Süddeutsche Zeitung

Armut im Landkreis Freising:Grundrente löst die Probleme nicht

Auch im wohlhabenden Landkreis Freising ist die Altersarmut immer stärker spürbar, betroffen sind vor allem Frauen. Viele Rentner können vor allem die explodierenden Mietpreise nicht mehr bezahlen

Von Gudrun Regelein

Immer mehr Senioren in Deutschland haben Schulden. Der Anteil der über 70-Jährigen hat sich laut dem Schuldneratlas 2019 der Wirtschaftsinstituts Creditreform zum Stichtag 1. Oktober fast verdoppelt. Die Altersüberschuldung gewinne weiter an Bedeutung, heißt es dort. Im Vergleich zum Vorjahr sei die Zahl der verschuldeten Rentner über 70 Jahre mit zusätzlichen 118 000 Fällen um 45 Prozent auf insgesamt 381 000 Menschen angestiegen.

Immer mehr Senioren reicht ihre Rente nicht mehr zum Leben aus. Im Landkreis Freising gibt es derzeit 291 Bezieher von Grundsicherung im Alter. "Dazu muss man sagen, dass seit März 2019 für die Bezieher von Hilfe zur Pflege der Bezirk Oberbayern zuständig ist. Einige davon bekommen zusätzlich Grundsicherung im Alter, die nun in der Statistik des Landkreises nicht mehr auftauchen", berichtet Pressesprecher Robert Stangl. Das heißt: Mit diesen Fällen läge die Anzahl der Bezieher von Grundsicherung im Alter geschätzt um zehn bis 15 höher. Vor acht Jahren bekamen 241 Rentner, die ihren Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten können, diese Unterstützung. Ihre Zahl ist also gestiegen.

Wer 35 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt hat, hat künftig Anspruch auf die Grundrente, wenn ansonsten die Rente zu niedrig wäre. Diese Menschen sollen zukünftig Altersbezüge erhalten, die zehn Prozent über der Grundsicherung liegen. Auch Jahre, in denen die eigenen Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt wurden, werden berücksichtigt. So lautet der Kompromiss bei der Grundrente, der Anfang November von der Union und der SPD beschlossen wurde.

Sie fände die Grundrente grundsätzlich ja sehr gut, sagt Heidi Kammler, Vorsitzende der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Freising. Aber sie werde die eigentlichen Probleme nicht lösen können, befürchtet Kammler. "Die Lebenshaltungskosten steigen, die Energiekosten steigen - das Geld reicht einfach nicht aus."Schon jetzt sei die Altersarmut auch im eigentlich wohlhabenden Landkreis deutlich spürbar. Gerade Frauen, die wegen der Kindererziehung oder vieler Jobs im Niedriglohnsektor nur eine sehr geringe Rente beziehen, seien davon betroffen. Viele aber würden aus Scham nicht einmal die ihnen zustehenden Leistungen beantragen, berichtet Kammler. Die Awo versuche zu helfen, so müssten diese Senioren für die einmal im Jahr stattfindenden Ausflüge beispielsweise nichts bezahlen. "Das ist dann ein Highlight: Einmal im Jahr woanders hinzukommen."

Ein weiteres Problem sieht Kammler in dem großen Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Viele Rentner könnten die explodierenden Mieten nicht mehr bezahlen, aber die Wartezeiten für sozialen Wohnraum seien eine Katastrophe. "Immer wieder wird mir erzählt, dass Senioren teilweise sogar mehrere Jobs haben, da ihre Rente bei weitem nicht ausreicht. Es tut mir weh, wenn Menschen in diesem Alter noch arbeiten müssen", sagt Kammler.

Auch Markus Mehner, Leiter der Sozialen Dienste der Caritas Freising, beobachtet einen Anstieg alter Menschen, die in seine Beratung kommen. "Die über 60-Jährigen haben sehr vielfältige Probleme", schildert er. Neben der Einsamkeit im Alter und Pflegeprobleme gehe es immer häufiger um finanzielle Not. "Viele sagen, dass sie nicht mehr können und fragen, wie es nun weitergehen kann."

Gründe für die Altersarmut gebe es viele: Wenn der Partner sterbe, bedeute das - zumindest für viele Frauen - einen finanziellen Einschnitt. Auch hätten viele Frauen wegen ihrer Lücken im Erwerbsleben eine nur geringe Rente. Daneben spielten die steigenden Mieten und Lebenshaltungskosten eine Rolle, zählt Mehner auf. "Wir würden uns für den Landkreis eine umfassende Seniorenberatung wünschen", sagt er. Einen ersten Schritt hat die Caritas bereits getan und die Fachstelle "Leben im Alter" ins Leben gerufen.

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Quelle:
SZ vom 09.12.2019
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