An der Belastungsgrenze:"Das wird eine Katastrophe"

Pflege in Niedersachsen

Viele Altenpfleger arbeiten schon jetzt an der Belastungsgrenze. Doch in Zukunft werden immer mehr Menschen auf Pflege angewiesen sein.

(Foto: Angelika Warmuth/dpa)

Schon jetzt fehlt in der Altenpflege an allen Ecken und Enden Personal. Das Problem wird sich in den nächsten 20 Jahren zuspitzen, denn die Zahl der alten Menschen steigt. Die Lösung: bessere Bezahlung und bessere Arbeitszeiten.

Von Katharina Horban, Freising

Das Wasser rinnt über ihren Körper, kurz zuckt die 91-Jährige zusammen. Dann stimmt die Temperatur und Anna H. lässt sich die Haare shampoonieren. Sie sitzt auf einer Sitzvorrichtung in ihrer Badewanne. Altenpflegerin Katja Krause hebt den Duschkopf und wäscht die Haare ihrer Kundin. Die beiden Frauen, zwischen denen 53 Jahre Altersunterschied liegen, unterhalten sich über Familie, das Wetter und H. sagt: "Das Wochenende war fad." Krause greift sich ein gelbgemustertes Handtuch, am Hinterkopf kann sich H. nicht mehr selbst abtrocknen. Es stammt aus den USA, dort lebte H. viele Jahre mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann. Erinnerungen kommen auf.

Tablettengabe, Verbandswechsel und das Spritzen von Insulin sind ebenfalls Teil der morgendlichen Grundpflege. Die Gespräche danach seien für die alten Menschen fast noch wichtiger, erklärt Krause. Die 38-Jährige arbeitet als Pflegedienstleitung im Alten-Service-Zentrum Eching und erzählt auf dem Weg zum nächsten Kunden auch von schwierigen Situationen: "Wenn ich sehe, dass die Leute nicht mehr alleine leben können, ich aber nichts machen kann." Umso wichtiger sei es, die Menschen dort abzuholen, wo sie sind - sie also mit ihrem Leben ernst zu nehmen. Ihr Team betreut 39 Kunden, aber nur drei ihrer zehn Kollegen sind ausgebildete Fachkräfte, die etwa Tabletten geben dürfen. Um Kollegen zu entlasten, übernimmt Krause oft Tätigkeiten, die sie als Pflegedienstleitung nicht machen müsste. "Es geht schon, aber leicht ist es nicht. Wenn die Eltern in Schicht arbeiten, ist das für das Kind schwer", gibt Krause zu, die selbst eine Tochter hat. Sie wünscht sich von der Gesellschaft dringend mehr Anerkennung - denn aktuell ist ihr Eindruck: "Die Pflege ist nichts wert."

Dem kann sich Siglinde Lebich, die Leiterin des Hauses, nur anschließen. Die Politiker hätten es in den vergangenen 30 Jahren nicht geschafft, ihre Hausaufgaben zu machen. "Die Kommunen müssen sich für die Zukunft aufstellen", fordert sie. Laut Lebich braucht es dringend "adäquate Ausbildungsmöglichkeiten", damit der Beruf im Wettbewerb mit anderen Branchen eine Chance bei jungen Leuten hat. Anstatt des Schulgelds, das in Bayern noch bis vor wenigen Jahren von Schülern in der Altenpflege verlangt wurde, müssen bessere Gehälter her. Altenpfleger werden dringender denn je gebraucht, besonders wichtig ist die ambulante Pflege: "Die Menschen wollen zuhause alt werden."

Bei den Pflegediensten in Freising sieht die Lage ähnlich aus. Pflegedienstleitung Brigitte Ries von der Arbeiterwohlfahrt sagt: "Die Work-Life-Balance liegt im Argen." Überstunden und eine zu geringe Wertschätzung der Mitarbeiter sind Ries zufolge daran schuld, dass der Pflegeberuf so unattraktiv geworden ist. Etwa 90 bis 100 Kunden betreut die Einrichtung, darunter auch Haushalte in Hallbergmoos oder Pulling. Sie hofft, dass sich die Lage durch die anstehenden Wahlen zum Besseren wendet. Dietmar Lemmer, der als stellvertretende Pflegedienstleitung beim BRK-Kreisverband arbeitet, könnte fast täglich einen neuen Patienten aufnehmen. "Wir sind überlastet", sagt er. Vom Klinikum Freising schauen im Rahmen ihrer Ausbildung regelmäßig Azubis vorbei, zum Bleiben konnte Lemmer fast keinen überzeugen. Denn für viele sei der harte Beruf nicht das Richtige. Von der Bundesregierung zeigt er sich enttäuscht, zu wenig sei bis jetzt für die Pflege getan worden. Auch er blickt mit Sorge in die Zukunft: "Ich glaube an die Prognosen. Das wird eine Katastrophe." Und die Prognosen deuten genau darauf hin: Der Anteil der Menschen, die 75 Jahre oder älter sind, steigt von 2016 bis 2036 im Landkreis von 13 700 auf 20 200. Die Gruppe der 60- bis unter 75-Jährigen wächst in der gleichen Zeitspanne von 22 800 auf 35 000 sogar noch stärker, wie aus dem vom Landesamt für Statistik im Mai veröffentlichten Demographischen Profil für den Landkreis Freising hervorgeht. Diese Zahlen bedeuten Pflegeplätze, welche die Region erst einmal schaffen muss. Und ob das gelingt, bleibt ein Fragezeichen.

Zurück bei Altenpflegerin Katja Krause in Eching, die sich nun um Dorothea B. kümmert. Die 90-Jährige steht mit ihrem Rollator im Eingangsbereich ihres Reihenhauses und erwartet sie bereits. B. lässt sich mühsam in einen Sessel sinken, dann hebt sie ihre stark geschwollenen Beine an. Krause zieht ihr Anti-Thrombose-Strümpfe über, erst links dann rechts. Dann ist ihre Arbeit dort eigentlich getan, doch B. erzählt, wie sie am Wochenende mit Früchten aus dem Garten Gelee kochen wollte. Das erste Mal seit 30 Jahren sei ihr das misslungen, sie konnte das Rezept nicht mehr entziffern. Anstatt Gelee gab es Saft.

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