Apothekensterben„Vollzeit macht einen fertig“

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Nach knapp 30 Jahren wurde Ende 2019 auch die Isar-Apotheke in Freising geschlossen. Ein Nachfolger wurde nicht gefunden.
Nach knapp 30 Jahren wurde Ende 2019 auch die Isar-Apotheke in Freising geschlossen. Ein Nachfolger wurde nicht gefunden. (Foto: Marco Einfeldt)

Immer mehr Apotheken schließen. Der Grund: es werden keine Nachfolger mehr gefunden. Der Beruf sei unattraktiv geworden, sagt Freisings Apothekensprecherin Ingrid Kaiser.

Von Gudrun Regelein, Freising/Erding

„Jeden Tag stirbt in Deutschland eine Apotheke“, sagt Ingrid Kaiser. Kaiser ist Freisings Apothekensprecherin, die Entwicklung – deutschlandweit und in der Region – macht ihr große Sorgen. Laut der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) hat die Zahl der Apotheken in Deutschland erneut ein Rekordtief erreicht: Ende 2024 gab es nur noch 17 041 Apotheken und damit 530 weniger als noch ein Jahr zuvor. Dagegen werden immer weniger Apotheken eröffnet. 2022 waren es noch 68 gewesen, im vergangenen Jahr sank die Zahl auf 48.

„Auch bei uns ist das leider so“, sagt Kaiser. Im Landkreis Freising gab es laut der Bayerischen Landesapothekerkammer Ende 2014 noch 37 Apotheken, davon alleine 15 in der Stadt Freising. Heute sind es gerade noch zehn in der Domstadt und im gesamten Landkreis 27. „In der Stadt ist die Versorgung noch okay, auf dem Land dagegen nicht mehr wirklich optimal“, meint Kaiser.

Gründe für diese besorgniserregende Entwicklung gebe es viele, der wichtigste: „Nachfolger sind kaum mehr zu finden.“ Das Berufsbild des Apothekers werde immer weniger attraktiv. „Ich kann das gut nachvollziehen“, sagt Kaiser.

Die Arbeitsbelastung sei extrem hoch, „wir haben lange Öffnungszeiten, Notdienste und dazu kommt eine immer größer werdende Bürokratie, die viel Zeit beansprucht“. Daneben steigen die Kosten für den Betrieb, die Digitalisierung und für Personal. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden, werde auch immer schwieriger, berichtet Kaiser, die selbst seit mehr als 20 Jahren Inhaberin einer Apotheke ist.

Die aktuelle Gesundheitspolitik bedeute für Apotheker Kürzungen, weniger Einkommen und immer mehr Auflagen. „Unsere Einnahmen sinken beim Verkauf verschreibungspflichtiger Medikamente wegen der hohen Abschläge, die wir an die Krankenkassen zahlen müssen“, erklärt Kaiser. Der gesetzliche Festzuschlag, den die Apotheken pro Verkauf erhalten, sei dagegen seit Jahren nicht erhöht worden.

In die Beratung wird viel Zeit investiert

Dazu kommen immer wieder Lieferengpässe bei Medikamenten – und eine immer größere Konkurrenz durch die vielen Online-Apotheken, beklagt Kaiser. Nun will auch noch eine große Drogeriemarktkette mit dem Onlineverkauf von rezeptfreien Arzneimitteln starten. Von Tschechien aus sollen diese von diesem Sommer an versendet werden.

Was Kaiser und ihre Kolleginnen und Kollegen besonders ärgert, ist der Werbeclip einer Online-Apotheke, in dem Günther Jauch mit dem Satz „Heute bestellt, morgen geliefert“ auftritt. „Und wir sind dann diejenigen, die nachts und an den Sonntagen den Notdienst stemmen dürfen. Und die Beratungen, die immer mehr werden und in die wir viel Zeit investieren, leisten müssen“, sagt Kaiser.

Dass junge Apotheker bei diesen Rahmenbedingungen den Schritt in die Selbständigkeit scheuen, sei nicht verwunderlich, sagt Ingrid Kaiser. Das bedeute aber, dass sich die Entwicklung wohl fortsetzen und es immer weniger Apotheken geben werde.

Im Landkreis Erding gibt es derzeit 22 Apotheken – sechs weniger als vor zehn Jahren

Im Landkreis Erding ist das nicht anders, auch hier ist die Suche nach einem Nachfolger mühsam, oft auch erfolglos. Immer mehr Apotheken schließen – und werden nicht wiedereröffnet. So gab es laut der Bayerischen Landesapothekerkammer Ende 2014 im Landkreis noch 28 Apotheken, heute sind es nur noch 22. In Dorfen beispielsweise hat im vergangenen Jahr die Hubertus-Apotheke zugemacht, dort gibt es nun noch drei, statt wie vorher vier. „Die Versorgung ist aber sichergestellt – noch“, sagt Erdings Apothekensprecher Armin Braun. „Wenn aber noch eine oder zwei verschwinden, schaut es anders aus.“

Die Zeiten seien für die Apotheker schwierig, sagt auch Braun. Gerade auf dem Land sei das so, in Orten mit nur einem oder keinem Arzt sei es schwer, zu überleben. Weil es nicht genügend Patienten gebe und weil die Vergütung so gering sei. Die jungen Apotheker wanderten in die Industrie ab, sagt Braun. „Als Angestellte haben sie ein geregeltes Leben.“ Work-Life-Balance sei für viele wichtig, die jungen Apotheker wollten nicht die Verantwortung und das finanzielle Risiko übernehmen. Der Apothekenschwund sei schon jetzt eine Tatsache, „gerade die kleinen verschwinden still und leise“.

Viele Apotheken sind nicht mehr rentabel

Wolfgang Reiter, 60, war Inhaber der Schloss-Apotheke in Markt Schwaben – 26 Jahre lang. Im vergangenen Jahr hat der Erdinger einen Schlussstrich gezogen: Er hat sie verkauft. „Ich habe tatsächlich jemanden gefunden, der sie übernommen hat“, berichtet Reiter. Schon vor etwa zehn Jahren begann er, sich Gedanken über seine Zukunft zu machen. 60 bis 70 Wochenstunden seien für einen selbständigen Apotheker normal, auf Dauer wollte er aber dieses Pensum nicht mehr leisten, erzählt Reiter. „Vollzeit macht einen fertig. Weniger zu arbeiten, ging aber nicht allein wegen der Vorschriften, die immer mehr werden.“ Er habe dann junge Apotheker eingestellt, teilweise auch in Teilzeit – und ihnen angeboten, seine Apotheke zu übernehmen. Interessenten gab es zwar, eine endgültige Zusage aber nicht.

„Für die junge Generation ist das kein Modell“, sagt er. Er hatte dann das Glück, dass ein Apotheker, der bereits zwei Filialapotheken hatte, seine aufkaufte. Das aber auch nur, weil diese lukrativ war. Vor einem Vierteljahrhundert konnte man als Apotheker noch gut Geld verdienen. Das sei heute anders, sagt Reiter. Nur bei solchen Apotheken, in deren Nähe es mehrere Ärzte gebe, laufe es noch. Viele Apotheken aber seien nicht mehr rentabel. „Das Geld, das man investiert, bekommt man nicht mehr raus. Wenn sich nicht bald etwas ändert, werden wir aussterben.“ Wolfgang Reiter arbeitet derzeit nicht als Apotheker. Aber als ÖDP-Bundestagskandidat für den Wahlkreis Erding-Ebersberg macht er im Wahlkampf das Apothekensterben zu seinem Thema.

Ein kleiner Hoffnungsschimmer

Einen kleinen Hoffnungsschimmer aber gebe es, sagt Ingrid Kaiser. Durch die KI-gestützte Umgestaltung der Notdienste seien diese nun gerechter verteilt. „Bislang haben wir Freisinger Stadtapotheker beispielsweise alle zehn Tage den Notdienst gehabt, da kommt man an seine Grenzen.“ Nun seien es deutlich weniger, das bedeute eine große Erleichterung.  Vielleicht spiele das bei einem jungen Apotheker bei der Entscheidung für die Selbständigkeit zukünftig auch eine Rolle. „Für mich ist es trotz allem der schönste Beruf, ich würde ihn jederzeit wieder wählen“, betont Ingrid Kaiser.

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