Süddeutsche Zeitung

Freimann:Explosives Erbe

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Ein falscher Tritt kann tödlich sein: Die Räumung der Fröttmaninger Heide von Kampfmitteln wird noch Jahre dauern. Viele Menschen treibt aber mehr um, was erlaubt und was verboten ist in dem Naturschutzgebiet

Von Stefan Mühleisen, Freimann

Die Grundschulkinder recken eifrig ihre Arme hoch, gedämpft dringen ihre Rufe durch die Glastür hinein ins Heidehaus. Sie springen an diesem sonnigen Vormittag aufgeregt um eine Decke beim Hintereingang des Informations- und Bildungszentrums herum, deuten hierhin und dorthin, auf ausgebreitete Blumen, Äste, Erdklumpen. Die Umweltbildungsreferentin hat sichtlich ihre Freude an der Wissbegierde der Kinder. Hinter ihnen erstrahlt eine blühende Blumenwiese in der Sonne, das idyllische Bild stört nur ein enormer Geröllhaufen in gut einem Kilometer Entfernung. Es sind die Überreste von alten Militärbaracken, inmitten eines jahrzehntelang militärisch genutzten Gebiets. "Im Prinzip ist das hier wie ein Minenfeld", sagt Tobias Maier.

Der Biologe sitzt an einem Tisch im Heidehaus, diesem kleinen Stützpunkt am südöstlichen Zipfel des Naturschutzgebiets Fröttmaninger Heide. Der 52-Jährige, athletische Erscheinung in olivfarbener Hose und T-Shirt, ist hier Gebietsbetreuer; und als solcher ist er, wie alle seine gut 50 Kollegen in Bayern, als Ansprechpartner für die Umsetzung der Naturschutzverordnung bestellt. Nahezu täglich ist Maier in der Heidelandschaft unterwegs, ein profunder Kenner dieses Areals und damit auch ein Kenner der problematischen Pole, die in und um das Heidehaus sehr deutlich sichtbar sind: In einer Vitrine an der Wand liegt eine verrostete Panzergranate aus dem Zweiten Weltkrieg, Kaliber 8,8 Zentimeter, gefunden von einem Schäfer in einem Kiesbett, knapp unter dem Boden vergraben.

Die bekommen auch die Grundschulklassen zu sehen, die hier regelmäßig Anschauungsunterricht erhalten. Sie sind begeisterte Zuhörer, aufgeschlossen für Erklärungen, was hier erlaubt ist und was man tunlichst lassen soll - anders als so mancher Erwachsene, wie Tobias Maier zu berichten weiß. Mountainbiker oder auch Motocross-Fahrer zum Beispiel, die durch die Heide bügeln. Hunde, die ohne Leine herumtollen, sich in Tümpeln wälzen. "Ich erkläre den Hundehaltern dann, dass diese Tümpel Amphibien als Laichgewässer dienen, der Laich verschlammt, verpilzt und stirbt, die Kaulquappen ersticken", erzählt Maier. Manche sehen das ein, viele nicht. "Die sind nicht erfreut, dass ihr Verhalten reglementiert wird", formuliert es der Biologe.

Vorsichtige Worte für einen lange andauernden, teils hitzig geführten Streit. Was soll erlaubt und was verboten sein zwischen den Hügeln und Wiesen? Die Natur mehr vor dem Menschen schützen oder den Menschen mehr Naherholung erlauben? Dreieinhalb Jahre lang zankten sich Anwohner mit Naturschützern in einem als modellhaft geltenden Bürgerdialog über angemessene Vorschriften für eine Naturschutzgebietsverordnung.

Das 334 Hektar große Areal der Südlichen Fröttmaninger Heide im Grenzgebiet zwischen nördlichem Stadtrand, Garching und Oberschleißheim gilt als einzigartiges Biotop mit seltenen Tier- und Pflanzenarten, es ist Teil des Natura-2000-Gebiets im Münchner Norden, zu dem auch die Panzerwiese und das Mallertshofener Holz zählen. Der Kompromiss nach dem langen Gezänk: Die Heide ist in vier Zonen mit verschiedenen Vorschriften eingeteilt: Die "Schutzzonen" sind ganzjährige Tabuzonen, die "Zone für das Heideerleben" und die "Umweltbildungszone" nur während der Vogelbrutzeiten. Durchgängig offen für Spaziergänger und Gassigeher sind allein die "Zonen für das freie Betreten"; nur in diesen Segmenten sollen Herrchen und Hund auch abseits der Wege herumstreifen dürfen, wobei die kurze Leine Pflicht ist.

Das mag so mancher Anwohner noch immer nur schwer akzeptieren. Schließlich war das Gebiet Jahrzehnte lang ein Truppenübungsplatz, ein kaum pfleglich behandelter Landstrich, wo sich die Freimanner wie selbstverständlich bewegten. Erst seit 2017 weiß man über das ganze Ausmaß des explosiven Erbes Bescheid, welches die lange Militärgeschichte hinterlassen hat, manchmal verborgen dicht unter der Oberfläche: Munitions- und Sprengstoffreste, verteilt auf das gesamte Gebiet, dokumentiert durch Luftbilder, magnetische Sondierungen, testweise Räumungen. "Ein Stupser mit dem Wanderstock oder ein falscher Tritt kann theoretisch tödlich sein", sagt Maier.

Er steht jetzt auf einem Kiesweg unweit des Heidehauses, in der Umweltbildungszone. Die Heidelandschaft präsentiert ihre saftig grüne Anmut, sanft wiegen sich die Äste der Kiefern im Wind. Maier deutet auf eine rote, am Boden aufgesprühte Markierung. Diesseits der Linie ist es sicher, was jenseits davon blühen könnte, zeigt ein Schild: "Lebensgefahr durch Kampfmittel!", steht darauf in roten Großbuchstaben. Dutzende Schilder und Markierungen sind entlang des 20 Kilometer langen Wegenetzes verteilt - immerhin dieses Stück ist seit einigen Monaten komplett von Munitionsresten befreit und gefahrlos begehbar.

Derzeit sind die Kampfmittelräumer dabei, die "Umweltbildungszone", den Sektor östlich des U-Bahnhofs Fröttmaning, von Munitionsresten zu befreien; 30 Hektar sind schon geschafft, wie es heißt. Bis Jahresende soll der größte Teil dieses Heidesegments am Rande der Wohnbebauung gefahrlos zugänglich sein. Allein, es wird wohl noch viele Jahre dauern, bis dies für das gesamte Naturschutzgebiet gilt. Denn die Experten grasen die Heide buchstäblich mit der Hand nach den gefährlichen Überresten ab.

Der Grund: Anders als in mit Altlasten durchsetzten Baugebieten gilt es, behutsam mit dem Boden, den darauf lebenden Tieren und Pflanzen umzugehen. Deshalb wird zunächst ein Wagen mit Sonden über ein Geländesegment geschoben, wodurch eine GPS-gestützte, geomagnetische Karte entsteht. Das Gerät erfasst ferromagnetische "Störkörper", also Objekte aus Eisen und Stahl. Das können potenziell explosive Relikte sein - oder aber lediglich ungefährliche Schrottteile. Um das herauszufinden, müssen sich die Fachleute von jedem Gebilde per Handsonde ein genaues Bild machen, "den Boden per Hand lesen", wie es Gebietsbetreuer Tobias Maier ausdrückt. Dabei ist das sogenannte Räumkonzept - also welche Areale wie stark belastet sind und welche Bereiche primär beackert werden -, noch nicht abgeschlossen; es soll im Herbst fertig sein, sagt die Geschäftsführerin des Heideflächenvereins, Christine Joas.

All dies wird eine Stange Geld kosten, wohl einen einstelligen Millionenbetrag, wie Joas vermutet. Klar ist dabei, dass die Kosten am Steuerzahler hängen bleiben. Unklar bleibt, ob nur die Bevölkerung in den Mitgliedskommunen des Heideflächenvereins dafür aufkommt oder auch der Bundeshaushalt etwas beisteuert. Seit zwei Jahren streitet sich der Heideflächenverein darüber mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Die interkommunale Organisation hatte dem Bund das Gebiet 2007 abgekauft, ficht nun aber das damalige Gutachten zur Kampfmittelbelastung an - und fordert Schadenersatz. Der Räumaufwand sei viel höher als seinerzeit dargestellt, findet der Heideflächenverein. Ein Vergleich ist bisher gescheitert, nun geht das Verfahren in die nächste Instanz vor das Oberlandesgericht. "Das kann sich noch Jahre hinziehen", vermutet Joas, betont aber, dass dies die Kampfmittelräumung nicht bremsen soll. "Wir wollen möglichst schnell vor allem die siedlungsnahen Bereiche entmunitionieren", sagt sie - aus Sicherheitsgründen, zum Schutz der Bürger.

Dabei dürfte es ebenfalls noch viele Jahre dauern, bis sich die Bürger ihrerseits an die teils strikten Regeln in der Heide gewöhnt haben. "Bis zu meiner Rente werde ich noch viele Gespräche führen", sagt Tobias Maier.

Gebietsbetreuer Tobias Maier informiert laufend bei kostenlosen Infoveranstaltungen über anstehende Maßnahmen in der Heide; die nächste findet an diesem Sonntag, 11. August, von 15 bis 16.30 Uhr am Heidehaus, Admiralbogen 77, statt.

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Quelle:
SZ vom 10.08.2019
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