Gipfelgespräch:Kriminal-Tango in der Schoppenstube

Gipfelgespräch: Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl, links) und Ivo Batic (Miroslav Nemec) beruhigen die Feiernden im Tatort "Kehraus".

Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl, links) und Ivo Batic (Miroslav Nemec) beruhigen die Feiernden im Tatort "Kehraus".

(Foto: Luis Zeno Kuhn/BR)

Der neue "Tatort" spielt im Münchner Fasching: Zeit für ein Treffen zweier Experten. Gerti Guhl, Wirtin der legendären Fraunhofer Schoppenstube, spricht mit ihrem ehemaligen Stammgast Udo Wachtveitl, dem Tatortkommissar Franz Leitmayr.

Von Franz Kotteder

Der Tatort, der am kommenden Sonntag ausgestrahlt wird, spielt im Münchner Fasching. Die beiden Kommissare Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Ivo Batic (Miroslav Nemec) klären darin nicht nur den Tod eines alten Goldhändlers auf, sondern begegnen auch einem mysteriösen Rotkäppchen, das sie zuerst beim Fasching in Irmis Stüberl antreffen. Das Stüberl ist unverkennbar die inzwischen geschlossene Plüsch-Bar Bei Roy in der Herzog-Wilhelm-Straße. Irmi aber, gespielt von Johanna Bittenbinder, erinnert in mancher Hinsicht an Gerti Guhl, legendäre Wirtin der Fraunhofer Schoppenstube, die vor neun Jahren schließen musste. Dort wiederum war - im wirklichen Leben - Udo Wachtveitl häufig zu Gast. Da bietet sich ein Gipfeltreffen von Gerti und Udo - in der Schoppenstube war man schnell per Du - nach einem gemeinsamen Vorab-Filmabend in den Museum-Lichtspielen förmlich an.

SZ: Die Darstellerin der Irmi, Johanna Bittenbinder, hat gesagt, bei der Rolle habe sie sofort an die Gerti denken müssen: "Die Gerti ist eine Wirtin mit Leib und Seele und gab unzähligen Stammgästen eine zweite Heimat, sang mit ihnen und kredenzte ihre berühmten Fleischpflanzerl." Frau Guhl, Sie waren zufrieden mit der Irmi im Film?

Gerti Guhl: Ja, ich habe ihr natürlich genau auf die Finger geschaut, bei der Rolle ist das ja klar. Das hat sie ganz gut gemacht. Ich kenne sie auch gut, die Johanna.

Die Polizei hat aber nie bei Ihnen ermittelt, so wie im Film?

Gerti: Ach wo! Nein, sie haben ja jahrelang gesehen, dass der Betrieb ordentlich geführt wird. Wenn etwas kriminelle Typen dahergekommen sind, habe ich halt gesagt: "Sie dürfen gern wiederkommen, aber heute ist's leider schon voll." War ja auch meistens voll, da habe ich also immer eine gute Ausrede gehabt.

Von außen war ja auch nicht zu sehen, was einen drinnen erwartete, so zwischen Mitternacht und vier Uhr früh, in der Hauptbetriebszeit.

Udo Wachtveitl: Ich bin jahrelang vorbeigegangen, dort an der Fraunhoferstraße kurz vor der Reichenbachbrücke, weil ich nicht gewusst habe, was für ein Juwel sich da hinter der Tür verbirgt. Bis mich dann der Autor Friedrich Ani - ich glaube, er war's - mal mit reingenommen hat. Ich fand's dann großartig, auch im Fasching übrigens, weil es nicht so ein durchorganisiertes Event war, sondern von echter Herzlichkeit geprägt.

Gerti: Mir ging's auch immer darum, dass man eine Großfamilie ist. Ich habe zum Beispiel gern eine Vorstellungsrunde gemacht, ich habe gesagt: "Wie sieht's aus, magst Du vorgestellt werden? Damit ihr überhaupt wisst, mit wem ihr zusammen feiert." Die sind manchmal von überall hergekommen, bis aus Hamburg, Düsseldorf. Das hat sich ja auch herumgesprochen, dass es uns gab.

Gipfelgespräch: Kommissar-Darsteller Udo Wachtveitl und Gerti Guhl, die Wirtin der legendären Fraunhofer Schoppenstube, schwelgen in Erinnerungen.

Kommissar-Darsteller Udo Wachtveitl und Gerti Guhl, die Wirtin der legendären Fraunhofer Schoppenstube, schwelgen in Erinnerungen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Wachtveitl: Ich war mal ganz spät noch mit einer Bekannten da, außer uns nur noch zwei sturzbetrunkene Iren, die Gerti und eine Küchenhilfe. Meine Bekannte fing dann ganz leise zu singen an, "Angel came down from heaven yesterday" von Jimi Hendrix. (Zu Gerti) Ihr seid dagestanden wie die Konfirmandinnen und habt ganz andächtig zugehört. Das war ein kurzer, kleiner, gläserner Moment, wirklich schön. Du hast gesagt: "Schön hast des gsungen. Einen aufs Haus!" und hast uns allen noch eins hingestellt.

Gerti: Solche Momente hatten wir öfters.

Meistens ging es aber schon laut und sehr fröhlich zu in der Schoppenstube. Was nachts dort genau geschah, wusste am nächsten Morgen nicht mehr jeder so genau.

Gerti: Das haben viele nicht mehr gewusst. Einschließlich mir.

Sie waren doch die einzig Nüchterne, dachten wir immer?

Wachtveitl: Es wurde schon getrunken, aber so ganz schlimme Besäufnisse habe ich eigentlich kaum erlebt!

Gerti: Da habe ich schon darauf geachtet. Wenn's mal ganz schlimm war, dann habe ich halt einfach ein großes Glas Leitungswasser gebracht und habe gesagt: "So, mit dem kannst jetzt anstoßen!" "A Wasser sauf i bei Dir ned!", war dann die Antwort. Ich habe aber nicht nachgelassen. Und wenn es demjenigen wieder besser ging, dann habe ich gesagt: "Jetzt kannst wieder bestellen, was du willst!"

Haben Sie nicht sogar mal den Schauspieler Heiner Lauterbach vor die Tür gesetzt?

Gerti: Ich bin doch keine Ratschn, ich bin eine Wirtin! Ich sage gar nichts!

Wachtveitl: Geh, das ist doch nach zehn Jahren verjährt, jetzt darfst du!

Gerti: Dann ist es noch ein Jahr hin. Die Schoppenstube hat vor neun Jahren zumachen müssen.

Wachtveitl: Neun Jahre ist das schon wieder her... Es war wirklich ein toller Ort, so einen hat es sonst nicht gegeben. Und wie die Gerti, nachdem ihr Mann Werner nicht mehr war, quasi allein für Ordnung gesorgt hat... Das war schon beeindruckend, sie hat eine natürliche Autorität. Denn das Nachtgeschäft ist ja wirklich nicht so einfach.

Gerti: Es haben ja teilweise auch die Gäste, die andere mitgebracht haben, schon für Ordnung gesorgt. Die haben dann gesagt: "Du, wir gehen jetzt zur Gerti, aber ordentlich aufführen, sonst fliegen wir wegen dir noch raus!"

Wachtveitl: Aber wie war das dann im Fasching? Du hast nicht extra was gemacht, oder?

Gerti: Doch! Die ersten zwei Jahre hab' ich noch nichts gemacht, das zweite auch noch nicht, aber im dritten Jahr habe ich mich dann überreden lassen. Und dann habe ich 38 Jahre lang Kinderfasching gemacht, am Faschingsdienstag um 14 Uhr. Das habe ich schon immer angekündigt mit "Heute machen wir richtig Halligalli", und dann habe ich Faschingskrapfen mit Senf gefüllt und Plastiksemmeln unter die richtigen Semmeln gemischt. Oder ich habe Pappendeckel als Schnitzel paniert und habe sie dann serviert.

Wachtveitl: Na ja, Kinderfasching... Kein Wunder, dass ich mich nicht erinnere.

Gipfelgespräch: ... auch mal Pappendeckel als Schnitzel paniert" - Gerti Guhl mit Udo Wachtveitl.

... auch mal Pappendeckel als Schnitzel paniert" - Gerti Guhl mit Udo Wachtveitl.

(Foto: Stephan Rumpf)

Am wildesten ging es im Fasching bei Ihnen in den Siebziger- und Achtzigerjahren zu, oder?

Gerti: Wir haben immer Gas gegeben! Vom Rosenmontag bis zum Aschermittwoch zehn Uhr in der Früh. Am Dienstag von 14 bis 19.30 Uhr waren die Kinder da, da hab' ich dann einmal Tatort gespielt, die Kinder haben einen Krimi aufgeführt und ich musste die Leiche machen. Ich habe zwar gesagt: "Ich bin doch hier in der Berufskleidung, ich muss bedienen", dann hieß es aber bloß: "Doch, du musst unsere Leiche spielen und dich hier hinlegen!" Dann haben sie an mir gezogen, bis ich unten lag. Da musste ich natürlich lachen. Protest! "Du darfst doch nicht lachen, eine Leiche lacht nicht, du musst grimmig schauen!" Dann habe ich die Kinder animiert zum Spielen, hab ihnen einen Strick durchs ganze Lokal gezogen und Wiener Würstl hingehängt. Erst habe ich die Omas, Opas und die Eltern danach schnappen lassen, damit die Kinder eine Freude gehabt haben. "Hände auf den Rücken!", war das Kommando, und dann ging es los. Später haben wir sie dann niedriger gehängt, für die Kinder, und immer tiefer gehängt, bis alle was hatten.

Und abends dann?

Gerti: Wenn die anderen am Faschingsdienstag um 24 Uhr zugemacht hatten, dann ging es bei uns los. Der Josef von der Fraunhofer Saitenmusi, vom Fraunhofer Wirtshaus, ist mit seiner Trompete gekommen und hat Musikanten mitgebracht, auch der Josef Pretterer mit seinen Puppen war immer da. Der hat immer eine Show gemacht. Überhaupt haben alle darauf gewartet, dass irgendwer irgendetwas macht. Und das ist auch immer wieder passiert! Langweilig ist es nie geworden.

Wachtveitl: Dann gab es noch einen, der hat immer den "Überzieher" gesungen. "Seh' ich weg von dem Fleck, ist der Überzieher weg."

Gerti: Das war der Carsten... Wir hatten schon schräge Typen. Da war so ein Kleiner, der kam mit einem Koffer daher. Und der alte Adi hat doch auch immer gesungen. Wir hatten Stammgäste von 18 bis 93 Jahren. Der mit 93, der älteste Stammgast, der hat früher für sämtliche Zirkusse in ganz Europa die Chroniken geschrieben. Da ist er jedes Mal extra angereist, Moskau, Paris, und kam dann immer mit dem T-Shirt vom jeweiligen Zirkus an, damit er beweisen konnte, dass er dort war. Das war übrigens gar nicht uninteressant, was der alles für Geschichten anbrachte.

Waren Sie im Fasching eigentlich auch verkleidet?

Gerti: Ja freilich! Immer!

Als was denn?

Gerti: Kam drauf an, was ich gerade so erwischt habe. Der Werner, der ist zum Beispiel mal als Sportler gegangen. Und ich mal als Japanerin, so ein langes Kleid habe ich da angehabt.

Wachtveitl: Fasching war früher ganz toll. So mit 20 sind wir ins Schwabinger Bräu gegangen und in die Studentenwohnsiedlung am Biederstein. Und noch einmal so schön war es, wenn man umsonst reinkam. Über Jahre hinweg hatten wir einen Supertrick, indem wir im Schwabinger Bräu einfach durch die Küche rein sind. Das Küchenpersonal war ja nicht wachmannschaftlich ausgebildet. Da sind wir einfach durch eine Nebentür rein, haben ein bissl gschaftig getan und sind dann in den Saal. Keiner hat gesagt: "Was macht ihr da?", die hatten ja viel zu tun. Einige Jahre lang gab es auch großartige Faschingsfeste in der Kirchenstraße in Haidhausen im Loft. Die haben eine Musik gehabt: also, wer da nicht getanzt hat...

Gerti: Bei uns waren das die großen Faschingsfeste im Deutschen Theater, und dann später war ich mal bei einem Fest der Travestiekünstler, die haben sich im Peterhof getroffen, im Keller, und haben gefeiert. Da war ich mal dabei.

Wachtveitl: Als einzige Frau?

Gerti: Ja, natürlich! Da hat ein Stammgast von mir mal gefragt: "Du, Gerti, hättest du einen Minirock für mich?" Und ich hab gesagt: "Klar, ich bring dir gleich einen." Ich hab' ja 23 Jahren über der Schoppenstube gewohnt. Zum Dank hat er mich dann mitgenommen. Ich bin also da hin, um vier oder fünf in der Früh, gestunken hat's nach Schweiß und nach Parfüm, frage nicht! Die waren aber alle toll geschminkt und hatten alle tolle Kostüme.

Wachtveitl: Das war so in den Achtzigern?

Gerti: Ja, natürlich, so Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger.

Wachtveitl: Da war das kein großes gesellschaftliches Tabu mehr.

Gerti: Für mich schon, weil ich gewusst habe, eigentlich gehöre ich da nicht hin.

Wachtveitl: Der Freddie Mercury war auch mal in der Schoppenstube, nicht wahr?

Gerti: Genau! Der hatte zwei Security-Männer vor der Tür stehen gehabt, die haben die Leute direkt abgehalten. Ich habe ihm gesagt, die könnt ihr nicht da vorne stehen lassen. Ich ging dann raus zu den beiden und habe gesagt: "Wisst ihr was, ihr zwei geht's jetzt mal spazieren, ich pass' schon auf ihn auf."

Wachtveitl: Eine Zeitlang gab's wirklich nichts Besseres in dem Viertel als die Schoppenstube. Ich habe da schon in der Au gewohnt, und die Frage war am Wochenende eigentlich immer: "Gehen wir erst zur Gerti und dann ins X-Cess oder gehen wir zuerst ins X-Cess und dann zur Gerti?" Das X-Cess mit seinem Chef, dem Isi, war ja auch legendär. Warst du da auch mal drin?

Gerti: Freilich!

Wachtveitl: Ein weitläufiger Verwandter vom Isi hatte da mal einen Dönerladen drin, und aus Gründen, die Isi nicht näher erörtern wollte, musste dieser entfernte Verwandte einmal das Land schnell verlassen. Und dann hat es geheißen: "Ja wer macht jetzt den Dönerladen?" Isi hat den Dönerspieß rausgenommen, und ab da haben sich die CDs statt Fleischrollen im X-Cess gedreht. Ach ja, und es gab noch die legendäre "Tittentapete". Das war aber eigentlich alles, sonst hatten die nichts gemacht. Isi hatte immer so eine Generalsmütze auf. Da war noch richtig Dampf in der Stadt.

Und danach ging's zur Gerti?

Wachtveitl: Oder vorher. Früher habe ich öfter abends was zum Essen gemacht oder im Fernsehen was angeschaut und sagte mir dann: "Ach - eins... geht schon noch! Geh ich mal über die Brücke rüber zur Gerti." Was manchmal aber auch etwas desillusionierend endete. Im Hochsommer, wenn man wieder rausging bei dir, und auf einmal war's draußen hell - Jessas naa! Wenn man ins Bett geht, muss es noch dunkel sein. Das Licht war zwar sehr schön dann und hat auf der Isar so geflimmert. Aber wenn der Tag schon angefangen hat, war die Nacht entzaubert. Morgengrauen ist ein Liebestöter für mich.

Gerti: Deswegen heißt es ja: "Die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da" (Sie beginnt zu singen, Wachtveitl singt mit, zwei Strophen lang).

Wachtveitl: Das Lied habe ich übrigens übernommen für unsere Benefizkonzerte als Tatortkommissare, die wir eine Zeitlang gegeben haben. Da gibt's eine sehr schöne Version davon, sehr schnell, sehr präzise.

Das Singen war überhaupt sehr wichtig in der Schoppenstube. Ich erinnere mich auch, wie passend, an den "Kriminal-Tango".

Gerti: Ja freilich! Ich hab' immer schon die Liedtexte zum Mitsingen in Folie eingeschweißt und verteilt. Wenn einer nicht wollte und gesagt hat: "Ich sing' doch nicht in der Öffentlichkeit!", dann habe ich nur gesagt: "Du lässt dir einfach helfen und singst jetzt mit!"

Wachtveitl: Ja, bei der Gerti herrschte ein strenges Regiment! Aber das Singen, Gerti, war ein nicht unwesentlicher Teil von deinem Erfolg. Singen ist zwar aus der Mode gekommen, aber nichts verbindet die Leute so sehr wie Musik, an der man gemeinsam teilhaben kann. Körper, Geist und Seele finden da ideal zusammen.

Im Sommer 2013 war dann Schluss mit der Schoppenstube, der Pachtvertrag wurde nicht mehr verlängert, obwohl Fans mehr als Tausend Unterschriften dafür gesammelt hatten.

Gerti: Wir haben dann am Schluss das Inventar und die Einrichtung der Schoppenstube versteigert, zugunsten des Hospiz für krebskranke Kinder. Die eine Hälfte - rechts von der Orgel weg - ist jetzt in einem Bauernhof bei Haag in Oberbayern wieder aufgebaut, die lebt jetzt dort quasi weiter.

Da müsste man direkt mal hinfahren, zur Besichtigung.

Wachtveitl: Aber nicht vor nachts um zwei!

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