Der Hype ums Nähen:Geschickt eingefädelt

Der Hype ums Nähen: Marlene Terán, 39, leitet seit anderthalb Jahren die Nähkurse des Stoffateliers in der Freisinger Innenstadt.

Marlene Terán, 39, leitet seit anderthalb Jahren die Nähkurse des Stoffateliers in der Freisinger Innenstadt.

(Foto: Marco Einfeldt)

"Nähen ist Sklavenarbeit" sagten ihre Eltern, doch Marlene Terán ist ihren Weg gegangen. Im Stoffatelier leitet sie begehrte Nähkurse. Egal ob zehn oder 70 Jahre, Frau oder Mann, die Freisinger folgen begeistert dem Do-It-Yourself-Trend.

Von Jenny Schößler, Freising

Nadeln, Fäden und Stoffreste liegen noch verstreut auf einem der Arbeitstische, vor zehn Minuten ratterte die letzte Nähmaschine. Im Stoffatelier in der Freisinger Innenstadt ist gerade die letzte der drei Nähkurs-Sessions zu Ende gegangen. Strahlend steht Marlene Terán hinter der Ladentheke und gibt noch zwei jungen Kursteilnehmerinnen Tipps. Die 39-Jährige leitet seit anderthalb Jahren die Nähkurse des Stoffladens und blüht in ihrer Rolle als Lehrerin förmlich auf.

Das Interesse am Schneidern, Nähen und Häkeln wurde Terán und ihren Geschwistern in die Wiege gelegt. Ihr Bruder und ihre Schwester haben sogar eine Ausbildung zu Schneidern gemacht. Mit den Worten: "Nähen ist Sklavenarbeit" hatten die Eltern der jungen Marlene, die in Ecuador aufgewachsen ist, jedoch eingeredet, einen "gescheiten" Beruf zu erlernen, weil sie das Nähen als schlecht bezahlte Arbeit ablehnten.

Erst folgte sie dem Rat ihrer Eltern, dann ihren wahren Interessen

Die junge Frau begann eine Ausbildung zur Verkäuferin im Einzelhandel, doch es zeigte sich, dass das Leben nicht immer so mitspielt, wie Eltern sich das für ihre Kinder wünschen würden: Terán wurde schließlich doch Schneiderin, weil sie ihr Hobby zum Beruf machte.

"Alles, was ich kann, hab ich mir selber beigebracht", erzählt sie stolz. Dass aus ihrem Hobby vor sechs Jahren ihr Beruf wurde, kam für die junge Frau unerwartet: Eine Bekannte schlug ihr vor, sich beim Stoffatelier zu bewerben, das sie bis dahin nur als Kundin kannte. Schließlich könne sie alles, was eine ausgelernte Schneiderin können müsse. Also sagte sich Terán, dass sie es probieren könnte und prompt: "Vor Ablauf der dreimonatigen Probezeit hat die Leiterin zu mir gesagt, wir sind sicher, dass wir dich nehmen."

"Anfangs hatte ich ein bisschen Angst"

Für Terán ist damit ein Traum in Erfüllung gegangen, der vor anderthalb Jahren noch einmal getoppt wurde. Seit der Gründung des Stoffateliers im Jahr 1982 bietet das Geschäft auch Nähkurse an. Als die damalige Kursleiterin keine Zeit mehr hatte, wurde die einstige Hobbyschneiderin Terán gefragt. "Anfangs hatte ich ein bisschen Angst", gibt sie zu, "aber nach dem ersten Kurs habe ich gemerkt: Hey, ich kann das alles." Den Spaß, den sie dabei in die Kurse trägt, empfinden auch die Kunden, wie die beiden Teilnehmerinnen Kathlen Lüer, 29, und Petra Holstein, 25, bestätigen können.

Die beiden jungen Frauen sind nach dem letzten Kurs noch etwas geblieben, um mit Terán zu quatschen. Die Resonanz der zwei ist "totale Zufriedenheit". Sie haben beide an dem neunstündigen Nähkurs teilgenommen, um ihre ersten Anfänge beim Nähen zu verbessern. Grundsätzlich sind alle Nähkurse, die jeweils an drei Samstagen im Monat von 15 bis 18 Uhr stattfinden, für Anfänger gedacht. Denn auch wenn es auf Videoportalen wie YouTube Tutorialclips gibt, sind sie für die meisten Anfänger zu schwer, zu schnell und zu überladen mit Fachjargon, dem viele Näheinsteiger nicht folgen können.

"Da ist ein Kurs wesentlich angenehmer", findet Holstein. Damit es in den Stunden keine Wartezeiten für Hilfestellungen von Terán gibt, wurde die Anzahl auf vier Teilnehmer pro Kurs reduziert. So kann die Lehrerin gewährleisten, dass es keine "Staus" gibt und sich kein Kursteilnehmer langweilen muss. Was die Teilnehmer in den Kursen lernen, können sie selber entscheiden. Das geht von Reißverschlüssen annähen, Oberteile und Röcke nähen bis hin zum richtigen Flicken von Hosen. Eben alles, was leicht geht und innerhalb der neun Stunden zu schaffen ist. Lüer und Holstein waren sogar so schnell, dass sie mehrere Projekte umsetzen konnten.

Ein Papa, der etwas für seine Tochter näht

Obwohl die beiden Frauen schon zur jüngeren Klientel der Kursteilnehmer gehören, geht es noch weitaus jünger: Die jüngsten Teilnehmer waren gerade einmal zehn Jahre alt. Im Gegenzug dazu hatte Terán aber auch schon 70-Jährige im Stoffatelier sitzen, die ihre Hilfe wollten. Entgegen allen Klischees sind es auch nicht nur Frauen, die Kurse besuchen. "Wir hatten einmal einen älteren Herren, der war so um die 50 und dann einen Papa. Der hat für seine Tochter etwas genäht. Das war total süß", schwärmt die Schneiderin und lacht. "Alle Leute, die nähen möchten, die haben so eine tolle Ausstrahlung, keine Ahnung, bei bisher allen hab ich jetzt die Erfahrung gemacht."

Ähnlich empfindet auch die Inhaberin des Stoffateliers, Karin Denzer. Die Leiterin betreibt noch drei weitere Stoffläden, wobei das Geschäft in Freising zu den ältesten gehört. Auch sie erzählt, dass sie über die vielen Jahre gute und sehr nette Kunden kennengelernt habe, die immer wieder kommen würden. Besonders in den Nähkursen, die nur in Freising und Bad Tölz, dem Hauptsitz der Ladenkette, angeboten werden, treffe sie immer wieder auf dieselben Kunden.

80 Prozent der Stoffe kommen aus Europa

In den vergangenen Jahren sind das vor allem junge Teilnehmer, da der Trend "Nähen" die alte Kunst wieder modern gemacht hat. Um den Kunden Qualitätsware anbieten zu können, legt Denzer Wert darauf, 80 Prozent der Stoffe in europäischen Ländern wie Spanien, Italien und Österreich zu kaufen. "Nur Faschingsstoffe zum Beispiel kommen aus Asien", sagt die Inhaberin. Ihr selber liegt ähnlich wie Terán das Nähen im Blut. In ihrer Familie hätten alle Stoffgeschäfte, erzählt sie, und natürlich nähe sie auch selber sehr viel. Ein weiteres Merkmal ihrer Kette sei ihr nettes Personal, das ehrlich und gut mit den Kunden umgehe.

Klingt nach einer Marlene Terán, die mit Leib und Seele ihre Nähkurse leitet. Das zum einen, aber auch der boomende Do-It-Yourself-Hype ums Nähen sorgen dafür, dass die Nachfrage nach den Kursen riesig ist. "Wir sind bis Juli ausgebucht." Aber nur weil die 39-jährige für Juli einen Stopp eingelegt hat, sonst wären die Kurse im Herbst auch schon voll, wie sie erzählt. Da muss sich manch einer im Sommer sputen, wenn er in den Kursen im Herbst noch einen Platz ergattern will.

Weitere Kurse unter der Woche sind vorerst nicht in Sicht. Dafür fehlt Terán ein passender Raum, der genug Platz für einen solchen Kurs bietet. Doch auch so ist ein Ende ihrer Arbeit nicht abzusehen, solange sich immer wieder neue Leute für das Nähen begeistern können und die Hilfe der leidenschaftlichen "Hobbynäherin" in Anspruch nehmen wollen.

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