Süddeutsche Zeitung

Frauenrechte vor 100 Jahren:Zurück zu den Pflichten der Hausfrau

Trotz Einführung des Wahlrechts und der ersten Gleichstellungsstelle waren Frauen von der Revolution vor 100 Jahren enttäuscht. Über ihre Forderungen wird noch heute gestritten.

Von Julian Hans

Der Kommentar, der am 22. März 1919 in den Münchner Neuesten Nachrichten unter der Rubrik "Von Frauen für Frauen" erschien, gibt einen Eindruck davon, wie die Münchnerinnen die Nachkriegszeit erlebten. "Platz für den Mann!" ist der Text überschrieben. Unter diesem Schlagwort würden die Frauen nun wieder aus den Berufen verdrängt, die sie während des Krieges ausgeübt haben, stellt die Verfasserin Thea Schneidhuber fest.

"Die unzähligen Frauen aus all den verschiedenen Industrien haben den heimgekehrten Kriegern mehr oder minder bereitwillig ihren mit so viel Stolz und Selbstgefühl behaupteten Posten abtreten müssen", schreibt sie. Ihnen sei zwar von vornherein klar gewesen, dass sie diese Rolle nur provisorisch eingenommen hätten, gleichwohl seien vier Jahre genug gewesen, um auf den Geschmack zu kommen: "Jeder, der es erfahren hat - er sei Mann oder Weib - weiß die Freude am eigenen Erwerb zu verstehen, die umso größer ist, je notwendiger die Herbeischaffung der Mittel ist. Es kann die Tatsache nicht verkannt werden, dass zwei Drittel der Bevölkerung während der Kriegsjahre von der Frau ernährt worden sind, dass sie die Verdienerin war, die ihre Familie erhielt, während der Mann seinen Kriegslohn in den meisten Fällen für sich aufbrauchte."

Und nun sollen die Frauen still abtreten und wieder den Männern die Bühne überlassen? Zwar räumt die Verfasserin ein, "die Pflichten der Hausfrau und Mutter" seien der Frau "naturgemäß die liebsten und sie wird ihnen gern das Selbstgefühl opfern, das der eigenen Hände Arbeit ihr bescherte". Aber das Selbstbewusstsein und den Anspruch auf Mitsprache will sie nicht aufgeben. Mit einem "erstaunlichen Maß an Gleichgültigkeit" stünden gerade die radikalen Vertreter der neuen Ordnung den Frauen gegenüber, klagt sie. Gerade weil die Frauen darauf verzichtet hätten, sich zu einer alle Lager übergreifenden Frauenpartei zusammenzuschließen, stünden die Männer aller Parteien in der Pflicht, ihre Sache nicht nur "ohne Feindseligkeit zu betrachten, sondern nach Kräften zu unterstützen".

Pazifistinnen hatten eine wichtige Rolle dabei gespielt, die alten Verhältnisse ins Wanken zu bringen. Schon im Sommer 1916 versammelten sich Münchnerinnen auf dem Marienplatz zu ersten Hungerprotesten, die sich in den folgenden Kriegsjahren wiederholten und zunehmend politisierten. Als Vorkämpferinnen erregten die Feministinnen Anita Augspurg und ihre Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann den besonderen Argwohn der Obrigkeit. Augspurg gehörte nach der Revolution als eine von acht Frauen auch dem Provisorischen Nationalrat an. Als Frauen bei der Landtagswahl am 12. Januar zum ersten Mal wählen durften, gingen wieder nur acht Sitze an weibliche Abgeordnete, davon keine einzige von Eisners USPD, stattdessen immerhin vier von der katholisch geprägten Bayerischen Volkspartei.

"Die bestehenden Männergewerkschaften hatten nichts für Frauen übrig."

Die Historikerin Christiane Sternsdorf-Hauck hat die Forderungen der Frauen in ihrem Buch "Brotmarken und rote Fahnen" zusammengetragen. Einige wurden unter den Räten umgesetzt, neben dem Wahlrecht und der Abschaffung der geistlichen Schulaufsicht war das vor allem die Aufhebung des Gesinderechts, was den Dienstmädchen Anspruch auf Urlaub und einen Zwölf-Stunden-Tag verschaffte. Andere erst Jahre später, etwa die Zulassung von Frauen als Richterinnen oder das Zölibat für weibliche Beamte: Erst 1957 schaffte die Bundesrepublik die Regel ab, nach der Lehrerinnen nach der Heirat aus dem Schuldienst entlassen wurden.

Einige der Forderungen, über die heute noch gestritten wird, wurden schon vor einhundert Jahren von den Frauen vorgebracht: Etwa die nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit. Oder aktuell die Quotierung von Parlamenten; wonach es prozentual so viele weibliche Abgeordnete geben müsse wie Wählerinnen.

Eine wirkliche Neuerung gab es neben dem Wahlrecht für Frauen noch, auch wenn sie vergleichsweise wenig Folgen hatte: Im Februar 1919 nahm das Referat für Frauenrecht seine Arbeit auf. Die erste Gleichstellungsstelle in der Geschichte war dem Ministerium für soziale Fürsorge angegliedert; Leiterin wurde Gertrud Baer, die sich seit 1905 in der Frauen-Friedensbewegung engagierte.

Baer sah ihre Aufgabe vor allem darin, die Gründung von Frauengewerkschaften zu fördern. "Die bestehenden Männergewerkschaften hatten nichts für Frauen übrig. Ja, sie haben sie teilweise gar nicht aufgenommen", erinnerte sie sich später. Von der Arbeit des Referats für Frauenrecht ist gleichwohl wenig überliefert. In einem Brief an den Provisorischen Arbeiterrat forderte Baer am 11. April 1919, das Revolutionstribunal auch mit Frauen zu besetzen: "In allen Fällen, in denen Vergehen von Frauen oder gegen diese zur Aburteilung gelangen sollen, sind die gleiche Anzahl weiblicher wie männlicher Richter zum Revolutionstribunal zuzuziehen". Was aus dem Antrag wurde, ist nicht bekannt. Drei Wochen später existierte die Räterepublik nicht mehr, und mit ihr war auch die erste Gleichstellungsstelle Geschichte.

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SZ vom 16.03.2019/frw
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