Freimann:Denksport im Quadrat

Squaredance: Für manche altmodisches Gehopse, für seine Anhänger eine Herausforderung. Ruft der Caller seine Anweisungen, gilt es blitzschnell, aus 180 möglichen Figuren die richtige zu tanzen

Von Julius Bretzel, Freimann

Christof Kettner hat den Bassbariton von Johnny Cash noch nicht so ganz drauf; doch was seine Stimme an markanter Färbung vermissen lässt, gleicht er mit eifrigem Temperament aus. Ohnehin will er gar nicht so klingen wie der große Country-Star Cash. Während die Mariachi-Trompeten von "Ring of Fire" durch den Saal schmettern, ist Kettners Ziel nicht eine brillante Coverversion, sondern ein perfekt getanztes Quadrat. Ins Mikrofon singt der Mann mit dem Vollbart und dem Westernhemd Cashs berühmte Verse von der Liebe, die so süß sei, wenn Herzen wie die unseren sich träfen. Dann haut er die Anweisungen raus, in rasantem Tempo, auf Englisch, versteht sich. Nach links drehen, zu einem halben Ausflug wegrollen! Promenade! Ozeanwelle!

Ein gutes Dutzend Paare, die Frauen im Petticoat, die Männer mit großen Gürtelschnallen, folgt aufs Wort. Wie geheißen drehen sie nach links, wechseln die Plätze, schreiten ein imaginäres Quadrat ab, reihen sich in eine leicht gewellte Linie. Bunte Petticoats fächern sich beim Tanz auf, Hände werden einander gereicht. Ein Abend im Freizeittreff Freimann, die Mitglieder des Squaredance-Clubs "Jolly Joker" gehen ihrem liebsten Hobby nach: Formationen tanzen zu Country-Rhythmen, angeleitet von einem "Caller", der im Takt der Musik Anweisungen für die Figuren in den Songtext einflicht.

Tanzkurs Square-Dance-Club Jolly Jokers, Freizeittreff Freimann, Burmesterstraße 27

Fördert die Beweglichkeit, nicht nur die körperliche: Squaredance hält auch die grauen Zellen auf Trab.

(Foto: Florian Peljak)

An diesem Abend ist das Christof Kettner. Er weiß, dass der amerikanische Volkstanz in München eine kleine, eingeschworene Fangemeinde hat. Und schon lange registriert der erfahrene Caller, dass die Squaredance-Szene auch in München schrumpft: "Wir fühlen uns als eine Familie, werden aber leider immer weniger."

Rund 30 Squaredance-Clubs gibt es in München und im Umland. Sie tragen bildhafte Namen wie "Bavarian Diamonds" oder "Dancing moor lights". "Jolly Joker" gibt es seit 38 Jahren. Es herrscht reger Austausch unter den Vereinen, man besucht sich, tut sich für Tanzabende zusammen oder unternimmt Reisen zu großen Squaredance-Treffen. "Wenn ich in einer unbekannten Stadt oder in einem fremden Land bin und nicht weiß, was ich heute Abend tun soll, kann ich beim nächsten Squaredance-Club einen netten Abend haben", erklärt Irene Chiba, Präsidentin des Jolly-Joker-Vereins.

Der US-amerikanische Squaredance hat sich aus den europäischen Tänzen der Siedler und Einwanderer entwickelt. Ein "Square" besteht aus vier Paaren, die im Quadrat beginnen und sich anschließend in unterschiedlichen Formationen bewegen: Kreise, Sterne oder Linien. Die Tänzer wechseln ständig ihre Partner; der Caller hat dabei die Aufgabe, passend zur Musik eine möglichst abwechslungsreiche Choreografie vorzugeben. Er ist sozusagen der Dirigent der Tänzer.

Tanzkurs Square-Dance-Club Jolly Jokers, Freizeittreff Freimann, Burmesterstraße 27

Seit den frühen 90ern hat die Teilnehmerzahl bei den Jolly Jokers merklich abgenommen - heute hat der Club noch 40 Mitglieder.

(Foto: Florian Peljak)

74 Figuren lernen die Anfänger binnen eines halben Jahres, doch Neueinsteiger sind rar. In Freimann sind es an diesem Abend in einem Kurs vier Personen - jedoch werden wohl nicht alle bis zum Abschluss im März durchhalten, wie Irene Chiba befürchtet. Die 68-Jährige erinnert sich an ihren eigenen Einsteigerkurs vor 13 Jahren: "Wir waren damals zehn, aber nur drei haben den Kurs beendet. Und davon bin nur ich heute noch aktiv." Entsprechend schwer tut sich der Verein: Vor 30 Jahren waren noch rund 120 Tänzerinnen und Tänzer bei Jolly Joker aktiv; heute besteht der Club aus gut 40 Mitgliedern. Wie in vielen Tanzgruppen fehlt es vor allem an Männern. Deshalb lernen manche Frauen die Figuren um und übernehmen die Männerparts. Manche Mitglieder haben früher ihre Kinder mitgenommen, langfristig seien diese aber nie geblieben, sagt Chiba und räumt ein: Jugendliche hielten den Tanz und die Musik schlicht für zu altmodisch. "Ich habe selbst eine Nichte, die gerne tanzt, aber lieber Hip-Hop."

Zur Situation des Squaredance insgesamt in der Gesellschaft äußert sich Wolfgang Daiss, Präsident des Europäischen Verbands für Squaredance-Clubs, folgendermaßen: "Die Leute schnuppern mal hier rein, mal da rein. Am Ende können sie sich kaum entscheiden, wobei sie bleiben wollen." Soll heißen: Das Freizeit-Überangebot saugt nach Daiss' Einschätzung der Squaredance-Szene die Mitglieder ab, wobei dieser spezialisierte Tanz ohnehin schon immer eine Nische gewesen sei. Dass es wenige Neueinsteiger in der Szene gibt, hält Daiss nicht für allzu tragisch: Im Schnitt, so berichtet er, kommt es alle zehn Jahre zu einem Squaredance-Boom. Denn dann erkennen all jene, die diesen Tanz für eine langweilige und altmodische Sache hielten, dass Squaredance durchaus knifflig sein kann. "Es ist Denksport, der das Gehirn fit hält", fasst Tänzerin Dana Beer zusammen.

Tanzkurs Square-Dance-Club Jolly Jokers, Freizeittreff Freimann, Burmesterstraße 27

Alle hören auf sein Kommando: Christof Kettner gibt als "Caller" beim Squaredance-Verein "Jolly Joker" auf Englisch den Paaren die Tanzanweisungen.

(Foto: Florian Peljak)

Auf diese Idee mag man zunächst nicht kommen. Welche Denkleistung soll es bei "Ring of Fire" geben, einem Song, der dank ständiger Wiederholungen mit nur elf Textzeilen und drei Akkorden auskommt? Doch wenn der Caller Kettner seine Kommandos im Stakkato ruft, dann gilt es, unmittelbar die richtige Schrittfolge aus bis zu 180 Figuren zu absolvieren - und locker wirken soll das auch noch. Beer sagt: "Von außen mag es aussehen wie Ringelpiez mit Anfassen. Wer Squaredance aber mal ausprobiert hat, weiß, dass es eine komplexe Herausforderung für Menschen jeden Alters ist."

Und es kann ein Vergnügen gerade für Tanzmuffel sein. Ein solcher war Christof Kettner freilich nie. Er ist in drei Vereinen aktiv, in denen er nicht nur regelmäßig die Caller-Rolle einnimmt, sondern sich auch gerne als Tanzpartner ins Quadrat begibt. Überdies unternimmt er immer wieder Reisen zu Squaredance-Events auf der ganzen Welt. Er sagt: "Gerade für Männer, die ja bei anderen Stilrichtungen die Dame führen müssen, ist Squaredance interessant. Denn der Caller gibt alle Abläufe vor."

Kettner macht das zwei Stunden an diesem Abend, bis er ein letztes Mal den Tänzern die immer gleiche Schlussfigur zuruft: "Bow to your partner, bow to your corner", verbeuge dich zum Partner, verbeuge dich zur Ecke. Schlussakkord, dann leert sich die Tanzfläche.

Oftmals setzen sie sich dann noch im Wirtshaus zusammen, und oftmals kommt dann eine mögliche Lösung der Mitglieder-Misere auf den Tisch: Viele Vereine überlegen schon lange, ob sie nicht fusionieren sollen - dann gäbe es einen stabilen großen Club statt vieler kleiner, die ihre Beiträge erhöhen oder sich ganz auflösen. Allerdings: Kaum eine Gruppe, auch nicht "Jolly Joker", will ihre Räume und den wöchentlichen Termin aufgeben. Denn dann könnten weitere Mitglieder von der Fahne gehen.

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