30 Kilometer:Ein graues Band vom Fels bis zum Meer

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Vor 80 Jahren ging die Autobahn A 9 von Dirnismaning bis Wolnzach in Betrieb. Der Fürholzer Heimatforscher Ernst Keller fand bei den Recherchen auch unveröffentlichte Fotos.

Von Alexandra Vettori, Fürholzen

Weitgehend unbemerkt hat sich am vergangenen Sonntag die Inbetriebnahme des Abschnitts der Autobahn A 9 von Dirnismaning bis Wolnzach gejährt. Am 4. November 1938 ist das Stück in Betrieb gegangen. Am Samstag, 5. November 1938, erschien im Freisinger Tagblatt unter dem Titel "Vom Fels zum Meer reicht nun das graue Band" ein Artikel über Eröffnung und Inbetriebnahme.

Zur Eröffnung grüßte das Volk mit "Heilrufen"

Mit Pathos werden "die teilweise mächtigen Fundierungsarbeiten im Moos bei Eching, der Durchschnitt der Höhenrücken bei Fürholzen und Oberkienberg, das Wachsen der Brücken über Flüsse, Kanäle und Talmulden, das Aufschütten der riesigen Dämme bei Schernbuch" beschrieben. Zur Übernahmefahrt auf der mit Fahnen und Girlanden umsäumten Autobahn waren Politgrößen, Abordnungen von SS bis Bund Deutscher Mädchen, Bürgermeister und Arbeiter erschienen. Hunderte von Menschen eilten aus den Dörfern herbei, um die Autokolonne mit "Heilrufen" zu grüßen. Ausgegraben hat den Artikel der Fürholzer Heimatforscher Ernst Keller. Er hat auch die Fotos, allesamt in Privatbesitz, aufgestöbert.

Im Frühjahr 1936 begannen die Bauarbeiten an dem 30 Kilometer langen Abschnitt, der den Landkreis Freising durchschneidet. Erste Ideen zum Bau der Gesamtstrecke gab es schon in den Zwanzigerjahren. Seit 1940 setzte man auch Kriegsgefangene, Häftlinge aus Konzentrationslagern und Zwangsarbeiter ein. Die Arbeiter wurden in umliegenden Dörfern in Privatquartieren, oder, wie in Hetzenhausen, in einem eigens gebauten Waldlager untergebracht. Noch heute fällt eine Lichtung von der Größe eines Fußballfelds im Wald unweit des Funkturmes auf. Einem Inspektionsbericht vom Oktober 1937 zufolge hatte das Waldlager 144 Betten.

Der Aushub beim Autobahnbau von 1936 bis 1938 im Abschnitt zwischen Eching und Fürholzen wurde in Loren auf die Moosfelder im Süden transportiert. Ernst Keller/Repro (Foto: Repro: Ernst Keller)

Die "Arbeitskameraden" werden sogar zur Wiesn gefahren

Die Mehrzahl der Arbeiter kam aus Schlesien, andere aus der Rheinpfalz, aus Schwaben und Niederbayern. Wettkämpfe, wie Kleinkaliberschießen oder Boxen, hielten die "Arbeitskameraden" bei Laune. Die "KdF", die NS-Gemeinschaft der Deutschen Arbeitsfront "Kraft durch Freude" veranstaltete Kameradschaftsabende, Bauernbühnen und Gesang. 1937 wurde eine Busfahrt vom Waldlager zum Oktoberfest organisiert. Dort hatte das Nazi-Regime ab 1933 den Preis für eine Maß auf 90 Pfennig limitiert.

Autobahnbau A 9 Baubeginn Abschnitt nördlich von München; irgendwo zwischen Eching und Fürholzen (Foto: Repro: Ernst Keller)

Die NS-Propaganda stellte den Autobahnbau als zentrale Arbeitsbeschaffungsmaßnahme dar, verbunden mit dem Versprechen auf eine künftige Massenmotorisierung. Tatsächlich aber war die Auswirkung marginal: 1934 waren etwa 85 000 Arbeiter im Autobahnbau beschäftigt, 1936 war mit 130 000 die Höchstzahl erreicht. Auch die Motorisierung hinkte hinterher: Noch in den Dreißigerjahren entfiel statistisch ein Kraftfahrzeug auf 75 Einwohner, in München immerhin kam ein Automobil auf 25 Einwohner. Weil so wenig Verkehr war, durften ab Herbst 1943 Autobahnen auch von Radfahrern benutzt werden. Bis in die Sechzigerjahre hinein haben Bauern das Gras auf dem Mittelstreifen gemäht.

Weil keine Entschädigung floss, holte ein Gütler seinen Boden wieder

Weniger Jubel bei der Reichsautobahn dürfte im Februar 1939 ein 54-jähriger Gütler ausgelöst haben, von dem Heimatforscher Keller Zeugnis gefunden hat: Nachdem der Mann keine Entschädigung für die Grundabtretung erhielt, räumte er kurzerhand die frisch gepflanzten Sträucher und Bäume von der Autobahnböschung ab, um seinen nicht bezahlten Boden wieder abzugraben. Offenbar war die Oberste Bauleitung von der Dreistigkeit so überrascht, dass sie dem Aufmüpfigen sofort seine Entschädigung auszahlte und ihm lediglich zur Auflage machte, die beschädigte Böschung wieder instandzusetzen.

© SZ vom 05.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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