Archivstück des Monats:Fabrikanten-Gruft

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So hätte die private Gruft der Schlüter-Dynastie aussehen sollen.

(Foto: Stadtarchiv)

Traktorenhersteller Anton Schlüter plante auf seinem Grundstück auch eine private Grablegestelle mit barocker Pracht. Verwirklicht wurde sie jedoch nie

Von Peter Becker, Freising

Die fast neun Jahrzehnte dauernde enge Verbindung der Unternehmerfamilie Schlüter zur Stadt Freising begann im Jahr 1912. Damals ersteigerte Anton Schlüter (1867-1949), gebürtiger Westfale und seit 1899 Eigentümer einer Münchner Motorenfabrik, die Maschinenfabrik und Eisengießerei des Otto Schülein an der Münchner Straße. Zur selben Zeit, und noch bevor er 1915 den Bau seiner (heute noch in Teilen erhaltenen) zweiten Freisinger Fabrik in Angriff nahm, fasste Schlüter den Entschluss, mit seiner Familie von München nach Freising überzusiedeln.

Aus diesem Grund hatte Schlüter 1912 die ein gutes Stück südlich der Stadt, an der Münchner Straße gelegene so genannte "Schmidbauermühle" erworben. Er veranlasste umfangreiche Um- und Neubauten, die zum Ziel hatten, einen für die Fabrikantenfamilie angemessenen Wohn- und Repräsentationssitz zu schaffen. Vorbilder dafür gab es zum damaligen Zeitpunkt reichlich: Im Zuge der Industrialisierung entwickelte sich die Fabrikanten- oder Industriellenvilla zu einer verbreiteten Bauaufgabe. Die Konzeption des Fabrikantensitzes der Familie Schlüter stand - ungeachtet der vergleichsweise späten Entstehung - ganz in der Tradition der Lebens- und Repräsentationsweise des Wirtschaftsbürgertums des 19. Jahrhunderts.

Der Ausbau des "Schlütergutes", wie das Anwesen nun genannt wurde, erstreckte sich über mehrere Jahre, von 1913 bis zum Beginn der 1920er Jahre. Den Mittelpunkt des Areals bildet(e) die in neobarocken Formen aufgeführte Villa. Im Norden und Westen ließ Schlüter mehrere Nebengebäude anfügen, die man überwiegend landwirtschaftlich nutzte. Südlich und östlich der Villa wurde ein weitläufiger Park angelegt.

An der Ostseite des Parks, nahe der Münchner Straße, plante Anton Schlüter den Bau einer Kapelle, die, wie nicht zuletzt auch der Projekttitel "Gedächtnis-Kapelle" verrät, in erster Linie als Grablege seiner Familie gedacht war. Von diesem Vorhaben des Fabrikanten zeugt ein Konvolut von insgesamt zehn Plänen, das im Stadtarchiv Freising überliefert ist. Der Datierung auf das Jahr 1921 nach zu schließen hätte der Kapellenbau zu den letzten Maßnahmen beim Ausbau des Fabrikantensitzes gehört. Das Projekt wurde allerdings nie verwirklicht.

Den Planungsauftrag für die Kapelle vergab Schlüter an den Architekten Friedrich Haindl (1872-1960), den ersten Vertreter einer über mehrere Generationen hinweg (und bis heute) tätigen Münchner Architektenfamilie. Haindls Entwürfe sahen einen nach Art eines barocken Zentralbaus geschaffenen Kirchenraum vor, der mit rund 18 Meter Länge und 10 Metern Breite ungefähr das Volumen der Dorfkirchen von Attaching oder Hohenbachern erreicht hätte. Die stattlichen Ausmaße und die reiche historistisch-neobarocke Ausstattung sind besonders gut an einer Planzeichnung zu erkennen, die die projektierte Kapelle in ihrem Längsschnitt zeigt (vgl. Abb.): Im Untergeschoss, das über einen eigenen Zugang von außen her zu erreichen gewesen wäre, war die Grablege der Familie geplant.

Darüber hätte sich der Kapellenraum mit dem nach Süden (links) anschließenden Chor erhoben. An der Nordseite (rechts) war ein Treppenhaus vorgesehen, das von der Gruft drei Stockwerke nach oben führte. Von hier aus hätte die Familie Schlüter in ihr privates Oratorium gelangen können. Die darüberliegende Empore war für die Aufstellung der Orgel bestimmt.

Die Gründe, warum Anton Schlüter die Gruftkapelle nicht realisieren ließ, sind unbekannt. Möglicherweise sind sie in den schwierigen Zeitumständen der 1920er Jahre zu suchen. In jedem Fall aber wirft das Projekt ein Licht auf das Selbstverständnis des Fabrikanten. Schlüter, der es aus gewöhnlichen bürgerlichen Verhältnissen zum erfolgreichen und wohlhabenden Großunternehmer gebracht hatte, bediente sich, um seinen Erfolg auch visuell zu veranschaulichen, eines Repertoires an Bautypen und Bauformen, die der aristokratischen Lebenswelt entstammten: Eine neobarocke Villa, die über eine schnurgerade Allee zu erreichen war und die von einer imposanten Parkanlage umgeben wurde. Eine dynastisch motivierte Gruftkapelle, wie man sie von zahlreichen Landadelssitzen kennt, hätte sich in dieses Konzept nahtlos eingefügt.

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