Französische Münchner vor der Wahl:"Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen"

Die Franzosen an der Isar haben sich schon im ersten Wahlgang eindeutig für den Mitte-Kandidaten Emmanuel Macron entschieden. Die Angst vor einem Sieg Marine Le Pens in der Stichwahl ist groß

Von Jean-Marie Magro

Vor Kurzem nahm Stéphanie Mercier an der zweitägigen Aufnahmeprüfung der Deutschen Journalistenschule teil. Während des Umtrunks am ersten Abend verabschiedete sich jemand mit den Worten "Viel Glück", woraufhin Mercier sagte: "Wünsch das nicht allen, da bleibt kaum was für mich übrig." Kurze Verwirrung im Raum. "Das war ein Spaß", sagte sie und wäre am liebsten im Boden versunken. Der französische Humor wird in Deutschland nicht immer verstanden.

Die 23-Jährige ist französische Staatsbürgerin, in Wien geboren, in München aufgewachsen. Der Vater Franzose, die Mutter Saarländerin. Sie ist eine von 12 545 wahlberechtigten Franzosen aus München und der Region. Ginge es nur nach ihnen, wäre der junge Politstar Emmanuel Macron bereits französischer Präsident. Der unabhängige Kandidat hatte beim ersten Wahlgang am 23. April in der Landeshauptstadt mit 57,3 Prozent schon die absolute Mehrheit. Die Wahlbeteiligung war im Vergleich zur Wahl vor fünf Jahren um fast ein Drittel gestiegen. Das zeigt: Es geht um viel. Auch in München gibt es Wähler des Front National, doch es sind vergleichsweise wenige. Lediglich 267 haben im ersten Durchgang Marine Le Pen gewählt.

11 003 Franzosen waren laut offizieller Statistik zum 31. Dezember vergangenen Jahres in der Stadt gemeldet. Philippe Moreau, Konsularrat der Franzosen in Süddeutschland, sagt: "Die Mehrheit der Franzosen fühlt sich wohl in München. Sie finden die Stadt teuer, aber sehr lebenswert." Viele arbeiten bei großen Arbeitgebern, beim Europäischen Patentamt, am Forschungszentrum in Garching, bei Airbus oder anderen Konzernen.

Die Sorge, dass die rechte Kandidatin Marine Le Pen die Wahl gewinnen könnte, beschäftigt viele. Auch wenn Macron als Favorit in die Stichwahl geht, sicher fühlen sich die wenigsten: "Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen. Leider", sagt Stéphanie Mercier. Dem schließt sich Dorothée Jacquot-Weber an: "Ich habe Angst", sagt die ehemalige Französischlehrerin, die seit 30 Jahren in München lebt. Jacquot-Weber spürt, dass sich viel verändert hat seit 2002, als Marines Vater Jean-Marie Le Pen in die Stichwahl gegen Jacques Chirac einzog: "Damals haben fast alle gesagt: Jean-Marie Le Pen als Präsident? Niemals! Heute antworten selbst Linke auf die Frage: Marine Le Pen als Präsidentin? Na und?" Sie ist deshalb hoch motiviert, wählen zu gehen. Sich enthalten hieße, dem Front National seine Stimme geben: "C'est juste pas possible!" Das Zusammenwachsen Europas, eine gemeinsame, europäische Identität ist ihr ein großes Anliegen, ja fast schon eine Lebensaufgabe.

Das sehen auch andere Franzosen so. Sonntagnachmittag, die "Pulse of Europe"-Demo auf dem Max-Joseph-Platz löst sich gerade auf. Ein junger Student bricht auf, in seiner Rechten trägt er ein Schild in blau, weiß, rot. "Wenn Frankreich aus der EU aussteigt, kann man diese vergessen", sagt Joël Gautier. Er studiert Geschichte und Politik an der LMU. Wählen darf er nicht. Er ist Schweizer, sein Vater Franzose. Der französische Pass ist beantragt, aber noch nicht genehmigt. Trotzdem setzt er sich ein: "Europa ist die Zukunft!", sagt er überzeugt.

Ein paar Meter weiter: Eine blonde Frau mit einer Frankreichflagge als Umhang über den Schultern steht neben einem Mann, der als Umhang eine Europafahne trägt. "Ich bin französische Patriotin, mein Mann ist Deutscher und Patriot. Dennoch sind wir beide Europäer", sagt Virginie Médard. Sie hat ihren Mann Marco während eines Erasmus-Semesters kennengelernt. Nun lebt sie hier seit 16 Jahren. "Ich hoffe, dass wir irgendwann neben dem deutschen und französischen auch einen europäischen Pass haben werden."

Das ist auch der Traum von Aude Creveau. Auf der Internetseite vivreamunich.com gibt sie Franzosen Tipps zum Leben in München. Creveau, 39, zog vor acht Jahren in die Landeshauptstadt. Sie war die französische Meckerei leid. Ursprünglich stammt sie aus der Picardie, der Region, die durch den Film "Willkommen bei den Sch'tis" auch in Deutschland bekannt wurde. Doch genau hier, im französischen Norden, ist Marine Le Pen mit am erfolgreichsten. Creveau, die im ersten Wahlgang den Kandidaten der konservativen Partei, François Fillon, gewählt hat, wollte ihre Mutter überreden, ihre Stimme in der Stichwahl Macron zu geben. "Ich kann keinen Linken wählen", sagte diese. "Maman", sagte Creveau also, "dann leugnest du die Staatsbürgerschaft deines Enkels." Ob das Argument half, verrät sie nicht.

"Die Franzosen hier leben Europa jeden Tag. Sie fragen sich, was ein Ausstieg bedeuten würde. Hier wird diese Diskussion sehr viel konkreter", sagt Stéphane Wakeford. Er ist einer derer, die für Macrons Bewegung En Marche (EM) den Wahlkampf in München bestritten haben. Der 30-Jährige stammt aus einer kleinen Ortschaft in der Normandie, in der Nähe des Mont Saint-Michel. Wakeford ist Absolvent der Eliteschulen Sciences Po und HEC, Consultant bei der Allianz. Auf Veranstaltungen von EM referiert er in grauem T-Shirt mit großer Sicherheit über das ökonomische Programm Macrons. Überflieger wie er werden in Frankreich als "Elite" beschimpft. "Ich verstehe das", sagt er. "Das französische Bildungssystem ist sehr selektiv, viel ungleicher als das deutsche." Andererseits: "Wegen dieses Systems bin ich hier." Wakeford kommt aus einfachen Familienverhältnissen. Er erhielt während seines Studiums ein staatliches Stipendium. Deshalb konnte er an diesen Schulen lernen, ein Auslandssemester in München einlegen, sich hier niederlassen.

Auch Stéphanie Mercier, die angehende Journalistin, teilt die Befürchtungen ihrer Landsleute: "Aus Le Pens Sicht bin ich keine Französin. Ich habe dort zwar studiert, bin aber weder in Frankreich geboren noch lebe ich dort." Wird sie ihren Pass abgeben, falls die Kandidatin des Front National gegen alle Erwartungen gewinnen sollte? Sie schaut entgeistert. "Ich bin Deutsche und Französin. Das ist meine Identität."

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