Frisbee im Englischen GartenDer Tanz mit der Scheibe

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Zum Freestyle Frisbee gehört mehr, als die Scheibe einfach von einem zum anderen zu schleudern. Vater und Sohn üben im Englischen Garten.
Zum Freestyle Frisbee gehört mehr, als die Scheibe einfach von einem zum anderen zu schleudern. Vater und Sohn üben im Englischen Garten. (Foto: Florian Peljak)

Einfach mal werfen? Das reicht beim Freestyle Frisbee nicht. Andreas Steiner und sein Sohn Paul Wanninger trainieren fleißig Tricks, sie wollen bei der Deutschen Meisterschaft weit nach vorne kommen.

Von Thomas Becker

Es hat etwas Tänzerisches, Akrobatisches, wenn Andi und Paul ihre Show aufführen. Der eine auf einem Bein, mit den Armen seitlich versetzt einen Kreis formend, der andere kommt auf ihn zu, das ständig rotierende Spielgerät auf der Fingerspitze balancierend, das er dann durch den Armkreis fliegen lässt, um es dahinter wieder mit der Fingerspitze aufzufangen. Das ist nur einer von sehr vielen Tricks, die das Duo seit Wochen und Monaten einstudiert, um an diesem Wochenende bei der Deutschen Meisterschaft im Freestyle-Frisbee ein gutes Bild abgeben zu können. Ab und zu findet das Training auch mal im Wohnzimmer statt, denn bei den beiden Wettkämpfern handelt es sich um Vater und Sohn. 

Andreas Steiner, 42, Karosseriebauer bei BMW, und Paul Wanninger, 11, Fünftklässler und Kicker beim SV Olympiadorf, beide aus Moosach, treten am Samstag auf dem Gelände der Berufsoberschule Wirtschaft in der Lindwurmstraße in der Kategorie Open Pairs an: Zweierteams. Außerdem gibt es noch die Wertungen Open Coop (Dreierteams) sowie Mixed und Women Pairs. Ziel des Vater-Sohn-Duos: eine Runde weiter zu kommen, ins Finale am Sonntag, ab 12 Uhr. Es ist nicht ihr erster gemeinsamer Wettkampf: Anfang Januar haben sie es bei einem Turnier auf Gran Canaria mal zusammen versucht. „Da waren wir sogar recht gut, aber leider war die Welt-Elite dabei“, erzählt Andreas Steiner, „meistens werden wir Letzter oder Vorletzter. Würden mehr Leute mitmachen, wären wir auch mal im Mittelfeld.“

Freestyle-Frisbee als Nischensport zu bezeichnen ist schon übertrieben. Weltweit gibt es 200 bis 300 Turnierspieler, vielleicht 50 in Deutschland, mit rund zehn Spielern ist München nach Berlin die zweitstärkste Fraktion. 35 Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden nun bei den Deutschen Titelkämpfen erwartet: Klassentreffen-Atmosphäre. „Zwei Mal waren wir in New York, haben uns da mit Frisbee-Spielern im Central Park getroffen. Jeden Donnerstag spielen die“, erzählt Steiner, und der Sohn ruft rein: „Ich hab’ schon mal mit dem Allerbesten auf der ganzen Welt gespielt: James Wiseman. Und mit dem Zweit- und Drittbesten auch!“ Der Vater lächelt und sagt: „Paul ist eh berühmt, weil er immer der Jüngste ist.“ Wohl wahr: Der Sohnemann ist der einzige deutsche Turnierspieler unter 18 Jahren, sagt der Vater: „In Europa gibt’s nur noch einen unter 18: den 17-jährigen Sohn des Weltmeisters.“ 

Den ersten Wettkampf hatte der Junior im Dezember 2022, sein spektakulärster war aber die Weltmeisterschaft für Kinder: während Corona, online, nur zehn Sekunden Zeit für eine Trick-Show, pro Land zwei Kinder, in der Jury Weltmeister Daniel O’Neill in den USA. „In der zweiten Runde bin ich rausgeflogen“, erinnert sich Paul, „die erste Runde habe ich nur gewonnen, weil der andere krank war...“ Einen Turniersieg hat er aber schon aufzuweisen: beim Olympiapark-Sportfest. In der Weltrangliste wird er auf Platz 75 geführt, von rund 300 Turnierspielern.

Der Herr Papa liegt „ungefähr auf Rang 125“, hat aber Ehrgeiz entwickelt: „Dieses Jahr hab’ ich extra mein Snowboard eingestampft, damit ich mich mehr auf Frisbee konzentrieren kann.“ Fast jeden Dienstagabend sind die beiden beim Training auf der Wiese unterhalb des Monopteros im Englischen Garten oder auf der schön windigen Theresienwiese, bei Regen unter dem Vordach der Pinakothek der Moderne, im Winter geht es zweimal pro Woche in die Halle zum Üben. Da haben zwei mal so richtig einen Narren gefressen an ihrem Sport. 

Zwei, die einen Narren gefressen haben an ihrem Sport: Paul Wanninger und sein Vater Andreas Steiner.
Zwei, die einen Narren gefressen haben an ihrem Sport: Paul Wanninger und sein Vater Andreas Steiner. (Foto: Florian Peljak)

Schuld an den kreativen Paartänzen, die die beiden mit der leuchtend gelben Scheibe namens Sky Styler in die Landschaft zaubern, ist Papas Bandscheibe. Früher haben Vater und Sohn zusammen gekickt oder Basketball gespielt, doch als bei Steiner eine degenerierte, sich auflösende Bandscheibe diagnostiziert wird, ist erst mal Schluss mit dem gemeinsamen Sport - es ist ein Kreuz mit dem Kreuz. Nach der Operation 2021: Reha, Physiotherapie. „Es hat Jahre gedauert, bis ich wieder ein bissl beweglich geworden bin“, sagt Steiner, „aber es geht bergauf.“ Sein größtes Problem: sitzen. „Ich habe immer Angst, dass irgendwann die nächste Bandscheibe dran ist.“ Sportarten, die viel mit Hüpfen zu tun haben, meidet er nun. Lieber was mit Bodenhaftung. Dafür turnt er aber schon wieder ganz ordentlich herum: „Ich wundere mich manchmal selbst, wie gut es geht.“

Akrobatik ist halt ein nicht unwesentlicher Teil beim Freestyle-Frisbee. Manche Spieler kommen vom Capoeira, dem brasilianischen Kampftanz, und führen folglich die irrsten Bewegungen auf. Steiner weiß: „Man muss nicht hüpfen, aber es sieht halt besser aus.“ Den für einen Mann eher ungewöhnlichen Trick auf einem Bein verdankt er der jahrelangen Reha: „Nach der OP war der rechte Fuß taub, und ich musste ständig Übungen auf einem Bein machen, um Muskulatur aufzubauen.“ 

Paul lässt die Scheibe durch die Arme des Vaters fliegen.
Paul lässt die Scheibe durch die Arme des Vaters fliegen. (Foto: Florian Peljak)

Ihre neue gemeinsame Leidenschaft hat ihnen das Sportfest am Münchner Königsplatz beschert. Zig Sportarten stellen sich dort seit vielen Jahren an einem Sonntag im Juli vor, Paul wollte wegen der Ninja Warriors hin, die er vom Fernsehen kannte. Doch dann waren da diese Frisbee-Freestyler mit ihren Tricks. „Da haben wir uns schon gewundert, was man mit dem Ding alles anstellen kann“, erzählt Papa Steiner, „wir waren so fasziniert, dass ich mich noch vor Ort in eine WhatsApp-Gruppe eintragen ließ.“ Fünf Jahre ist das her, und seitdem üben sie mit Händen und Füßen den body roll, nail delay und all die anderen Tricks, mit denen man bei Turnieren die Punktrichter zu beeindrucken versucht.

Auf der Wiese am Monopteros gibt man sich gegenseitig Tipps, schaut sich Sachen ab und probiert es aus. „Die ersten Tricks haben Wochen oder Monate gedauert“, erzählt Andi Steiner, „aber jetzt geht’s voll schnell“, fügt der Sohn fröhlich an und nuckelt an der Trinkflasche. Die Mutter chillt derweil im Schatten, ganz ohne Wettkampf-Ambitionen: „Ich bin eher der mentale Support“, sagt sie und lacht.

Anfangs hat er so hoch geworfen, dass sein Sohn nicht dran kam

Bei den Wettkämpfen, die die Familie zuletzt nach Prag und Rimini geführt hat, ist meist die komplette Münchner Gruppe am Start. Wer bei Turnieren mitmachen will, muss Mitglied in einem Verein sein. In München sind das die „Schwabinger Frisbee-Buam“, 70 Mitglieder stark, deren Großteil Ultimate Frisbee spielt, ein Team-Sport, 7 gegen 7, auf einem großen Feld. Die nahmen die bis vor 15 Jahren lose organisierte Freestyle-Gruppe mit dem schönen Namen Alpenbrise – weil man gern den Wind als Spielpartner nutzt – in den Verein auf. Es ist eine maximal bunte Truppe: vom Pennäler bis zum Silver Ager, Ambitionierte und Vertreter der Rubrik „Ich werf’ einfach mal“. Daniel Weinbuch, Turnierleiter der Deutschen Meisterschaft, fasst die Crux am kreativen Freigeister-Sport so zusammen: „Es hat etwas von urban sport, auch etwas von Underground, ist mehr Lebensgefühl als Competition. Jeder kann das so athletisch betreiben, wie er will.“ 

Am Anfang habe er sich schwergetan mit dem Sohn zusammen zu spielen, sagt Andreas Steiner: „Ich musste mich umgewöhnen, habe gelernt, Erwachsenen die Scheibe zuzuspielen – und immer über Paul drüber geworfen.“ Und so feilen Andi und Paul im Englischen Garten noch an ihrer Drei-Minuten-Kür für Samstag, hoffen auf das Finale am Sonntag und haben auch sonst noch einiges vor: Mitte August zur Weltmeisterschaft nach Warschau, eine Woche später zum Turnier in Debki an der polnischen Ostseeküste, noch eine Woche später zum Wettkampf nach Berlin, bevor Ende September ein Turnier in Mailand ansteht. Und am 7. Juli natürlich wieder zum Sportfest auf dem Königsplatz, wo Paul im vergangenen Jahr selbst mal auf der Bühne stehen durfte. Und wo sie begann, die etwas andere Vater-Sohn-Karriere.

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