Freibaderlebnisse:Blaue Wunder

Michaelibad in München, 2012

Mit den ersten Sommertagen beginnt die Hochsaison in den Freibädern.

(Foto: Robert Haas)

Mit den ersten Sommertagen beginnt die Hochsaison in den Freibädern. Schwimmen kann man dort auch - aber längst nicht nur.

So richtig beginnt der Sommer in der Stadt ja erst mit dem ersten Freibadbesuch, wenn man das erste Mal in der Saison unter freiem Himmel ins Wasser springt. Alle acht Münchner Freibäder haben bereits wieder geöffnet, und so unterschiedlich die Bäder sind, so verschieden sind auch die Gäste.

Es gibt Menschen, die gehen ins Freibad, um zu schwimmen. Das trifft bei weitem aber nicht auf alle zu. Es gibt auch Freibad-Fans, die sehnlichst darauf warten, dass die Temperaturen im Frühling steigen, um ihre Decke auf der Liegewiese auszubreiten und die langen Tage unter freiem Himmel zu verbringen, ohne jemals ins Becken zu steigen. Andere können es kaum erwarten, Pommes mit nach Chlor riechenden Fingern zu essen, ihren Campingstuhl auf den grünen Liegewiesen aufzuklappen oder nachts über den Zaun zu klettern.

Nächtlicher Einstieg

Fünf Uhr früh, der letzte Wirt hat die Studenten-Truppe gerade freundlich gebeten, man möge sich aus seiner Kneipe schleichen. Was tun, so kurz vor Sonnenaufgang, in dieser feucht-fröhlichen Sommernacht? Klar: Jetzt muss es noch feucht-fröhlicher werden. Das Warnschild "Nicht besteigen" ist um kurz nach fünf nicht mehr als ein Vorschlag, der Zaun des Freibads schnell erklommen. Vier Burschen und drei Mädels - welch ein Lausbubenstück. Wer soll einen jetzt schon erwischen? Wäre ja schön blöd, um diese Tageszeit.

Nicht bedacht haben die Einbrecher, dass einer ihrer Kumpanen beim Leeren der Stamperl-Gläser besonders ehrgeizig vorgegangen ist. Alsbald erklimmt er den Sprungturm, grölt der aufgehenden Sonne entgegen und merkt dabei nicht, wie sich in einem Nachbarhaus ein Vorhang regt. Ganz schön niederträchtig, dass die Polizisten dann nicht einmal ihr Blaulicht eingeschaltet hatten und sich durch einen Hintereingang einschlichen. Die Heimreise im Streifenwagen war der unschöne Teil des Abends, und die Zeitungsmeldung zwei Tage später ebenfalls ungewollt. Nur gut, dass die Anzeige später fallen gelassen wurde. Im Nachhinein war der Vorschlag am Freibadzaun gar nicht so schlecht.

Strandfeeling

Das gute Gefühl, eine Stunde lang Bahnen geschwommen zu sein, verpufft, als ich zur Liegewiese zurückkomme. Hatte ich meine Sachen so liegen lassen, die Tasche offen und das Handtuch zerknüllt neben der Decke? Ich wühle in meinem Beutel, stelle erleichtert fest: Die Dauerkarte fürs Freibad ist noch da, genauso der Zehneuroschein für das nach dem Schwimmen obligatorische Eis. Aber halt: War ich tatsächlich ohne Schuhe ins Freibad gefahren? Und ich entsann mich, auch einen Rock getragen zu haben. Der ist weg, ebenso wie Shirt und Schuhe. Der Heimweg auf dem Fahrrad hat Strandfeeling: Im Bikini durch die warme Abendluft zu Radeln, wäre romantisch - würden mich nicht all die Städter so skeptisch angucken.

Freibad, eine riesige Dating-Plattform

Die blaue Badehose

Junge Schwimmerin

Vorsicht, im Becken kann es schon mal zu peinlichen Verwechslungen kommen.

(Foto: dpa)

Besuch aus Berlin von einem alten Freund. Abends schwimmen? Aber sicher, in München doch kein Problem, im Dantebad täglich bis 23 Uhr. Es ist schon dunkel, das 50-Meter-Becken dampft. Nach einigen Bahnen paddelt plötzlich ein langsamer Schwimmer vor mir auf der Bahn. Blaue Badehose, rote Badekappe: der Freund aus Berlin. Ich fasse seinen Knöchel und ziehe daran, dann ein lässiges Überholmanöver.

Einige Bahnen später blockiert diese Schnecke wieder die Bahn. Ich bekomme seine Badehose zu fassen. Der Berliner - langsam, aber sexy, wa? Am Ende der Bahn tauche ich auf und warte. Da ertönt plötzlich eine vertraute Stimme - aus dem einige Meter entfernten Erlebnisbecken. Dort hängt im Massagestrudel der Freund aus Berlin, in roter Badehose und blauer Badekappe.

Trockenschwimmen

Freibäder sind zum Schwimmen da? Wer diesem Irrglauben aufsitzt, ist entweder glücklich liiert oder jünger als dreizehn Jahre alt. Ungefähr in diesem Alter beginnt man das Freibad als das zu verstehen, was es wirklich ist: eine riesige Dating-Plattform. Bekam man auf dem Schulhof die Zähne kaum auseinander, ging im Freibad plötzlich alles ganz einfach. Irgendwie schien es, als würde man mit der Straßenkleidung auch seine Schüchternheit ablegen.

An der Pommesbude, als Interesse heuchelnde Zuschauerin beim Schach, auf der Liegewiese - lauter Chancen, die genutzt werden wollten. Nur einen Ort lernte man zu meiden: das Wasser. Mit verlaufener Schminke und ruinierter Föhnfrisur konnte es nämlich schnell passieren, dass Peggy mit Paule hinter den Umkleiden knutschte - und nicht man selbst. Also ging man über mehrere Sommer hinweg zwar jeden zweiten Tag ins Freibad, aber kein einziges Mal ins Wasser.

Dass Eltern dafür nur ein abschätziges Kopfschütteln übrig hatten, war natürlich egal. Entscheidend war die Meinung wichtiger Leute, also die von besten Freundinnen, und die erklärten den Wasserkontakt unter freiem Himmel glücklicherweise ebenfalls zur Nebensache. Das Schwimmen wurde gewissermaßen zum Wintersport. Ergibt ja auch Sinn: Auf den glitschigen Kacheln eines Hallenbades kann das zarte Pflänzchen der Liebe sowieso nicht gedeihen.

Wer hat meine Badetasche geklaut?

Tropfend in der Tram

FREIBADFEATURE

Braucht es wirklich einen Schirm beim Baden, wenn es regnet?

(Foto: DPA)

Freibäder sind am schönsten bei richtig schönem Schietwetter. Dichte Wolken, leichter Regen, angenehmer Wind, nicht zu kalt, aber bloß nicht zu heiß. An der Kasse muss man rufen, damit überhaupt jemand auftaucht. Keine pubertierenden Horden auf den Liegewiesen. Stattdessen wird man von einer in der Großstadt ungewohnten Ruhe empfangen. Das Becken dampft, die Wasseroberfläche ist leicht gekräuselt, nur wenige Schwimmer ziehen ihre Bahnen. Da braucht man gar nicht erst in die Umkleide und seine Sachen einschließen. Hose, Pullover, Handtuch, Duschgel, alles in die Tasche, die man direkt bei den Duschen an einen Haken hängt.

Nach dem Schwimmen dann die Ernüchterung: die Tasche ist weg. Das kann doch nicht sein! Wer klaut denn an so einem gottverlassenen Freibadtag Hose und Handtuch? Doch die Haken sind leer, die Bank draußen vor der Dusche auch, die Wiese verwaist, die Tasche ist nirgendwo. Und nun? Man sieht sich im Badeanzug durch Münchens Straßen laufen, verschämt und tropfend in der Tram stehen, hoffend, dass einen wenigstens niemand unter der Schwimmbrille erkennt. Da ist die Badekappe nur ein schwacher Trost. Aber es bleibt einem nichts anderes übrig.

Irritierte Blicke aus dem Kassenhäuschen. Dann springt die Frau auf: "Ist das etwa ihre Tasche?", ruft sie und zieht die ersehnte Tasche aus einem Regal. "Die hat eine Frau abgegeben, weil sie dachte, die hätte jemand in der Dusche vergessen."

Der Generalausschuss

Viele werden das jetzt nicht glauben wollen. Aber es gab tatsächlich einmal eine Zeit, als die Menschen noch kein Smartphone kannten und nicht erreichbar waren, wenn sie nicht an ihrem Platz im Büro saßen. In jenen Tagen gab es zwei befreundete Reporter bei der SZ und der damals noch benachbarten AZ, die für die Rathausberichterstattung zuständig waren und den jeweiligen Ausschusssitzungen beiwohnen mussten. Im Sommer und Herbst kam es gelegentlich vor, dass sie sich bei ihren Chefs abmeldeten mit der Begründung, im Rathaus tage heute der Generalausschuss, und der könne länger dauern.

An einem dieser Generalausschusssitzungstage aber war es so heiß geworden, dass die Freibäder beinahe wegen Überfüllung geschlossen werden mussten. Der damalige Leiter des SZ-Lokalteils fand, das gäbe doch ein hübsches Foto her: Menschenmassen im Ungererbad. Er schickte also einen Fotografen los, der die Badenden ablichten sollte. So geschah es. Der Fotograf kam mit dem entwickelten Foto zurück.

Breites Angebot

Die Sommersaison hat begonnen, alle acht Münchner Freibäder haben wieder geöffnet, auch mit einigen neuen Angeboten. Wer morgens früh schwimmen möchte, kann nun wochentags immer ein Freibad finden, das schon um 7 oder 8 Uhr seine Türen öffnet. Montagmorgens ist beispielsweise Frühschwimmertag im Schyrenbad, dem ältesten Schwimmbad Münchens, das 1847 als reine Männer-Anstalt gegründet wurde. Im Dantebad kann man mittwochs und im Prinzregentenbad freitags bereits von 7 Uhr an schwimmen. Die längsten Öffnungszeiten gibt es abends im Dantebad, täglich bis 23 Uhr. Alle anderen Freibäder schließen um 18 Uhr oder bei schönem Wetter um 20 Uhr.

Für einen Freibadbesuch muss man nicht unbedingt Schwimmfan sein, es gibt auch Rutschen, Babyplanschbecken, Liegewiesen, Spielplätze und Beachvolleyball-Felder. Und wer kein Chlorwasser mag, ist im Naturbad Maria Einsiedel richtig, wo man nicht nur in den chlorfreien Becken baden, sondern sich auch durch den Isarkanal treiben lassen kann.

Jährlich besuchen etwa eine Million Gäste die Münchner Freibäder. Das ist allerdings nur ein durchschnittlicher Wert, denn die Zahl der Badenden hängt stark vom Wetter ab. Im vergangenen Jahr, mit einem ziemlich verregneten Sommer, kamen nur 700 000 Besucher, während im Jahr zuvor 1,6 Millionen Gäste die Freibäder besuchten. 70 Rettungsschwimmer sorgen dafür, dass keiner ertrinkt. Die Saison endet am letzten Tag der Sommerferien, am 14. September. Dann werden alle Freibäder bis zum nächsten Frühjahr schließen - mit Ausnahme des Dantebads. Dort kann man das ganze Jahr über, auch bei Schnee und Regen unter freiem Himmel seine Bahnen ziehen. inra

Dummerweise sah sich der Lokalchef das Bild genauer an und entdeckte in der Menschenmenge zwei Leute, die der Fotograf übersehen hatte, genauer: zwei Rathausreporter in Badehose auf der Liegewiese. Das führte zu Nachfragen. Und ob man es jetzt glauben will oder nicht: Seit jener Zeit hat im Münchner Rathaus der Generalausschuss nie wieder getagt.

Autoren: Korbinian Eisenberger, Wiebke Harms, Franziska Gerlach, Inga Ramsdorf und Franz Kotteder

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