„Eigentlich ist das ja Friedenssicherung“, sagt Frieder Luz, langjähriger Auslandsbeauftragter der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf (HSWT). Viele Jahre lang hat sich der emeritierte Professor an der Fakultät Landschaftsarchitektur dafür eingesetzt, dass möglichst viele Studierende über das Erasmus-Programm der EU für ein Semester ins Ausland gehen – und dass diese Zeit als Studienleistung anerkannt wird. Das Studium sei aber nur die eine Sache. Es gehe auch darum, Land und Leute kennenzulernen, sagt Luz. „Das ist eine fachliche und persönliche Horizonterweiterung.“
Auch das Doppeldiplom an der HSWT mit dem Institut Agro im französischen Angers hat er 2007 mitinitiiert und lange begleitet. Etwa 110 Absolventen und Absolventinnen haben seitdem auf beiden Seiten ihren Doppelabschluss gemacht. Dass ein solches Miteinander noch vor einigen Jahrzehnten nicht selbstverständlich war, hat Luz selbst erlebt, als er als 17-Jähriger beim Schüleraustausch in Grenoble war. Erwachsene hätten ihm, dem Deutschen, damals die Hand verweigert, erinnert er sich. In Grenoble sind aber auch Freundschaften fürs Leben entstanden. Luz ist gerade wieder dorthin aufgebrochen.
Der Doppel-Abschluss wird nicht nur bei Unternehmen im Inland geschätzt. Er erleichtert es auch, im jeweils anderen Land beruflich Fuß zu fassen. Ein Absolvent aus Frankreich hat laut Luz für eine große Baumschule in Norddeutschland den französischen Markt betreut, eine Deutsche einen Naturpark in Frankreich geleitet. „Die EU hat uns den Frieden mit ganz vielen Ländern gesichert“, sagt Luz – obwohl die Großväter noch aufeinander geschossen hätten.
Auch Madeleine Pechinger, 22, kann es sich vorstellen, einmal in Frankreich zu arbeiten. Die Studentin der Landschaftsarchitektur an der HSWT bleibt noch bis Mitte 2025 in Angers, derzeit absolviert sie ein Praktikum bei einem Unternehmen nahe Paris. Am ersten Tag, bei der ersten Vorlesung auf Französisch, habe ihr der Kopf geraucht, erzählt sie. Inzwischen aber gehe es mit der Sprache sehr gut. „Das hat sich eingependelt.“ Dass der Austausch so einfach möglich ist, sei klasse. „Das ist eine tolle Erfahrung.“ Und auch sie meint, dass sie davon sowohl für ihr Studium als auch menschlich profitiere.
Auch an der TU München in Weihenstephan profitieren Studierende sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von europäisch geförderten Maßnahmen zum internationalen Austausch. Das Erasmus+-Programm der EU trage entscheidend zur Erweiterung der globalen Perspektiven ihrer Studierenden bei, heißt es vonseiten der TUM. Der Kontakt mit verschiedenen Bildungssystemen und Forschungsmethoden vermittele ihnen nicht nur ein umfassendes wissenschaftliches Verständnis, sondern fördere „auch einen Geist der Innovation und Anpassungsfähigkeit – wesentliche Eigenschaften für zukünftige Führungskräfte“.
Einer, der diese Möglichkeit wahrgenommen hat, ist Timotius Crone-Rawe, Student im Master-Studiengang „Nutrion and Biomedicine“. Durch die Erasmus+-Förderung absolvierte er sowohl ein Austauschsemester in Dänemark als auch ein Forschungspraktikum an der Universität Maastricht in den Niederlanden. Die Aufenthalte hätten ihm gezeigt, wie sein Studienfach im europäischen Ausland gelehrt und verstanden wird, zum Beispiel durch die Teilnahme an interessanten Wahlmodulen, schildert er. Und auch er betont die menschliche Komponente: „Darüber hinaus hat mir der Austausch geholfen, zu verstehen, welche Gemeinsamkeiten ich mit Gleichaltrigen in ganz Europa teile.“
Programme wie Erasmus+ erleichtern auch den Austausch von Ideen und bewährten Praktiken unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der TUM. Das Marie-Skłodowska-Curie-Programm hilft den Forschenden bei der Karriereentwicklung. Stephen Schrettl, Head of International Relations der School of Life Sciences, sagt dazu: „Diese Programme stärken nicht nur die akademischen und forschungsbezogenen Fähigkeiten, sondern fördern auch die Werte des gegenseitigen Verständnisses und der Zusammenarbeit, die in der heutigen vernetzten Welt unerlässlich sind.“
Der Austausch auf verschiedenen Ebenen trägt laut TUM erheblich zur Entwicklung gemeinsamer Projekte und Forschungsinitiativen bei – das wiederum hilft, innovative Ansätze zur Bewältigung globaler Herausforderungen in den vielfältigen Themengebieten der TUM in Weihenstephan zu entwickeln.
Europäische Forschungsprojekte
Auch auf Forschung und Lehre an der TUM hat die Europäische Union weitreichende Auswirkungen, sowohl für die Mitarbeitenden als auch für Studierende. So profitiert die TUM am Standort Weihenstephan im Bereich der Forschung von mehreren europäischen Forschungsprojekten und -förderungen.
Ein Beispiel dafür ist das Projekt „Circular Agronomics“, das darauf abzielt, Nährstoffkreisläufe in der Agrar- und Lebensmittelkette zu schließen. Es geht um praktischer Lösungen zur Verbesserung der derzeitigen Kreisläufe von Kohlenstoff (C), Stickstoff (N) und Phosphor (P) in europäischen Agrarökosystemen sowie innerhalb der Wertschöpfungskette der Lebensmittelproduktion. Ingrid Kögel-Knabner, Dekanin der TUM School of Life Sciences, war an diesem Vorhaben mit ihrem Lehrstuhl für Bodenkunde beteiligt.
In sechs europäischen Fallstudien wurde eine Reihe von agronomischen Kreislauftechniken getestet, die für unterschiedliche Bedingungen in der jeweiligen Region stehen. „Unsere Bewertungen potenzieller Lösungen für die Agrar- und Ernährungswirtschaft sowohl aus ökologischer Sicht, zum Beispiel bei der Düngungseffizienz, als auch aus sozioökonomischer Sicht bieten evidenzbasierte Unterstützung für die Einführung solcher Kreislaufverfahren im Nährstoffmanagement“, erläutert Ingrid Kögel-Knabner. An europäischen Forschungsprojekten wie Circular Agronomics zeige sich, dass die Relevanz dieser Vorhaben über die Wissenschaft hinausreiche und gesellschaftliche Innovationsprozesse europaweit befördern könne.
Das Projekt Ecolopes (Ecological envelopes) wird ebenfalls durch die EU gefördert. Das im April 2021 begonnene interdisziplinäre Vorhaben zielt darauf ab, Architektur so zu konzipieren, dass sich die gebaute Umwelt der Stadt und die Natur gemeinsam zu einem neuen und vielfältigeren System weiterentwickeln können. Um dieses Ziel zu erreichen, werde ein radikal neuer, integrierter ökosystemischer Ansatz verfolgt, der gleichermaßen Menschen, Pflanzen, Tiere und sogar Organismen wie Mikroben einbezieht, so die TUM.
Um diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen, entwickeln Forschende der Bereiche Ökologie, Architektur, Landschaftsarchitektur und Softwareingenieurwesen aus fünf Ländern digitale Werkzeuge und Arbeitsabläufe, die die Integration ökologischen Wissens in den Entwurfsprozess von Bauwerken ermöglichen. Von der TUM ist unter anderem Wolfgang Weisser, Professor für Terrestrische Ökologie, an diesem europaweiten Projekt beteiligt.
Positiv für den wissenschaftlichen Output, aber auch für die Lehre
Zudem unterstützen ERC Grants mehrere Forschende am TUM-Standort Weihenstephan. ERC Grants sind die bekanntesten europäischen Wissenschaftspreise, die der Europäische Forschungsrat (European Research Council: ERC) vergibt. Damit werden Spitzenwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler in der Grundlagenforschung, bei visionären Projekten sowie der Entwicklung neuer interdisziplinärer Wissensbereiche unterstützt.
TUM-Professor Bernhard Küster, der auf den Gebieten der Proteomik und Präzisionsmedizin forscht, wird beispielsweise mit einem ERC Advanced Grant gefördert. Die ERC Starting Grants können die TUM in Freising international wettbewerbsfähig und den Standort Weihenstephan auch für aufstrebende junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler attraktiv machen.
Ein weiteres Programm, das Forschenden die Mobilität innerhalb Europas erleichtern kann, ist ein Postdoctoral Fellowship innerhalb der Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen (MSCA). Die EU-Förderungen wirkten sich nicht nur positiv auf den wissenschaftlichen Output, sondern auch auf die Lehre für die Studierenden am Campus Weihenstephan aus, bilanziert die TUM. Denn sie könnten von den Eindrücken und Netzwerken ihrer internationalen Dozierenden profitieren.