Freimann:Studieren ohne Netz

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Seit der Server des Studentenwohnheims Heidemannstraße am 19. Februar durch einen Brand ausfiel, müssen sich die Bewohner ohne Internet auf ihre Prüfungen vorbereiten - erst Ende Mai soll der Schaden repariert sein

Von Valérie Nowak

"Hat noch jemand Probleme mit dem Internet?" Es ist Dienstag, 19. Februar, 10.15 Uhr. Prüfungszeit. Eine Welle von panischen Nachrichten bricht über die Facebook-Gruppe des Studentenwohnheims Heidemannstraße in Kieferngarten hinein. Der Wohnheimsprecher versichert, jede Neuigkeit sofort weiterzugeben und verkündet: "Ansonsten sind wir auf unbestimmte Zeit offline." Die Drohung wird wahr: Auch sieben Wochen später fehlt von den WLAN-Balken jede Spur. Voraussichtlich erst in zwei Monaten rechnet das Studentenwerk München damit, dass die 350 Studierenden wieder sorgenfrei durchs Netz surfen können.

"Es ist bittere Realität, wir leben hier wie auf der Rückseite des Mondes", konstatiert ein betroffener Informatik-Student. Als das Internet von einer Minute auf die andere weg war, steckte er gerade mitten in der Prüfungsphase, wie seine rund 350 direkten Nachbarn. Er möchte anonym bleiben, um keine Probleme mit seinem Zimmer zu bekommen. In der Facebook-Gruppe des Wohnheims Heidemannstraße, das tatsächlich am Carl-Orff-Bogen liegt, wird explizit davor gewarnt, sich mit dem Problem nach außen zu wenden. "Das war schon sehr blöd, vor allem in der Klausurenphase, wenn man zu Hause lernen will", sagt der Student. Nur mit Vorlesungsfolien und Buch sei es eben nicht getan. Schnell etwas im Netz nachrecherchieren - "ohne Internet unmöglich", so der Student. Programmieren ginge an sich zwar zum Beispiel ohne Internet, aber um Fragen zum Thema Softwareentwicklung stellen zu können, nutzt er wie viele andere Internet-Plattformen wie Stake Overflow. "Mein Gott, wir sind mitten in Europa im Jahr 2019 und haben keinen Internetzugriff . . . Ehrlich gesagt, ich hätte es von der deutschen Technik nie erwartet", kommentiert ein anderer Student in der Facebook-Gruppe.

Schuld am Ausfall ist wohl ein Netzteil, das im EDV-Raum der Kieferngartener Wohnanlage abbrannte, erzählen die Studenten. Das "Kleinfeuer", das die Feuerwehr in zwei Zeilen vermeldete, hat große Wirkung: In dem Serverraum stehen sogenannte Switches, die das Internet zwischen den Wohnungen verteilen. Alle Leitungen in die Zimmer und die Anbindung an das Münchner Wissenschaftsnetzwerk sollen beschädigt worden sein, berichtet das Studentenwerk.

"Am ersten Tag war bei uns einfach Ungläubigkeit, keiner konnte das so richtig fassen", erzählt der Student vom Beginn der Internet-Odyssee. Als dann zwei Tage nach dem Feuer die erste offizielle Mail im Handy-Postfach ankommt, schwant den Studierenden langsam, was da auf sie zukommt: "Aktuell können wir leider noch nicht sagen, wann wir Ihnen wieder Internet zur Verfügung stellen können." Am 26. Februar, eine Woche nach dem Internet-Crash, teilt das Studentenwerk mit: "Leider ist es uns in dieser Zeit nicht möglich, eine Übergangslösung zur Verfügung zu stellen. Unsere Techniker aus den Bereichen Wohnen und IT arbeiten mit Hochdruck an der Wiederherstellung der Räumlichkeiten und einer funktionierenden Internetverbindung."

Nun soll es weitere zwei Monate dauern, bis der Raum saniert ist und auch die neuen Geräte geliefert und montiert sind. Die ursprüngliche Einschätzung von etwa sechs Wochen hat sich damit mehr als verdoppelt. Das Studentenwerk begründet das so: Zunächst musste ein Sachverständiger die Lage beurteilen, dann musste die Versicherung alles absegnen, erst dann konnte die Reparatur beginnen. Außerdem begründet das Studentenwerk, dass das Internet über das Wissenschaftsnetz des Leibniz-Rechenzentrums (LRZ) eine "zusätzliche Serviceleistung" sei. Das Netz darf ausschließlich für wissenschaftliche Zwecke benutzt werden und sei kein Bestandteil des Mietvertrages, sondern werde über eine Zusatzvereinbarung geregelt. Die zehn Euro im Monat für das Internet müssen die Studierenden aktuell nicht bezahlen.

Eine "Interimslösung" über WLAN sei nicht möglich, da dafür viele neue Leitungen verlegt werden müssten und das genauso lange dauern würde. Stattdessen empfiehlt das Studentenwerk, das Datenvolumen am Handy aufzustocken oder den vorhandenen DSL-Anschluss freischalten zu lassen. Da stellt sich den Studierenden aber das gleiche Problem wie dem Studentenwerk: Das dauert Wochen, und es gibt nur Langzeitverträge. "Ich war jetzt wirklich wochenlang geduldig, aber jetzt reicht es", beschwert sich der Informatiker. "Die meisten haben sich über die mobilen Daten eine gute Überbrückung geschaffen. Es ist nicht optimal, aber es funktioniert so gut, dass ich zumindest zu Hause wieder arbeiten kann", so der Student. Auf Dauer sei das aber keine Lösung. Das neue Semester steht bevor, vom 23. April an gibt es wieder Vorlesungen.

Eine gute Nachricht hat das Studentenwerk: Die Anstalt des öffentlichen Rechts will zugleich die Netzinfrastruktur modernisieren. Von Ende Mai an soll die Heidemannstraße wieder online gehen - dann mit einem Netz, das leistungsfähiger sein wird als vorher. Dann ist es vorbei mit dem Leben "hinter dem Mond" an der Heidemannstraße.

© SZ vom 13.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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