Süddeutsche Zeitung

Freiflächen für Gastro-Kultur:Immer eine Idee voraus

Der Kulturverein Wannda bangt um seine Zukunft - und hat große Pläne.

Von Michael Zirnstein

Das verwinkelte Ladenbüro an der Sommerstraße in der Au zeigt, wie geschickt der Hunderte Mitglieder starke Kulturverein Wannda Räume nutzt. Die Andenken an den Wänden künden von seinen Spektakeln seit 2012: nostalgisch anmutende Plakate von Wannda-Zirkus, Wannda-Kulturfestival und Märchenbazar. Mehr aber als ein handbemaltes Brett mit dem Mut- und Mitmachmotto "Wenn nicht jetzt Wannda(nn)" spiegelt ein anderes Relikt die momentane Stimmung: eine alte Trommel mit geplatztem Fell, das für den Traum von einer alternativen Kultur in München stehen könnte. Dafür haben Fabian Elbert, Jakob Ritzenhoff, Emine Capartas und die Brüder Daniel und Julian Hahn Wannda einst gegründet, nun sitzen sie im Hauptquartier und sorgen sich um die Zukunft. "Es ist traurig, dass etwas, das sich etabliert hat, jederzeit zu Ende sein kann", sagt Julian Hahn. Er hat das bestaunte Giesinger Hexenhaus "Gans woanders" und im Westpark das "Gans am Wasser" als Wohlfühlorte aufgebaut, sein Bruder den Bahnwärter Thiel und die Alte Utting. In diese Privatprojekte ist der Verein nicht involviert, aber Wannda ist eben die Keimzelle dieser Gastro-Kulturstätten, der aufsehenerregendsten seit der Kunstpark-Ära.

Jetzt könnte Wannda pleitegehen oder sich samt seines umtriebigen Netzwerkes zerstreuen, befürchten die Gründer. Das liegt auch an Corona. Seit Anfang 2020 konnte keines der drei Festivals pro Jahr steigen, und bei allem ehrenamtlichen Eifer müssen eben doch die Mieten bezahlt werden für das Büro und zwei "Riesenlager voller Schätze und Selbstgebautem", mit denen 120 freiwillige Helfer eine Brache in ein Wunderland verwandeln.

Solche Freiflächen sind das eigentliche, existenzielle Problem. "Es gibt kaum noch welche in München", sagt Ritzenhoff, sie haben Google-Satellitenbilder danach abgesucht - alles zugebaut. Am rarsten sind geschotterte Plätze, aber nur hier können sie die Heringe der Zelte einschlagen. Ihr "Hoffnungsschimmer", so Daniel Hahn, war der Mariahilfplatz. Seit ihrem Auszug aus dem Alten Viehhof (wo das neue Volkstheater steht) sprachen sie immer wieder im Bezirkskauschuss 5 vor, dort im Winter den Märchenbazar aufstellen zu dürfen. Das wurde lang abgelehnt, laut Beschluss dürften dort nur die Auer Dulten steigen. Zum Glück hatte Wannda einen Joker: die Lamentofläche im Kreativquartier, die jetzt aber auch zubetoniert wird. Ihre Initiative, den Kirchplatz wieder zum sozialen Zentrum der Au zu machen, fruchtete dann aber doch mithilfe der neuen Grünen-Viertelmehrheit. Als aber für 2020 der Veranstalter eines Wintermarktes gesucht wurde (der pandemiebedingt ausfiel), entschied sich das Gremium mit einer Stimme Mehrheit für die Münchner Eventmarketing GmbH (verbandelt mit "Kino am Olympiasee") und deren Hüttendorf vom Reißbrett. Wannda sind friedliche Leute, aber das brachte sie in Rage: Sie hatten die Idee, sie hatten jahrelang Erfahrung, stadtweit Fans, ein Referenzschreiben vom Kompetenzteam Kreativwirtschaft und vor allem ein eigenes Gesicht: einen liebevoll aus dem Freundeskreis gezimmerten Stadtviertel- und weltoffenen Budenzauber mit Familien- und Kulturprogramm. "Aber die wollten es dem Großveranstalter aus dem Olympiapark mit einem unfertigen Konzept geben, das hat uns verzweifeln lassen", sagt Julian Hahn und mutmaßt: "Vielleicht sind wir denen zu bunt, zu jung, zu alternativ."

Jörg Spengler, der grüne Bezirksausschussvorsitzende, ist "absoluter Fan" von Wannda, wie er der SZ sagt. Er könne aber nichts versprechen, möchte die Bürgerversammlung am 8. Juli abwarten. Einige Nachbarn machen schon wieder Front gegen die Nutzung des Areals über einen Parkplatz hinaus. "Ich bin zuversichtlich, dass er schrittweise geöffnet wird." Ob dann Wannda zum Zug kommt, weiß er nicht, noch habe sich kein anderer beworben. Julian Hahn, Ritzenhoff und Capartas waren gerade in zwei Ausschüssen und haben ihren Wunsch bekräftigt, in der Au anzukommen. Um eine Perspektive zu haben. Die andere, ihr Joker diesmal, wäre das Tollwood-Gelände im Olympiapark. Etwas muss klappen, das "Hin- und Herhupfen" aufhören, sagt Julian Hahn: "Man verliert die Kraft, wenn man jedes Mal bei null anfangen muss."

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SZ vom 23.06.2021
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