Frauenrechtlerin Schwarzer in München:Who the fuck is Alice?

Männerhasserin, Hexe mit irrem Blick? Wenn Alice Schwarzer aus ihrer Biographie vorliest, gibt es davon nichts zu sehen. Stattdessen müssen wir uns Deutschlands Vorzeige-Feministin wohl als einen glücklichen Menschen vorstellen.

Ruth Schneeberger

Wie konnte das passieren? Jahrzehntelang, nahezu ein halbes Jahrhundert, war Alice Schwarzer eine sichere Bank: für die Anklagen, die Beschwerden, die Missverhältnisse zwischen den Geschlechtern. Gab es irgendwo eine Ungerechtigkeit zwischen Mann und Frau zu attestieren, galt Schwarzer als diejenige, die das Wort erhob, mutig und laut, immer streitbar, eine Kämpferin vor dem Herrn, nie um ein unbequemes Wort verlegen.

Alice Schwarzer

Strahlend verabschiedet sich Alice Schwarzer nach ihrer Lesung in München vom Publikum. Der Lesesaal des Literaturhauses war prall gefüllt - und ausverkauft.

(Foto: dpa)

Scheinbar nimmermüde meldete sich die Vorzeige-Feministin auch jüngst stets dort zu Wort, wo es ihr oder ihren Gastgebern gefiel, und sie ist immer noch und immer wieder gerngesehener Gast in öffentlichen Talkrunden. Als Wortführerin gegen eine ermüdete Frauenpolitik und gegen eine junge Familienministerin, die eine vorwiegend klassische Rollenverteilung im Blick zu haben scheint; im medialen Feldzug gegen einen vermuteten Vergewaltiger oder gegen die Verflachung und Verniedlichung ihrer Nachfolgerinnen, die Vertreterinnen des sogenannten neuen Feminismus; zuletzt auch gegen Charlotte Roche wegen ihrer pornographisch anmutenden Romane.

Und jetzt das.

Als vor zwei Monaten ihre Biographie Lebenslauf im Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch erschien, waren plötzlich alle baff. Keine Spur von "Schwanz-ab-Schwarzer", als die sie einst beschimpft wurde, vielmehr sind diese Zeilen über ihr Leben eine Liebeserklärung an sich selbst.

Die Feuilletons und Medien beugten sich erstaunt über das Werk - und attestierten: Stimmt ja, die Schwarzer war eigentlich immer schon ein ganzer Kerl. Und so hübsch, in jungen Jahren, geradezu sexy, im kurzen Kleid. Und was sie alles erreicht hat für den Geschlechterfortschritt hierzulande, eigentlich doch bewundernswert, die Frau. Wieso ist uns das nie so aufgefallen?

Die Antwort muss wohl lauten: Weil das niemand sehen wollte - oder zu wenige. "Wer ein bisschen genauer hingeschaut, ihre Artikel aufmerksam gelesen oder ihr Leben verfolgt hat, der kann hier keine echten Enthüllungen erkennen", so Verleger Helge Malchow, der am Montagabend in München die Moderation der Lesung im ausverkauften Literaturhaus übernahm. Und der sie zu dem Buch überredet haben soll. Weil es wenige politische Figuren in Deutschland gebe, die diese Zeitenwende ohne politisches Amt und doch so nah am Drücker miterlebt hätten.

Für alle anderen lauteten die News aus dem Buch: Alice Schwarzer hatte zehn Jahre lang einen Lebensgefährten in Paris, männlich und gutaussehend. Schwarzer kam nicht als Feministin zur Welt, trug früher Minirock und Katzenaugen, wie zahlreiche Bilder im Buch belegen, und sie ließ sich erst in Paris dazu ermutigen, sich der Frauenbewegung anzuschließen. Und zwar nicht aus Not, sondern um ihr Leben in den Dienst einer gerechten Sache zu stellen, so wie es ihre Großmutter, bei der sie aufgewachsen war, getan hätte. Wenn man sie denn gelassen hätte.

"Verschiedene Wellen der Einschüchterungsversuche"

Verunglimpfungen begleiten Schwarzers Weg, seit nunmehr 40 Jahren, ein paar davon zählt sie in München auf: die frustrierte Männerhasserin, "wie die schon aussieht", die autoritäre Chefin, die Reaktionäre, die Alte. Schwarzer nennt solche Hasstiraden "verschiedene Wellen der Einschüchterungsversuche". In ihrem Buch druckt sie einen Artikel aus der Zeit von 1976 ab, der sie damals schon als Opfer "der längsten und perfidesten journalistischen Menschenjagd in der Geschichte der Bundesrepublik" beschreibt.

Schwarzer hatte 1971 mit der Stern-Kampagne "Wir haben abgetrieben" nicht nur das Abtreibungsgesetz auf den Kopf gestellt, sondern auch die Frauenbewegung in Deutschland mitinitialisiert, und 1976 die feministische Zeitschrift Emma gegründet, was ihr zwar zu steter Prominenz aber auch zu ständigen Anfeindungen verholfen hat.

Schwarzer sagt an diesem Abend, die Berge an Klischees, die über sie in der Öffentlichkeit kursierten, seien irgendwann so hoch geworden, dass sie selbst sie nicht mehr habe überblicken könne. Darum also dieses Buch - um mal ein paar grundlegende Dinge klarzustellen.

Zum Beispiele diese: Erstens war Schwarzer auch mal jung. Sollte sie zweitens frustriert sein, dann wegen der haarsträubenden Geschichten, die ihr unterdrückte Frauen erzählt haben, und die sie an eine Öffentlichkeit getragen hat, die dafür in großen Teilen noch nicht bereit war. Anstatt die ungerechten Verhältnisse zu verändern, wurde stellvertretend eine ihrer lautesten Verkünderinnen angeprangert, schlechtgeredet, für verrückt erklärt.

Die Frauenrechtlerin und Journalistin legt diese Mechanismen in ihrem Buch offen. Und betont immer wieder ihre hehren Motive.

Mitleid mit der jüngeren Generation

Der Nachfrage, wie und ob sie einer jüngeren Generation von Frauen begegne, die mit ihrem Hardcore-Feminismus oft nichts mehr anzufangen wisse, begegnet sie überlegt: Heilfroh sei sie darüber, dass sie nun so viele junge Frauen treffe, deren Lebensläufe sie geradezu neidisch machten - aber sie habe auch ein wenig Mitleid. Denn die Probleme würden nun so viel komplexer.

Als sie jung gewesen sei, habe man nur alles ändern, alles besser machen müssen. Nun hätten die jungen Frauen Mütter, die womöglich emanzipiert seien, sich abgekämpft hätten, oft getrennt und erschöpft seien. Da würden viele Nachfahren es vorziehen, wieder das Lebensmodell ihrer Großeltern anzustreben, um es gemütlicher zu haben.

Ein Buch über das Leben nach der Minirock-Zeit

"Der Unterschied ist: Ich kenne das Leben dieser Großmütter", so Schwarzer. Bis in die siebziger Jahre sei es in Deutschland möglich gewesen, dass ein Ehemann zum Chef seiner Frau habe gehen und deren Job kündigen können - mit dem Vorwurf, sie vernachlässige den Haushalt. Was heute als unvorstellbar gilt, das haben Schwarzer und ihre Mitstreiterinnen erst mühevoll bekämpfen müssen.

Dass das allerdings nicht nur unter Schmerzen, sondern in großer Aufbruchstimmung, mitunter sehr munter und vor allem aus eigennütziger Motiviation heraus geschah, auch daran ließ Schwarzer an diesem Abend keinen Zweifel. Nun sei es an der Zeit, die Fortschritte zu manifestieren. Ein zweites Buch über den zweiten Teil ihres Lebens, den nach der Minirock-Zeit, ist offenbar schon angedacht.

Das Publikum honoriert diesen öffentlich wahrgenommenen Wandel von der zeternden Emanze zur selbstverliebt schnurrenden Strahlefrau mit großer Bewunderung. Die Autorin schwimmt geradezu in einem Meer von Zuneigung im restlos ausverkauftem Lesesaal. Die meisten Gäste sind Frauen, die meisten in ihrem Alter.

"Ich müsste jetzt schon etwas ganz falsch machen, dass wir missvergnügt nach Hause gehen", lächelt Schwarzer - ganz in Schwarz -, und streut zwischen die Kapitel ein paar wohlpatzierte und wohlmeinende Worte über München und das einst so wilde und weltoffene Schwabing ein, die sich an anderen Stellen in ihrem Buch wiederfinden.

Verdienter Applaus nach 40 Jahren des Kampfes

Am Ende, nachdem im Gespräch mit Lektor und Verleger Malchow ein paar Schwachstellen vorsichtig abgeklopft (Trennung von journalistischem Anspruch und persönlichem Eifer) und ein paar harte Fakten abgefragt wurden (zweimal wurde Schwarzer Opfer von Übergriffen männlicher Gewalt, einmal bei einer versuchten Vergewaltigung in Saint-Tropez, einmal bei der Trennung von einem Mann in München; beide Szenen sind gerade noch glimpflich ausgegangen), ganz am Ende also, nach zwei Stunden gekonnten Info- und Entertainments, schreitet die inzwischen 69-Jährige noch strahlender von der Bühne als sie sie betreten hat. Begleitet von minutenlangem Applaus.

Es ist nicht nur die Anerkennung für ihr so persönliches Buch, in dem sie nur genau so viel preisgibt, wie vonnöten ist, um die Öffentlichkeit von ihrer Integrität zu überzeugen. Es ist vor allem der Applaus für das Gesamtwerk Schwarzer, der ihr nun, nach 40 Jahren des Kampfes, sicher ist.

Am Ende also müssen wir uns Alice Schwarzer wohl doch als einen glücklichen Menschen vorstellen - ob das ihren Kritikern gefällt oder nicht.

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