Süddeutsche Zeitung

Frauengefängnis in München:"Unter Frauen gibt es viel mehr Intrigen"

In Stadelheim ist ein Gefängnis für weibliche Häftlinge eröffnet worden. Gerichtsgutachterin Hanna Ziegert über Frauen im Knast.

Stephan Handel

Die bayerische Justizministerin Beate Merk hat am Dienstag das neue Frauengefängnis in Stadelheim eröffnet. Es löst die alte JVA am Neudeck ab. 160 Haftplätze stehen zur Verfügung, außerdem 60 Plätze für jugendliche Arrestanten. Zehn Plätze sind für Frauen mit kleinen Kindern reserviert. Im Juni werden die ersten Insassen umziehen. Die Süddeutsche Zeitung sprach mit der Psychiaterin und erfahrenen Gerichtsgutachterin Hanna Ziegert über Gefängnisarchitektur und Frauen im Knast.

SZ: Wer erträgt einen Freiheitsentzug besser: Frauen oder Männer?

Ziegert: Nach meiner Erfahrung ist der Frauenvollzug für alle Beteiligten sehr viel anstrengender. Unter Frauen gibt es sehr viel mehr Intrigen und Rivalität. In Männer-JVAs gibt es einen strengen Moralkodex, der mit dem Leben in Freiheit nichts zu tun hat. Bei Frauen ist so etwas nicht zu beobachten. Außerdem herrscht bei den Männern eine strenge Hierarchie, tatabhängig: Da steht der Mörder ganz oben, der Sexualtäter auf unterster Stufe. Dem in der Hierarchie Hochstehenden werden dann zum Beispiel andere Häftlinge als Sexpartner zugeführt, dafür werden sie von ihm beschützt und gelegentlich auch bezahlt. Dass es diese sogenannte "Intra-Moral" - also die Moral im Knast im Gegensatz zur "Extra-Moral" außerhalb - unter Frauen nicht gibt, hat Vor- und Nachteile: Zum einen macht es die Organisation im Vollzug natürlich schwieriger, weil alles unberechenbarer ist. Zum anderen aber bleiben die Frauen während ihrer Haftzeit meistens stabiler und sind hinterher auch leichter wieder in die Gesellschaft integrierbar.

SZ: Welchen Einfluss hat denn die Architektur eines Gefängnisses auf die gruppendynamischen Prozesse zwischen den Insassen?

Ziegert: Ich denke schon, dass die Gestaltung Einfluss auf die Stimmung hat. Man darf nicht vergessen, dass das vorherrschende Gefühl im Gefängnis Paranoia ist - und zwar nicht nur unter den Gefangenen, auch unter den Bediensteten: Jeder begegnet dem anderen mit Misstrauen, achtet auf eventuelle Ungerechtigkeiten, fühlt sich schnell benachteiligt. Je mehr nun die Gestaltung der Räume, der Gebäude an das Leben draußen erinnert, desto eher werden auch Teile der "Extra-Moral" erhalten bleiben und im täglichen Leben zum Tragen kommen.

SZ: Wie wichtig sind Rückzugsräume für die Gefangenen?

Ziegert: Das ist zweischneidig. Man weiß etwa von den Sicherungsverwahrten in Straubing, dass unter ihnen eine starke Tendenz besteht, sich zurückzuziehen und passiv-resignativ zu verharren. Sicher ist es wichtig, auch mal für sich alleine sein zu können. Aber ebenso werden Gelegenheiten gut angenommen, mit anderen etwas zu tun - zum Beispiel eine Kochmöglichkeit, wo sich die Häftlinge selbst ihr Essen zubereiten können. Die Anstaltsverpflegung ist meistens nicht so besonders, es gibt also eine Belohnung, es hat etwas mit Autarkie, mit Selbständigkeit zu tun, selbst für seine Nahrung zu sorgen, und man ist mit anderen zusammen.

SZ: Im neuen Gefängnis gibt es zehn Plätze für Frauen mit kleinen Kindern - allerdings bleiben die nur bis zum Alter von drei Jahren dort, denn dann, so die Anstaltsleitung, würden sie wahrnehmen, wo sie da sind. Mit drei kommen sie in eine Pflegefamilie oder in ein Heim. Ist das richtig?

Ziegert: Das ist Quatsch. Einem Kind ist doch die Umgebung egal, solange es nur bei der Mutter ist. Wichtig ist, dass die Mutter Hilfe bekommt - man darf nicht vergessen, dass diese Frauen erheblich gestört, dass sie überhaupt nicht fähig sind, Mutter zu sein. Die wissen zum Teil nicht einmal, dass man ein Baby regelmäßig füttern muss. Wenn sie da keine Unterstützung von erfahrenen Pädagogen bekommen, züchten wir die nächste Generation von psychisch Gestörten heran.

SZ: Man sieht dem neuen Gebäude von außen nicht an, dass es ein Gefängnis ist: keine hohen Mauern, kein Stacheldraht. Wie sinnvoll ist das für die Insassen?

Ziegert: Das ist mit Sicherheit wichtig und sinnvoll. Eine Haftstrafe beinhaltet ja sowieso schon eine extreme Stigmatisierung, eine Infantilisierung und Regression der Betroffenen. Alles, was das mildert, was den Unterschied zwischen drinnen und draußen kleiner macht, erleichtert später die Reintegration und die Resozialisierung.

SZ: Volkes Stimme aber meint oft, Delinquenten sollten es ruhig zu spüren bekommen, dass sie im Gefängnis sind und bestraft werden.

Ziegert: Volkes Stimme juckt mich nicht. Wir müssen dahin kommen, Delinquenz als Störung zu betrachten - eine Störung, zu der wir, die Gesellschaft, beitragen, indem wir zum Beispiel Mütter nicht ausreichend unterstützen. Also sollten wir den Gefängnisinsassen helfen, sie gesünder machen. Wenn wir sie schon bestrafen.

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Quelle:
SZ vom 27.05.2009
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