Süddeutsche Zeitung

Freimann:Alle Menschen sind gleich

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Montessori-Fachoberschüler setzen sich künstlerisch mit Rassismus im Alltag auseinander

Von Ilona Gerdom, Freimann

Die Mohr-Villa liegt verlassen da. Die Türen sind wegen Corona verschlossen. Das Freimanner Kulturzentrum ist menschenleer. Heute mag man kaum glauben, dass es vor sechs, sieben Wochen noch voller Leben war: Stimmengewirr, Plakate auf dem Boden, Bilderrahmen an der Wand, dazwischen Klebebandrollen. Immer wieder rief jemand durch den Gewölbesaal: "Haben wir eine Schere?" An jeder Ecke waren Schüler und Schülerinnen der Montessori Fachoberschule Freimann (MOS) mit dem Aufbau ihrer Ausstellung "Wer ist Rüdiger? Wer ist Mohammed?" beschäftigt. Für die Schau hatten mehrere Klassen des Gestaltungszweigs der Privatschule T-Shirts, Porträts und Performances erarbeitet.

Im Zentrum der Ausstellung stehen die Themen Rassismus und Zivilcourage. Zu sehen bekommt die Arbeiten allerdings erst einmal niemand, weil kulturelle Einrichtungen weiterhin geschlossen bleiben. Laut Organisatorin Bettina Mechtersheimer sollen die Werke aber auf jeden Fall beim sogenannten "World Day" der MOS gezeigt werden. Wann der stattfindet, kann im Moment noch keiner sagen. Also bleibt vorerst nur der Rückgriff auf einen Rundgang während des Aufbaus in der Mohr-Villa.

Eine Gruppe von sieben Jugendlichen hatte T-Shirts auf Bügeln an die Wand gehängt, davor ein Tisch auf dem neben Kleidungsstücken auch Buttons, Jutebeutel und Postkarten lagen. Sie wurden im Siebdruckverfahren mit Schriftzügen und Piktogrammen versehen. Marco Ulrich ist einer der Urheber. Von dem 19-Jährigen stammt der Name der Ausstellung: "Wer ist Rüdiger? Wer ist Mohammed?" Diese Fragen hat er auf Taschen und Shirts gedruckt, darunter vier männliche, gleichfarbige Bildsymbole. Ulrich erklärt, dass keiner wissen könne, welche der Personen Rüdiger und welche Mohammed sei. Für ihn ist genau das entscheidend: "Aus verschiedenen Blickwinkeln sehen doch alle Menschen gleich aus." Auf die Frage, was er mit seinen Siebdrucken erreichen möchte, sagt er: "Dass die Leute sich mehr über sich selbst bewusst werden. Kommentare, die man macht, haben nun mal Konsequenzen." Darüber müsse man sich klar sein.

Zora Gensel hat auf ein riesiges Plakat in dunklen Farben ein Porträt gemalt. Dass sie dafür nur sieben Stunden gebraucht hat, ist kaum zu glauben. Zu sehen ist das Gesicht einer schwarzen Frau. Inspiriert hat Gensel der Social-Media-Account des Fotografen Peter DeVito. Er dekoriert die Gesichter seiner Modelle mit Schriftzügen, thematisiert dabei die Furcht vor Akne ("perfect does not exist") ebenso wie die Vorurteile gegen Menschen fremder Herkunft. Auf Gensels Porträt der schwarzen Frau steht: "You are pretty for a dark skin girl", also: Du bist hübsch für jemanden mit dunkler Haut. Genzel hat diese Aussage schockiert. Sie will mit ihrer Arbeit zeigen: "Es gibt Menschen, die sich mit sowas auseinandersetzen müssen." Menschen also, die in ihrem Alltag aufgrund ihrer Hautfarbe oder Herkunft Diskriminierung erfahren.

Bettina Mechtersheimer, die Organisatorin der Schau, ist eine von fünf Kunstlehrenden der MOS, die die Schüler betreut haben. "Ich finde es schön, wenn sich diese jungen Menschen für das Thema Alltagsrassismus sensibilisieren", sagt sie. Sich gegen Fremdenhass einzusetzen, ist erklärtes Ziel der MOS. Nicht ohne Grund nimmt sie am Programm "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage" teil. Am Anfang sei das Thema schwer greifbar gewesen für die etwas mehr als 100 beteiligten Schüler, sagt Mechtersheimer. Dann habe die Auseinandersetzung mit dem Rassismus die Elft-, Zwölft- und Dreizehntklässler aber sehr bewegt.

Ohne Zweifel ist das künstlerische Niveau der Arbeiten hoch, geht über das hinaus, was man von Oberstufenschülern erwartet. Dennoch bleibt beim Betrachten das Gefühl, dass etwas fehlt. Manches wirkt klinisch, distanziert. Wie Bettina Mechtersheimer anmerkt, ist der Anteil von Schülern mit Migrationshintergrund an der Montessori Fachoberschule Freimann gering. Wenige Jugendliche hätten selbst Erfahrungen mit Alltagsrassismus gemacht. Kaum eines der Projekte sei in Zusammenarbeit mit jemandem entstanden, der selbst unter Diskriminierung zu leiden hat. So mag die gestalterische Aufarbeitung den Schülern selbst das Thema Rassismus ins Bewusstsein rufen. Die Stimmen der Betroffenen aber rücken in den Hintergrund.

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Quelle:
SZ vom 21.04.2020
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