Süddeutsche Zeitung

Das Anton-Henneka-Haus feiert Jubiläum:Ein Leben in Würde

In der stationären Einrichtung der Wohnungslosenhilfe in Gelbersdorf wird wohnungs- und arbeitslosen Männern eine sinnvolle Tagesstruktur geboten. Jeder Klient soll seine maximale Selbständigkeit wiederfinden.

Von Gudrun Regelein, Gammelsdorf

An diesem Donnerstag feierte das Anton-Henneka-Haus in Gelbersdorf ein besonderes Jubiläum. Unter dem Motto 60+ wurde das 60-jährige Bestehen der stationären Einrichtung begangen. 60+ deshalb, da die eigentliche Jubiläumsfeier 2021 Corona-bedingt nicht stattfinden konnte.

In der stationären Einrichtung der Wohnungslosenhilfe leben und arbeiten derzeit etwa 60 alkoholgefährdete, wohnungslose, arbeitslose, strafentlassene und psychisch kranke Männer. Daneben besuchen täglich zwischen zehn und 15 Männer von außerhalb die Werkstätten, um dort zu arbeiten und Beratung zu finden, berichtet Einrichtungsleiter Tassilo Winhart. Sie alle schaffen es nicht, ihre sozialen Schwierigkeiten aus eigener Kraft zu überwinden. Im Anton-Henneka-Haus gebe keinen richtigen oder falschen Weg, sagt Winhart. Es werde zieloffen gearbeitet. "Wir fragen, wohin jemand will." Probleme werden analysiert, und gemeinsam mit den Männern Lösungen gesucht. Daneben aber sei das soziale Miteinander sehr wichtig: "Wir sind für viele eine Art Familienersatz", beschreibt der Einrichtungsleiter.

1961 kaufte der Katholische Männerfürsorgeverein den früheren Gutshof

1961 kaufte der Katholische Männerfürsorgeverein München den früheren Gutshof mit etwa 40 Hektar Grund in Gelbersdorf, in den Jahren danach wurde er umgebaut. Im Sommer 1965 zogen dann die ersten Männer ein - etwa 40 waren es damals. Ziel war es seinerzeit, die Bewohner über die Arbeit im landwirtschaftlichen Bereich der Einrichtung wieder Fuß fassen zu lassen, erzählt Winhart.

Im Laufe der Jahre habe sich dann aber viel verändert, vieles sei weiterentwickelt worden. Seit Mitte der 90er-Jahre beispielsweise gebe es nur noch Einzelzimmer, Wlan sei inzwischen für alle Bewohner verfügbar. Daneben wurde die sozialpädagogische Beratung massiv ausgebaut. Heute sei es möglich, auf die Klienten viel individueller einzugehen.

Die Männer sind auch in Küche, Wäscherei und Garten mit eingebunden

Auch die Arbeitsstätten, wie die Metall- und Montagewerkstatt, die Kreativwerkstatt oder der Gartenbau mit Naturlandprodukten, wurden ausgebaut. Die Männer seien in allen Bereichen mit eingebunden - dazu zählen auch die Küche, die Wäscherei und der Garten. "Wir können unseren Klienten eine sinnvolle Tagestruktur bieten", sagt Winhart. Dies geschehe neben dem Arbeitstraining in den Werkstätten durch eine multiprofessionelle Teamarbeit in Wohngruppen, in Einzelfallhilfe und in Gruppenarbeit. Jeder Teilnehmer werde nach seinen eigenen Fähigkeiten eingebunden, berichtet Winhart. Ziel sei, dass jeder seine maximale Selbständigkeit wiederfindet - und bestenfalls wieder ein eigenständiges Leben führen und an der Gesellschaft teilhaben kann.

"Das Anton-Henneka-Haus ist das Flaggschiff", sagt der Einrichtungsleiter. Daneben aber gebe es noch verschiedene ambulante Angebote. Den Ambulanten Fachdienst Wohnen Freising beispielsweise, der organisatorisch an das Anton-Henneka-Haus angebunden ist. Er bietet Wohnungen in Freising sowie Moosburg und betreut Menschen in ihrem eigenen Wohnraum. Mittlerweile ist die Zahl der ambulanten Plätze auf 44 angewachsen. "Ziel ist, möglichst bald an die Leute zu kommen, nicht erst dann, wenn sie so richtig am Ende sind", erklärt Winhart. Auch sei die Wohnungslosenhilfe viel regionaler, als man denke. Deshalb gebe es verschiedene neue Projekte vor Ort, wie die präventive Wohnungsnotfallhilfe und eine Betreuung in den Notunterkünften in den Gemeinden. "Die Leute wollen nicht wegziehen, die sind örtlich verwurzelt." Es brauche eine professionelle Sozialarbeit, um diese Menschen möglichst schnell und niedrigschwellig zu erreichen. Das geschehe durch eine aufsuchende Hilfe, die berät, unterstützt, vermittelt und nach geeigneten Maßnahmen sucht.

Je früher die Hilfe ansetzt, desto besser

"In den 70er-Jahren war es noch so, dass es jemanden erst richtig schlecht ging, bevor er sich Hilfe holte", sagt Winhart. "Das hat sich inzwischen aber glücklicherweise geändert." Heute setze man viel früher an - und hole die Menschen dort ab, wo sie stehen. Wenn zu lange gewartet werde, habe das negative Auswirkungen, dann hätten sich die persönlichen Ressourcen zurückentwickelt - und der Weg zurück sei sehr schwierig oder sogar unmöglich. Er habe einen Mann gekannt , der 20 Jahre lang im Botanischen Garten in München gelebt hatte, erzählt Winhart. "Da ist die Frage nicht mehr, ob er den Weg zurück in den Ersten Arbeitsmarkt findet. Sondern ob wir es schaffen, dass er wieder würdig und in Sicherheit mit einem Dach über dem Kopf leben kann." Das sei gelungen. Je früher die Hilfe aber ansetze, umso besser sei es, dann seien die fachlichen Möglichkeiten auch noch viel größer.

Auf die Frage, ob er angesichts dieser Schicksale und des steigenden Bedarfs einen Grund zu feiern sieht, antwortet Winhart ohne zu zögern. "Menschen sind da, haben Probleme. Wir können Menschen die Chance für eine Veränderung bieten", sagt er. Und alleine das sei ein Grund, dieses Jubiläum zu feiern.

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