Urteilsfindung:Künstliche Intelligenz soll Richter entlasten

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Künstliche Intelligenz soll Richter künftig unterstützen – am Amtsgericht Erding läuft dazu derzeit ein Pilotprojekt. (Foto: Jens Kalaene/dpa)

Das Amtsgericht Erding wird mit Fluggast-Klagen überhäuft. Ein Pilotprojekt des bayerischen Justizministeriums testet dort den Einsatz von KI. Das letzte Wort aber hat der Mensch.

Von Dominik Zarychta, Erding

Die Belastung für die Mitarbeitenden des Amtsgerichts Erding nimmt stetig zu. Es wird nach eigenen Angaben mit Klagen überschüttet, die durch professionelle Unternehmen mithilfe sogenannter Legal Tech-Tools in großer Zahl erstellt werden. Besonders im Zusammenhang mit Fluggastrechten sei dies ein Problem. Fluggäste können auf diese Weise einfach und ohne Risiko beispielsweise Entschädigungen einfordern.

Allein 2023 wurden 10 894 Fälle in Bezug auf Fluggastrechte in Erding gemeldet, wie das Amtsgericht mitteilt. Und auch dieses Jahr waren es bis Juni schon wieder knapp 6300. Im Vergleich zum Vorjahr ein klarer Anstieg. Generell habe sich eine Tendenz zur massenhaften Einreichung von Kleinstforderungen entwickelt. Dies stelle das Amtsgericht Erding vor eine „Belastungs- und Ressourcenherausforderung“.

Kann in solchen Fällen die künstliche Intelligenz (KI) die Lösung der Zukunft sein? Genau das wird nun am Amtsgericht in einem Pilotprojekt getestet. Das bayerische Justizministerium erprobt dort aktuell mit dem Start-up Ocos Solutions GmbH, ob KI die Gerichte unterstützen kann. Mit dem „Proof of Concept“ soll untersucht werden, ob eine Software, die auf einer KI basiert, das Erstellen von Urteilen im Bereich der Fluggastrechte teilweise übernehmen kann. Auslöser war die Rückmeldung der Gerichte, die eine Lösung für die Praxis benötigen.

Wie genau das aussehen soll, berichtet Maximilian Kruger, Leiter der Stabsstelle Legal Tech beim Justizministerium. „Wenn in der Justiz KI verwendet wird, dann muss diese bestimmten Richtlinien folgen.“ In der Justiz dürfe KI nur zur Unterstützung verwendet werden und müsse vollständige Transparenz ermöglichen, dies sei die Grundvoraussetzung für das Projekt. Als Ansatz werde die Fluggastrechtsverordnung der Europäischen Union verwendet. Um zu testen, ob künstliche Intelligenz tatsächlich zur Arbeitserleichterung beiträgt, werden konkrete Fälle verwendet. Die Richter können die Software auf diese Weise ausprobieren.

Konkret sieht das so aus: Ein Fluggast möchte gegenüber einer Fluggesellschaft von seinen Rechten Gebrauch machen und reicht beim Amtsgericht Erding eine Klageschrift ein, die aus einem langen Fließtext besteht und alle relevanten Informationen enthält. Normalerweise müsste der Richter jetzt im Text nach den wichtigen Passagen suchen. Stattdessen greift da die KI ein und extrahiert das für das Urteil Relevante wie etwa die Distanz oder das Flugziel aus der Klageschrift. Diese Textbausteine werden daraufhin zu einem Urteil verbunden und dem Richter zur Verfügung gestellt. Dieser kann die Passagen sowie das gesamte Urteil anpassen – oder zu einer ganz anderen Entscheidung gelangen.

In der ersten Testphase des Projekts, die seit 17. Juni in Erding läuft, werden Fluggastverfahren ausgewählt, in denen die Airline nicht auf eine Klageschrift reagiert hat und die Richter ein Urteil ohne Antwort fällen. Dass eine Fluggesellschaft sich nicht äußert, sei zwar nicht gängige Praxis, komme aber regelmäßig vor, so Maximilian Kruger. Gerade bei diesen Fällen lasse sich KI anwenden, da es viele Arbeitsschritte gebe, die im Kern allesamt ähnlich ablaufen. Das Projekt als Ganzes begann aber viel früher. Die fachlichen Vorarbeiten starteten bereits im Juli 2022, die Entwicklung der Software im April 2023.

„Letztendlich wird die Entscheidung immer beim Menschen liegen“

Bedenken, dass künstliche Intelligenz in der Justiz für Probleme sorgen könnte, hat Kruger keine. Durch die KI-Verordnung der EU, die am 1. August dieses Jahr in Kraft getreten ist, werde die KI eindeutig als „unterstützende“ Lösung definiert: „Die künstliche Intelligenz wird niemals eigenständig Entscheidungen treffen. Letztendlich wird die Entscheidung immer beim Menschen liegen“, so Kruger. Und das, glaubt er, sei auch in der Gesellschaft angekommen. Bisher habe er nichts Gegenteiliges mitbekommen. Da die Software für die KI lokal installiert und nirgends verbunden sei, könnten die Daten nicht zweckentfremdet werden.

Erste Ergebnisse zu dem Experiment in Erding sind laut Justizministerium erst später möglich. Auch bei den Richtern sei gerade Urlaubszeit und man wolle mehrere behandelte Fälle abwarten. Geplant ist die Testphase erst einmal bis Dezember 2024. Mit den Erfahrungswerten der Richter soll dann das weitere Vorgehen besprochen werden. Bisher testen sie die Software in den entsprechenden Fällen in eigener Verantwortung und besprechen ihre Ergebnisse mit dem Justizministerium in einem Jour fixe.

Für die Verwendung der KI in der Justiz gibt es aber bereits jetzt schon Pläne für die Zukunft. In Zusammenarbeit mit dem Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen wird in einem gemeinsamen Forschungsprojekt ein generatives Sprachmodell entwickelt, welches Richter entlasten soll. Wissenschaftlich begleitet wird das Projekt durch die TU München und die Universität in Köln. Um juristische Tätigkeiten automatisieren zu können, wird auch an den Landgerichten München I und Ingolstadt bereits getestet, wie künstliche Intelligenz Richter bei erstinstanzlichen Diesel-Verfahren unterstützen kann. Demnächst soll das Projekt auf das Oberlandesgericht München ausgeweitet werden. Ob sich die künstliche Intelligenz in Erding behaupten kann und wie das Projekt nach der ersten Testphase weitergehen wird, muss sich erst noch zeigen.

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