Anna-Maria Sahlmüller im Interview:Liberal denken und sachlich bleiben

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Anna-Maria Sahlmüller ist seit fast 30 Jahren Stadträtin in Freising. Eine weitere Kandidatur schließt die 74-Jährige nicht aus, entscheiden aber muss ihre Partei, die FDP. (Foto: Marco Einfeldt)

Seit 29 Jahren gehört Anna-Maria Sahlmüller für die FDP dem Freisinger Stadtrat an. Mit Tobias Eschenbacher erlebt sie bereits den dritten Oberbürgermeister. Für Freising wünscht sie sich, dass die Stadt ihren Charakter behält.

Interview von Petra Schnirch, Freising

Seit 29 Jahren gehört Anna-Maria Sahlmüller dem Freisinger Stadtrat an. In der aktuellen Amtszeit ist die 74-Jährige einzige Vertreterin der FDP, was die Arbeit nicht leichter macht. Sie hofft, dass ihre Partei künftig wieder mehr Ratsmitglieder stellen kann. Die Freisinger SZ sprach mit ihr darüber und auch über die Entwicklung der Stadt.

SZ: Sie sind langjährige Stadträtin und auch Architektin, wie beurteilen Sie die Entwicklung der Innenstadt?

Sahlmüller: Das ist schwierig. Wir haben das Problem, dass wir einerseits eine wachsende Stadt mit vielen jungen Leuten und vielen Kindern sind, was ich ganz toll finde. Andererseits ist die Entwicklung insgesamt in der Gesellschaft den Innenstädten wenig zuträglich. Die Leute sind sehr viel unterwegs und arbeiten beispielsweise in München. Ich sehe am Nachbarhaus mit mindestens zwölf Wohnungen, wie wenig Bewegung dort ist. Das merkt man an der Frequenz in der Innenstadt und man merkt das enorm am Wochenmarkt. Früher musste man sich da durchdrängen. Das ist schade, denn der Markt ist unheimlich wichtig für die Stadt.

Und wie beurteilen Sie die Neugestaltung der Innenstadt?

Was mir nicht besonders gefällt, ist die Pflasterung, die finde ich sehr eintönig. Ich hätte mir das ein bisschen anders vorgestellt. Aber ich will nicht schimpfen, bevor es fertig ist.

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Wird die Stadt durch den Umbau wieder mehr Menschen anziehen?

Das ist schwierig. Die Frage ist, was bringt die Menschen in die Innenstadt? Am Stadtrand sind überall Einkaufsmöglichkeiten. Ich weiß nicht, ob man sich allein auf die Moosach-Öffnung kaprizieren kann. Ein wichtiges Projekt ist die Sanierung des Asam-Komplexes. Meine Heimatstadt Bamberg ist sehr lebendig, dabei hat auch Freising viel zu bieten, es ist eine schöne Stadt. Vielleicht muss man intensiver werben.

Sie gehören seit 29 Jahren dem Stadtrat an, hat sich die Zusammenarbeit in dieser Zeit verändert?

Es ist ein großes Glück, dass wir inzwischen eine ganze Reihe von Gruppierungen im Stadtrat haben mit wechselnden Mehrheiten. Als ich angefangen habe, dominierte noch die CSU. Die Grünen haben sich mittlerweile die Hörner abgeschlagen. Wenn man länger im Stadtrat ist, weiß man, was geht und was nicht. Der Haushalt für 2018 ist ohne Gegenstimme verabschiedet worden. Das gab es noch nie.

Sie haben auch unter drei Oberbürgermeistern gearbeitet.

Der Dieter Thalhammer hat meiner Ansicht nach eine gute Art gehabt, den Stadtrat zu lenken. Er hatte viel Verwaltungserfahrung. Der Erfolg, den wir jetzt ernten, ist in dieser Zeit vorbereitet worden. Wir können uns vieles leisten, was man sich eigentlich nicht vorgestellt hatte. Aber auch Tobias Eschenbacher macht seine Sache gut.

Die FDP ist derzeit im Aufschwung, hoffen Sie, dass die Partei 2020 mehr Stadträte stellen kann? Sie sind ja seit Jahren Einzelkämpferin.

Das hoffe ich sehr. Wir haben eine gute, junge Truppe. Wir waren schon einmal zu dritt im Kreistag. Das war ein hervorragendes, intensives Arbeiten. Wir haben es mit erreicht, dass die Realschule in Au gebaut wurde. Sie war eigentlich nicht gewollt und jetzt ist sie total voll - ich habe das gewusst, weil ich mit Eltern geredet habe.

Wie sind Sie damals eigentlich bei der FDP gelandet?

Grundsätzlich bin ich schon lange jemand, der sehr liberal denkt. Ich bin noch nie einem großen Haufen zugeneigt gewesen. Wir brauchen niemandem nach dem Mund zu reden.

Überlegen Sie, ob Sie noch einmal für den Stadtrat kandidieren?

Ich weiß es nicht, das mache ich abhängig von der Partei, ob die es möchte.

Sie würden es aber nicht ausschließen?

Nein, solange es mir gut geht. Ich mache es gerne.

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"Wir hier sind schon immer gegen die dritte Startbahn"

Hat es die FDP in der Stadt Freising schwerer, weil der Landesverband sich pro Startbahn positioniert hat?

Ich persönlich bekomme das nicht zu spüren. Wir hier sind schon immer gegen die dritte Startbahn, weil wir meinen, es reicht hier in diesem Raum, es ist genug. Wir haben versucht, in der Landespartei damit durchzudringen. Aber die ist doch sehr dem Wirtschaftlichen zugeneigt. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass die dritte Startbahn zu verhindern ist. Es ist ja keiner bereit, auf die Qualität dieses Verkehrsmittels zu verzichten.

Frauen sind in der Politik noch immer unterpräsentiert. Hatten Sie gerade zu Beginn Ihrer Tätigkeit das Gefühl, dass Sie nicht ernst genommen werden?

Ich bin keine Feministin, ich war immer "ich". Ich habe in meinem Leben nie den Eindruck gehabt, dass ich in irgendeiner Form den Männern unterlegen wäre. Im Studium waren wir zum Beispiel fünf oder sieben Frauen unter 180 Studenten. Ich bin der Meinung, man darf nicht so viele Unterschiede machen, man muss zusammenarbeiten, dann kommen diese Dinge gar nicht zum Tragen. Eine gewisse Authentizität ist dabei wichtig.

Auffällig ist, dass es noch immer kaum Bürgermeisterinnen gibt.

Das ist richtig, aber das liegt nicht an den Frauen, würde ich sagen, sondern an den Wählern. Frauen arbeiten nicht so panzer- und flakmäßig. Sie sind zurückhaltender - und man hat hundert andere Sachen, die einem wichtig sind. Diese Ausschließlichkeit, sich irgendwo hinein zu begeben, findet man bei Frauen relativ selten. Aber ich weigere mich, alles so negativ zu sehen. Ich denke, wir haben unheimlich viel geschafft, wenn man die vergangenen hundert Jahre anschaut. Frauen durften zum Teil nicht einmal auf die höheren Schulen, durften nicht studieren.

Ihr Rat an die jungen Kolleginnen im Stadtrat?

Ich finde es wichtig, dass man eine gute Ausbildung hat. Dass man nicht nur rummäkelt, um in der Zeitung zu stehen, oder irgendwas in die Welt postet, sondern dass man die Dinge ernsthaft betrachtet. Und dann wird man akzeptiert.

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Was würden Sie in den kommenden Jahren für die Stadt Freising noch gern erreichen?

Anstreben möchte ich, dass Freising möglichst so bleibt wie es ist, weil es eine sehr schöne Stadt ist. Auf die starke Fluktuation, den Zuzug muss man natürlich reagieren. Es wird wohl das größte Problem, das so zu gestalten, dass die Stadt ihren Charakter nicht verliert. Wenn man andere Städte rund um Flughäfen und Verkehrsknotenpunkte anschaut, ist dort ein Siedlungsbrei. Das würde ich Freising gerne ersparen. Man kann nicht einfach immer weiter ausweisen und bauen, da geht die ganze Gegend kaputt. Man muss in gewisser Weise auch der Natur ihr Recht lassen.

Aber irgendwo müssen die Menschen doch wohnen.

Das ist vor allem ein landesplanerisches Thema, das von Ministerpräsident Markus Söder schon ganz langsam angegangen wird, indem Firmen oder Behörden in anderen Bereichen Bayerns angesiedelt werden. Das sehe ich als einzige Möglichkeit, um den Druck auf bestimmte Regionen zu verringern. Mit den Digitalkonzepten hat man auch völlig neue Möglichkeiten der Arbeit.

Vor kurzem haben Sie vor einer Radikalisierung der Gesellschaft gewarnt. Sehen Sie aktuell eine Bedrohung?

Ich bin ganz bewusst in keinem sozialen Netzwerk, aber wenn man hört, wie die Menschen zum Teil aufeinander losgehen, stimmt mich das schon nachdenklich. Ohne dass man gegenseitige Standpunkte erklärt und versucht, sich einander anzunähern, wird man eine Gesellschaft nicht weiterbringen. Die Schwierigkeit ist aber, dass man mit Menschen, die einer Idee radikal anhängen, fast nicht mehr reden kann.

Was also tun?

Trotzdem reden, sachlich argumentieren. Provozieren bringt gar nichts. Interessant, wie die jetzigen Versuche, mit der AfD umzugehen, verlaufen. Sie nicht zu beteiligen und in ein Eck zu drängen, wird schlechte Folgen haben. Man sollte sie einfach mal lassen. Am leichtesten fällt es ihnen zu reagieren, wenn man sie angreift. Am schwierigsten ist es, wenn keiner was wissen will von ihnen.

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