Süddeutsche Zeitung

Freie-Wähler-Veranstaltung:Auf Stimmenfang mit dem "ESM-Monster"

Am Mittwoch entscheidet das Bundesverfassungsgericht über den Eurorettungsschirm ESM. In München nutzen die Freien Wähler den Termin zum Stimmenfang - und scheuen dabei vor Nazivergleichen nicht zurück. Fast so, als stünde der Untergang Deutschlands kurz bevor.

Anna Fischhaber

Was der Widerstand gegen den Eurorettungsschirm ESM mit dem Widerstand gegen die Nazis gemeinsam hat? Geht es nach Adenauer-Enkel Stephan Werhahn, der für die Freien Wähler in den Bundestag will, so einiges: Sein Großvater Konrad Adenauer habe 1933, damals noch Oberbürgermeister in Köln, gegen die Nazis Haltung gezeigt. Nun sei man an einem ähnlichen Punkt.

Das ruft Werhahn den 300 Zuschauern im Haus der Bayerischen Wirtschaft in der Münchner Innenstadt zu und vergleicht nicht nur bei dieser Gelegenheit, was nicht verglichen gehört. Bei der Demonstration gegen den ESM in Karlsruhe hätten die Bürger bereits "Mut zum Widerstand" gegen den Mainstream bewiesen, sagte er einige Stunden vorher auf einer Pressekonferenz. "Eine Haltung wie sie in München Sophie Scholl gezeigt hat."

Ein wenig bekommt man bei der Veranstaltung der Freien Wähler das Gefühl, der Untergang Deutschlands stehe kurz bevor. Es geht um Absolutismus und Diktatur, um "Blockparteien" und "Einheitspropaganda", um Tumulte und Armutsrevolten, die angeblich drohten. Dabei ist das eigentliche Thema des Abends das Urteil, das das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch über die Verfassungsmäßigkeit des ESM fällen will.

Das ist sicherlich ein strittiges Thema. Und sicherlich auch ein historisches Urteil, auf das nicht nur die Freien Wähler warten, die zu den Klägern gehören. Aber was das mit dem Widerstand gegen die Nazis zu tun hat, bleibt unklar. Doch das scheint an diesem Abend niemanden zu stören. Unter dem Motto "Demokratie oder ESM" haben die Freien Wähler geladen. Mit Erfolg: Es sind so viele Menschen gekommen, dass nicht alle in den großen Veranstaltungssaal passen.

Was die Zuschauer, in der Mehrzahl ältere Herren, verbindet? Die Wut auf die Banken, die Parteien, die Medien. Auf alle, die ihnen ihr Erspartes wegnehmen und für Banken und Griechenland verprassen wollten. Wenn auf dem Podium über das "ESM-Monster" geschimpft wird, brandet Applaus auf.

Immerhin, vom rechten Rand ist an diesem Abend nichts zu sehen. Denn immer wieder hatten sich zurvor NPD-Mitglieder, unter ihnen auch Karl Richter, Bundesvizechef und für die rechtsradikale Bürgerinitiative Ausländerstopp im Stadtrat, in den vergangenen Wochen den Anti-ESM-Demonstrationen der Freien Wähler angeschlossen. Besonders deutlich wurde daraufhin SPD-Landeschef Florian Pronold: "Wer rechtspopulistisch auf Stimmenfang geht, muss sich nicht wundern, dass Rechtsextremisten mitjubeln", sagte er.

"Wir bleiben auf diesem Kurs"

Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger spricht an diesem Montag von einer "Schmierenkomödie". Die anderen Parteien sollten doch froh sein, dass seine Freien Wähler aus der bürgerlichen Mitte als einzige Partei den "Wahnsinn ESM" stoppen wolle. Und die Sympathisanten vom rechten Rand? Aiwanger schlägt erneut vor, das Versammlungsrecht zu ändern, damit die NPD nicht mehr mitmarschieren dürfe.

Vorerst haben die Freien Wähler ihre Veranstaltungen von der Straße in geschlossene Räume verlegt, um von der NPD verschont zu bleiben. Ihre mitunter ziemlich populistische Anti-Euro-Politik ändern wollen sie nicht. "Wir bleiben auf diesem Kurs", ruft Aiwanger und erntet erneut Applaus. Die Freien Wähler wollen 2013 nicht nur an der Landesregierung in Bayern beteiligt sein, sie wollen auch in den Bundestag. Ein Zuschauer sagt, er sei hier, um sich über den ESM und die Alternativen zu informieren. Doch von einer informativen Podiumsdiskussion kann an diesem Abend nicht die Rede sein.

Auf dem Podium sitzen: Aiwanger, Adenauer Enkel Werhahn und Michael Piazolo, Europaexperte bei den Freien Wählern, Beatrix von Storch von der Zivilen Koalition, Wirtschaftsblogger Peter Boehringer und der Münchner Strafrechts-Professor Bernd Schünemann, der wegen der Eurorettung bereits Anzeige gegen die Bundesbank gestellt hat. Und die sind alle mehr oder weniger einer Meinung: Die Euroeinführung? Eine Geschichte von Rechtsbrüchen. Griechenland-Hilfen? Überflüssig. Alternativen? Fehlanzeige.

Aiwanger erwähnt die Möglichkeit von Parallelwährungen, von einem Schuldenschnitt, ausführen tut er diese Ideen nicht. Glaubt man ihm, ist sowieso alles ganz einfach: Schon seine Oma habe ihm beigebracht: "Mach keine Schulden, sonst musst du für fremde Leute arbeiten." Dabei habe seine Oma nicht einmal ein Diplom gemacht. Auch jetzt helfe der gesunde Menschenverstand. Man müsse nicht den Umweg über die Banken gehen. Lieber solle der ESM direkt für die Rettung deutscher Renten eingesetzt werden. Man müsse bloß den Freien Wähler die Stimme geben, deren Banner überall im Saal hängen. Das Publikum quittiert solche Worte mit Dankesbekundungen, viele machen Fotos, schreiben mit.

Es dauert mehr als zwei Stunden, bis endlich ein Zuschauer nach Alternativen fragt und das mit der Parallelwährung doch noch einmal genauer erklärt bekommen will. Eine Antwort bekommt er nicht.

In der vorherigen Version des Artikels hatte es an einer Stelle geheißen, Hubert Aiwanger habe gefordert, den Verfassungsschutz zu verbieten. Herr Aiwanger weist uns darauf hin, dass es sich dabei um ein Missverständnis handelt. Er habe lediglich darauf hingewiesen, wie viele V-Männer laut Berichten bei der NPD seien. Und gefordert, die Partei zu verbieten.

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