Frauenhäuser:Auf der Flucht vor dem brutalen Ehemann

Leben im Frauenhaus München

Die Tochter war erst eine Woche alt, als der Vater seine Frau (Foto) das erste Mal schlug.

(Foto: Florian Peljak)
  • Die Bewohnerinnen sollen in Frauenhäusern Geborgenheit und Unterstützung erhalten.
  • Der Platz ist jedoch zu knapp und es gibt zu wenig Personal. In einer Stadt wie München ist auch die Suche nach einer Wohnung schwierig.
  • Jede dritte Frau kehrt in ihre alten Verhältnisse zurück, aber es gibt auch welche, die den Neuanfang schaffen.

Von Anna Hoben

Ein Jahr ist sie raus aus dem Frauenhaus, seit einem Jahr wohnt sie mit ihren beiden kleinen Töchtern in einer eigenen Wohnung. An den Wänden hängen Schmetterlinge aus Glitzerpapier. Wer das Kinderzimmer betritt, taucht ein in ein rosafarbenes Meer. Im Wohnzimmer setzt sich die Mutter auf einen Hocker, sie ist hibbelig. Sie trägt ein schwarz-weißes Kleid, die Fingernägel hat sie rot lackiert. Wo soll sie anfangen? Sie redet nicht gern über die Vergangenheit.

Als Jugendliche war sie allein aus ihrem Heimatland in Afrika nach Europa gekommen. Sie hatte einen Schulabschluss gemacht und als Dolmetscherin gearbeitet. Der Mann, den sie heiratete, stammte aus dem gleichen Land wie sie. Im November 2012 zog sie zu ihm nach München, sie war schwanger. Ihre Tochter war eine Woche alt, als er sie das erste Mal schlug.

Nach der Geburt habe sie seinen wahren Charakter gesehen, sagt sie. Er half ihr nicht mit dem Kind, er wurde arrogant. Wenn die Tochter weinte und sie ihn bat, sie zu nehmen, weigerte er sich. Er schimpfte sie eine Schlampe. Er schlug zu, schlug sie gegen die Brust, sie schrie. Die Polizei rückte an. Die Beamten erteilten dem Mann ein Kontaktverbot.

Nach zehn Tagen kam er zurück und entschuldigte sich. Sie vergab ihm, sie zog die Anzeige gegen ihn zurück. Sechs Monate später ging sie ins Frauenhaus.

Er hatte nicht gewollt, dass sie einen Sprachkurs besucht. Immer wieder hatte er zugeschlagen. Und irgendwann hatte er eine neue Frau kennengelernt. Mit der neuen Freundin kam er zu ihrer Wohnung und forderte das Kindergeld seiner Tochter. Als sie ihm kein Geld geben wollte, griff er nach ihrer Handtasche und nahm ihre EC-Karte, er kannte die Geheimnummer.

Die Orte der Frauenhäuser sind geheim

Eines Tages stand sie weinend am Ostbahnhof. Eine Passantin sah sie und fragte, was los sei. Sie erzählte ihr alles. "Sie müssen zur Polizei gehen", sagte die Frau, und an diesem Tag ging sie zur Polizei. Die Beamten riefen in verschiedenen Frauenhäuser an. Bei der Frauenhilfe München fand sich ein Platz. Ihre erste Tochter war sechs Monate alt. Sie war wieder schwanger, im zweiten Monat. Heute nennt sie die Kleine ihr "Frauenhaus-Kind".

Das Frauenhaus war eine andere Welt. Hier gab es Menschen, die sich um ihr Kind kümmerten. Die ihr Mut machten und sie Selbstbewusstsein lehrten, die sagten: "Du schaffst das. Du bist eine Mutter, du musst stark sein für deine Kinder." Zum ersten Mal seit Langem war sie glücklich. So glücklich, wie sie sich zuletzt in ihrer Heimat gefühlt hatte. "Sie haben mir Hoffnung und Stärke zurückgegeben, die ich fast verloren hatte", sagt sie.

Drei Kilometer entfernt von ihrer neuen Wohnung steht das Frauenhaus. Der genaue Ort muss geheim bleiben. Es ist das größte Haus seiner Art in Bayern, 45 Frauen leben dort und bis zu 60 Kinder. Die Adresse ist geschützt, nur so ist gewährleistet, dass die Frauen dort sicher leben können. Wenn eine Frau sich meldet, klären die Beraterinnen zunächst: Liegt häusliche Gewalt vor? Und handelt es sich um Partnerschaftsgewalt? Frauen, die unter Gewalt von Verwandten, Vätern oder Söhnen leiden, kann das Haus nicht aufnehmen. Frauen, die keinen gesicherten Aufenthaltsstatus haben, auch nicht. Solche Anruferinnen werden an andere Stellen verweisen. Es ist eine Frage der Kapazitäten.

Viele Frauen fangen ganz von vorne an

"Wenn sie zu uns kommen, haben die Frauen über lange Zeit Gewalt erlebt, manchmal fünf Jahre lang", sagt Melanie Schauer, "meist steigert sich die Gewalt über die Jahre". Schauer leitet das neunköpfige Beratungsteam aus Sozialpädagoginnen. Manche Frauen seien bei der Ankunft sehr gefasst, sagt sie, andere steckten tief in der Krise. Eines aber ist fast immer gleich, weiß Schauer: "Wenn sich die Frau zur Trennung entschließt, hat sie Angst um Leib und Leben. Oder sie hat Angst um Leib und Leben der Kinder."

So wie die Frau, deren Geschichte hier erzählt wird. Als sie eine knappe Woche im Frauenhaus war, rief er sie an. Er beleidigte sie, dann drohte er ihr, "ich finde raus, wo du bist, ich bringe dich um". Sie erzählte es ihrer Beraterin, sie erstattete Anzeige bei der Polizei, und diesmal zog sie nichts zurück. Es gab drei Gerichtstermine, der Mann erhielt eine Bewährungsstrafe. Heute hat sie das alleinige Sorgerecht für die beiden Töchter. Und keine Angst mehr vor ihm: "Wenn ich ihn heute treffen würde, es würde mir nichts mehr ausmachen."

Im Frauenhaus lebte sie mit Frauen aus den verschiedensten Ländern zusammen, 90 Prozent der Bewohnerinnen haben einen Migrationshintergrund. Jede Frau hat ein Zimmer für sich und ihre Kinder und organisiert ihr Leben selbständig. Es gibt einen Plan, der festlegt, wer die Gemeinschaftsküche putzt, wer den Flur reinigt und wer sich um den Garten kümmert. Feste Regeln und Strukturen, auch diese Dinge sind für manche der Frauen neu.

"Ich habe so viel gelernt", sagt die ehemalige Bewohnerin. Vieles davon hat sie danach in ihren Alltag übernommen. In gewisser Weise ist sie im Frauenhaus erwachsen geworden. Sie hat angefangen, über ihre Zukunft nachzudenken. "Viele fangen ganz von vorne an", sagt Melanie Schauer. Manche haben keine Ausbildung gemacht und waren finanziell von ihrem Partner abhängig. Nun müssen sie überlegen, was sie aus ihrem Leben machen wollen.

Aber auch hochqualifizierte Frauen landen im Frauenhaus, wie die Verwaltungswissenschaftlerin aus Pakistan, deren Masterabschluss in Deutschland nicht anerkannt wurde. Sie entschloss sich zu einer neuen Ausbildung als pharmazeutisch-technische Assistentin. Und dann gibt es jene, die zurückgehen. Zurück zu ihrem Partner, zurück in ein Leben, das wohl noch mehr Gewalt mit sich bringt. Im vergangenen Jahr fällte jede dritte Frau diese Entscheidung. Umgekehrt kommen allerdings viele Frauen auch wieder ins Haus zurück.

Viele Frauen bleiben, weil sie keine Wohnung finden

Im Durchschnitt bleiben die Bewohnerinnen ein halbes Jahr, manchmal aber auch viel länger, bei der Frau in dieser Geschichte waren es zweieinhalb Jahre. Das hat mit der Wohnungssuche zu tun. Die sei noch schwieriger geworden, seit Sozialwohnungen über das Onlineportal Sowon vergeben werden, sagt Schauer. "Seit dem Herbst haben wir keine einzige Frau in eine Wohnung gebracht." Weil viele Frauen mit dem Portal nicht zurecht kämen, müssten sich die Beraterinnen mit ihnen durch Wohnungsanzeigen klicken. "Die Zeit fehlt für die psychosoziale Beratung." Zudem seien die Frauen von der Punktzahl her schlechter gestellt als Menschen, die aus der Wohnungslosenhilfe kommen.

Als die Frau, deren Geschichte hier erzählt wird, schließlich ein Wohnungsangebot bekam, konnte sie es kaum fassen. Es war der Start in ein neues Leben. Ihren B1-Deutschkurs hat sie mit Höchstpunktzahl bestanden. Im Mai steht die nächste Prüfung an, im September will sie eine Ausbildung zur Arzthelferin beginnen.

Sie hat so viel erzählt, die kleine Tochter ist ungeduldig geworden. Sie will raus und schaukeln, auf dem Spielplatz nebenan. Das Mädchen setzt sich also auf die Schaukel. Anschubsen. Höher will sie, immer höher und höher. Bis sie plötzlich ruft: "Oh Mama, ich fall runter!" Nein, sagt die Mutter, ich bin doch hier. "Hast du Angst?" Nein, sagt die Tochter. Und sie lacht.

Die Frauenhilfe München ist rund um die Uhr unter der Telefonnummer 089/354830 erreichbar.

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