch die Natur sehe er davon aber nicht wirklich viel, sagt Günther Knoll. Erst vor ein paar Tagen war er wieder beim Kartieren, also Arten zählen, in der Nähe von Neufahrn unterwegs: Dort würden die Äcker immer weiter an den Wegesrand heranreichen, erzählt er. War es früher noch ein Meter Abstand, sind es mittlerweile nur noch 20 Zentimeter. "Das geht schleichend, ist kaum sichtbar." So verschwinden auch immer mehr Hecken, die den Vögeln wichtigen Brut- und Rückzugplatz bieten.

Die Behörde

Bestandsaufnahme im Kreis Freising: Jörg Steiner, Untere Naturschutzbehörde.

Jörg Steiner, Untere Naturschutzbehörde.

(Foto: Marco Einfeldt)

Tatsächlich, sagt Jörg Steiner, der Leiter der Unteren Naturschutzbehörde im Landratsamt Freising, seien seiner Behörde bestimmte Bereiche zur Kontrolle zugeordnet worden. Nämlich das landwirtschaftliche Grünland, die Feldgehölze und Hecken - auch dort, wo Neubauten entstehen und an Straßen. Rechnerisch hat er dafür 2,5 staatliche Fachkräfte, zu denen 1,5 gemeindliche kommen. Grünlandumbruch, also das Umackern von Wiesen, ist auch jetzt noch möglich, unter bestimmten Voraussetzungen und bei entsprechendem Ausgleich. Der Unterschied: Früher hat allein das Amt für Landwirtschaft über die Anträge entschieden, jetzt muss auch die UNB ihr Placet erteilen. Dazu brauchen jetzt auch Biobauern eine Genehmigung für den Umbruch, das war früher anders. Allerdings entwickelte sich daraus mancherorts eine unerwünschte Zusammenarbeit von Biobauern und konventionellen Kollegen, die die Wiesen übernahmen, sobald die Erlaubnis da war.

Die Wiesen-Walz, die jetzt nur noch bis 15. März erlaubt ist, um die Gelege von bodenbrütenden Vögeln, Junghasen und -rehe vor dem Tod durch die Eisenwalze zu schützen, startete in ihrem ersten Jahr gleich einmal mit einer Ausnahme in Form von zwei Wochen Verlängerung. Der Grund: Schlechtes Wetter hatte das Walzen lange verhindert. Die Ausnahme aber, betont Steiner, habe nur außerhalb von Wiesenbrütergebieten gegolten.

Auch mit wenig Personal führe man Kontrollen durch, sagt er, manchmal melden auch Spaziergänger Verstöße. Die kommen überall vor, ebenso wie der Wunsch nach Ausnahmegenehmigungen: "Unzählige Leute rufen an, weil sie noch nach Beginn der Vogelbrut fällen müssen", berichtet er. Dann kontrollieren Mitarbeiter von der UNB, ob brütende Vögel betroffen sind. Manchmal, wie kürzlich im Freisinger Moos, wird trotzdem gefällt, die Gefahr durch herab fallende Äste der alten Pappeln war zu groß. Das Nest mit vier Star-Jungen, das die UNB-Mitarbeiter fanden, wurde gesichert, die Vogelbabys werden jetzt mit der Hand aufgezogen. Ein Umstand schmälert die erzieherische Wirkung der Kontrollen: Einen Bußkatalog gibt es noch keinen, da hinkt das Bayerische Umweltministerium hinterher.

Mit dem Vertragsnaturschutz läuft es laut Steiner im Landkreis aber gut. Die Summe, die an Bauern für schonendere Feldbewirtschaftung ausgezahlt wird, hat sich fast verdoppelt, auf 500 000 Euro. Früher sei es oft kein Geld mehr im Topf gewesen. "Diesmal konnten wir alle sinnhaften Anträge erfüllen", so Steiner. Das Vertragsnaturschutzprogramm, für das die UNB zuständig ist, ist besonders wichtig für den Biotop-Verbund, den das neue Artenschutzgesetz fordert. Im Landkreis gibt es dazu schon seit Ende der 1990er Jahre ein Konzept. "An dem arbeiten wir uns entlang, und immer wenn wir zusätzliches Geld bekommen, machen wir weiter", so Steiner. Das Bürgerbegehren, betont er, "das war es sicher wert". Auch wenn man sich im Klaren darüber sein müsse, dass der Kampf um die Arten gerade erst so richtig beginne. "Wir haben global jedes Jahr einen Verlust, auch vor unserer Haustüre. Immer wieder fallen Knoten aus dem ökologischen Netz heraus, das merkt man am Anfang nicht, aber irgendwann kommt der Punkt, an dem das Netz reißt."

Der Bund Naturschutz

Manfred Drobny

Manfred Drobny, Bund Naturschutz.

(Foto: Lukas Barth)

Auch Manfred Drobny, der Kreisgeschäftsführer des Bunds Naturschutz (BN), sieht in den Kontrollen ein großes Problem. "Unserer Kenntnis nach passiert da nichts. Das kann auch daran liegen, das bei den zuständigen Behörden das Personal fehlt." Wichtig für Drobny wäre auch eine Zielkontrolle, also zu schauen, ob eine Maßnahme das eigentlich Ziel - die Förderung der Artenvielfalt beziehungsweise den Stopp des Artenschwundes - erreicht hat. Dafür aber, so kritisiert er, gebe es noch nicht einmal ein Konzept.

Bei der aktuelle Entwicklung liege noch viel im Argen. Positiv bewertet Drobny, was sich beim urbanen Grün und den privaten Gärten getan hat. Da gebe es gute Ansätze, er hofft, dass das Schule macht. Bei den anderen Zielen aber passiere nur wenig. Zwar gebe es Einzelaktionen, wie die Schaffung von Blühstreifen und -wiesen. "Für die Artenvielfalt wird das aber leider nicht viel bringen, denn die werden später wieder eingeackert. Die Wirkung geht gegen Null." Bei der Pflege der Naturlandschaft müsse sich etwas ändern, beispielsweise beim Umgang mit Wildgehölz oder dem Entfernen von Hecken. Positive Signale von zumindest einigen Landwirten gebe es, "das Bewusstsein wäre schon da". Aber die Umsetzung sei problematisch, sagt Drobny. Denn falls ein Landwirt seine Wiese stehenlässt und nicht umbricht, bekommt er keine Ackerförderung - was für ihn einen finanziellen Verlust bedeutet. Da sei die große Politik gefragt.

Was sich Drobny für den Landkreis wünscht: Die staatlichen Auwälder an der Mittleren Isar zwischen Freising und Moosburg sollten aus der Nutzung genommen und zu einem Naturwald werden. Das sei im Gespräch, der BN versuche, das voranzutreiben. "Das würde auch wirklich etwas bringen." Wichtig wäre für ihn auch, die Flächen im Freisinger und Erdinger Moos nicht weiter zu entwässern. In dem für viele Tiere und Pflanzen wichtigem Lebensraum sinke seit Jahrzehnten der Grundwasserspiegel, was die schleichende Zerstörung eines bedeutsamen Naturraumes bedeute.

Das Amt für Landwirtschaft

Bestandsaufnahme im Kreis Freising: Otto Roski, Amt für Landwirtschaft.

Otto Roski, Amt für Landwirtschaft.

(Foto: Renate Schmidt)

Aus anderem Blickwinkel betrachtet Otto Roski, der Leiter des Amts für Landwirtschaft und Forsten, die Sache. Das Amt mit Sitz in Erding ist für Beratung, Weiterbildung und Antragsabwicklung auch der rund 1600 Landwirte im Landkreis Freising zuständig. Die größte Rolle für den Erhalt der Artenvielfalt spielt derzeit das Kulturlandschaftsprogramm, Kulab, das es schon seit 1987 gibt und das eine umweltschonende Bewirtschaftung der Felder fördert. "Mehr Geld grundsätzlich gibt es dafür jetzt nicht", sagt Roski. Vielmehr seien nur neue Maßnahmen konzipiert und andere dafür gestrichen worden. Ein Beispiel für Letzteres sind die Fünf-Meter-Streifen an Bächen. "Das ist jetzt vorgeschrieben und wird deshalb nicht mehr gefördert." Wie die neuen Programme angenommen werden, kann er noch nicht sagen. Erst am 15. Mai müssen die Mehrfachanträge im Amt eingegangen sein. Roski weiß aber, dass viele Landwirte schon genug mit der neuen, strengeren Düngemittelverordnung zu tun haben. "Wen wundert es da, dass die Landwirte wenig Freude an den Vorgaben des Bürgerbegehrens haben?", fragt er. Zwischen zwei und drei Millionen Euro fließen jährlich aus den Kulab-Programmen an die 1500 Mehrfachantragsteller aus dem Landkreis, rechne man es um, "bleibt für den einzelnen nicht viel", so Roski. Man dürfe auch nicht vergessen, dass die Förderungen ein Ausgleich für Ertragsverlust oder zusätzliche Arbeit seien, "kein geschenktes Geld". Auch was den Auftrag des Bürgerbegehrens anbelangt, bis in zehn Jahren den Anteil der Biobauern zu verdreifachen, wagt Roski keine Prognose. Da spiele der Markt eine große Rolle, also die Nachfrage. Momentan sei es schwer für umstiegswillige Bauern, einen Öko-Vermarkter für ihre Produkte zu finden. Die nämlich brauchen derzeit keine neuen Produzenten, weil der Kunde nicht nach mehr Bioware verlangt.

Das Naturschutzgesetz

Seit vergangenem August hat Bayern ein neues Naturschutzgesetz. Darin verpflichtet sich der Freistaat zur "dauerhaften Sicherung und Entwicklung der Artenvielfalt in Flora und Fauna". Viele der Vorgaben betreffen Landwirte, deren konventionelle Methoden am Artensterben großen Anteil haben. Deshalb soll, so sagt es das Gesetz, der Anteil ökologisch wirtschaftender Landwirte von derzeit zehn Prozent auf mindestens 20 Prozent bis 2025 und 30 Prozent bis 2030 steigen. Dazu kommt das Verbot, Dauergrünland in Äcker umzuwandeln, Feldgehölze und natürliche Totholzsammlungen zu zerstören oder auf Dauergrünland Pflanzenschutzmittel einzusetzen. Ab einem Hektar Agrarfläche muss wildschonend von innen nach außen gemäht werden. An Gewässern müssen bei der Bewirtschaftung fünf Meter Abstand zum Ufer eingehalten werden. Dazu soll der Biotopanteil bis 2023 auf zehn Prozent der unbebauten Fläche und bis 2027 auf 13 Prozent anwachsen. regu

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