Süddeutsche Zeitung

Innovation in Hallbergmoos:Ein Haus erzeugt seinen  Strom selbst

Eineinhalb Jahre lang wohnt ein TU-Professor mit seiner Familie Probe, sein Urteil zum Energie-Plus-Heim ist positiv. Jetzt zieht die Baufirma Krieger gleich selbst ein und richtet dort ihre neue Niederlassung für Süddeutschland ein

Von Petra Schnirch, Hallbergmoos

"Wir haben uns sehr wohl gefühlt", resümiert Franz Hagn. Eineinhalb Jahre lang wohnte der TU-Professor mit seiner Frau und den beiden Kindern in einem innovativen Energieplushaus. Das Besondere an dem Praxistest: Eine Fotovoltaik-Anlage auf dem Flachdach lieferte einen Großteil der benötigten Energie und sogar das E-Auto, das der Familie zur Verfügung stand, konnte damit aufgeladen werden. "Das ist eine völlig neue Generation des Bauens", schwärmte Klaus Peter Sedlbauer, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik, zum Abschluss des Projekts "e-Mobilie". "Wir haben extrem viel gelernt."

Größtes Schwierigkeit ist das Speichern der erzeugten Solarenergie. Über Nacht ist das bereits machbar. Die große Herausforderung sei, dass dies künftig auch bis zu sieben Tage möglich wird, sagte Sedlbauer. "Wir haben keine Energieprobleme, sondern ein Transformations- und Speicherproblem." In dem Energieplushaus wird mit dem Strom, der nicht direkt benötigt wird, ein Batteriespeicher aufgeladen. Eine Wärmepumpe erzeugt mit dem Solarstrom zudem thermische Energie, dadurch konnte der Eigenverbrauch maximiert werden. Über ein Energiemanagementsystem ließen sich Stromfresser wie Waschmaschine, Trockner oder Spülmaschine steuern. Die Bewohner konnten ein Zeitfenster vorgeben, in dem bestimmte Geräte gestartet werden sollten. In der Versuchsphase von Januar 2015 bis Juni 2016 wurden viele Messewerte erhoben.

Der Anstoß zu dem Projekt kam von Bauunternehmer Matthias Krieger. Gemeinsam mit dem 2015 verstorbenen Bauphysiker Gerd Hauser entwickelte er das Konzept für ein solches Haus. "Unabhängig leben", das sei seine Vision, sagte Krieger. Die Gemeinde Hallbergmoos stellte schnell ein Grundstück zur Verfügung, der Kontakt zum damaligen Bürgermeister Klaus Stallmeister war auf einer Messe zustande gekommen. Auch BMW und die Firma SMA Solar Technology AG stiegen mit ein.

Rechnerisch deckte der erzeugte Strom nach Angaben der TU München 81 Prozent des gesamten Energieverbrauchs ab. Ohne Auto waren es sogar 102 Prozent - das bedeutet, die Fotovoltaikanlage produzierte zwei Prozent mehr Strom, als im Haus selbst benötigt wurden. Allerdings wurden 36 Prozent des erzeugten Solarstroms ins Stromnetz eingespeist, die Eigenverbrauchsquote lag bei 64 Prozent.

Klaus Peter Sedlbauer wünscht sich, dass auch große Bürokomplexe künftig weitgehend energieautark betrieben werden können. Auch eine weitere Idee treibt ihn um: wie bestehende Gebäude ebenfalls in Energieplushäuser verwandelt werden können.

Franz Hagn und seine Familie sind im Sommer zunächst in eine Wohnung umgezogen. Derzeit bauen sie selbst im Süden von München ein Haus. Und er habe sich von den Erfahrungen in Hallbergmoos inspirieren lassen, erzählte er. Zwar wird es kein Energieplus-, immerhin aber ein Niedrigenergiehaus mit Wärmepumpe und Fotovoltaikanlage. Außerdem soll gleich eine Leitung zum Aufladen von Elektroautos gelegt werden. Ein Problem ist für Hagn derzeit die begrenzte Reichweite der Fahrzeuge. Der Wohn-Test habe zeitlich gut reingepasst, schilderte der Wissenschaftler. Die Familie kam damals gerade aus den USA zurück und suchte eine Wohnung. Außerdem habe ihn das Projekt neugierig gemacht. "Es wird einem bewusst, wie viel man sonst aus dem Fenster heizt." In den 18 Monaten im Energieplushaus habe er sich deutlich mehr Gedanken über das Thema Energieverbrauch gemacht als davor oder auch danach. Mit der Bedienerfreundlichkeit war die Familie weitgehend zufrieden, sie hatte aber auch einige Verbesserungsvorschläge, was die Steuerung der Geräte angeht.

Nach dem Auszug der vier Test-Bewohner nutzt künftig das Bauunternehmen Krieger + Schramm den Kubus an der Maximilianstraße selbst als neue Niederlassung für den Raum München. Die TU München wird dort weiterhin Messwerte erheben.

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Quelle:
SZ vom 14.10.2016
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