Franz Marc Museum Kochel:"Ich denke in meinen Bildern"

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Das jüngste Werk Karin Kneffels zeigt den großen Ausstellungsraum des Marc Museums mit all seinen Details einschließlich des Chagalls, der in der Ausstellung im Original als Leihgabe neben Kneffels Bild hängt. (Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

Die Malerin Karin Kneffel spürt in der Ausstellung "Im Bild" dem Verbleib einer Expressionismus-Sammlung nach - und verknüpft die Erkundungstour mit einer Reflexion über die Wahrnehmung von Bildern.

Von Sabine Reithmaier, Kochel

Schauen, denken, den Geist öffnen, mit den Gemälden reden. Auf keinen Fall in ihnen versinken oder sich gar überwältigt fühlen. Karin Kneffel beschreibt exakt, wie sie sich den idealen Betrachter ihrer Kunst vorstellt. "Ich denke in meinen Bildern, also soll er sich damit auseinandersetzen, was ich gedacht habe." Klingt nach Anstrengung, doch die Auseinandersetzung mit den Denkräumen der Malerin ist eine sehr kurzweilige Angelegenheit. In dem grandios gemalten Verwirrspiel, das sie derzeit im Kochler Franz Marc Museum bietet, verbindet sie spielerisch eine malerische Erkundungstour in die Geschichte von Bildern mit einer Reflexion über deren Wahrnehmung.

Das ungewöhnliche Konzept, das Karin Kneffel in der Ausstellung "Im Bild" umsetzt, hat eine lange Vorgeschichte. Sie beginnt 2009, als Martin Hentschel, der damalige Leiter der Kunstmuseen Krefeld, Kneffel zu einer Ausstellung bittet und die Einladung mit einer Bedingung verknüpft: Ihre Gemälde sollen sich auf das Ausstellungsgebäude "Haus Lange Haus Esters" beziehen. Ludwig Mies van der Rohe hatte die zwei Wohnhäuser, beide heute Teil der Kunstmuseen, in den Jahren 1927 bis 1930 für die befreundeten Seidenfabrikanten Hermann Lange und Josef Esters im Bauhausstil gebaut. Kneffel beginnt sich mit den Villen zu beschäftigen, ist fasziniert von dem noch vorhandenen Wohncharakter der Räume, deren Inneneinrichtung ebenfalls Mies van der Rohe und seine Partnerin, die Architektin und Designerin Lilly Reich, geprägt haben. Freilich ist die Möblierung der Räume nur auf einer Handvoll Schwarzweiß-Fotos aus dem Jahr 1930 dokumentiert. Kneffel entwickelt mit "Haus am Stadtrand" einen ersten Gemäldezyklus, geht auf die Geschichte der Villa als Wohnhaus ein. Erst Jahre später fällt ihr auf, dass auf den historischen Aufnahmen auch Gemälde und Skulpturen zu sehen sind. "Und ich fragte mich, warum ich als Malerin nie darauf geachtet hatte", sagt Kneffel in Kochel.

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Hermann Lange besaß eine herausragende Expressionisten-Sammlung, die heute weit verstreut ist. Doch die meisten Gemälde sind auf den alten Fotos nur schlecht oder gar nicht zu erkennen. Kneffel malt in einem ersten Schritt die unscharfen Flächen einschließlich ihrer Umgebung als Grisaillen, also in Grau-Tönen, markiert das Bild mit kräftigen roten Pinselstrichen und macht sich auf die Suche nach dessen Geschichte. Fachleute fragt sie nicht, "ich wollte sehen, wie weit ich selbst komme". Manche Werke sind einfach zu identifizieren, Ernst Ludwig Kirchners Straßenszene "Potsdamer Platz" zum Beispiel, die früher in der Langeschen Wohnhalle hing und heute in der Berliner Nationalgalerie zu sehen ist. Auch Lehmbrucks Skulpturen "Die Badende" und "Sich Umwendende", die in der Wohnhalle einst Marc Chagalls "Hommage a Apollinaire" rahmten, erkennt sie leicht, heute sind sie im Lehmbruck Museum in Duisburg. Viel mehr Schwierigkeiten macht ihr Oskar Kokoschkas "Sommer I", den sie im Dresdner Albertinum findet.

Die Funde gleichen Leuchtkästen

Ihre Funde verarbeitet sie doppelt: Malt zum einen die von ihr aufgespürten Werke an ihren neuen Standorten. Die Lehmbruck-Figuren beispielsweise vor dem blau schimmernden, gläsernen Innenhof-Kubus des Museums, dessen Wände in Kneffels Version gerade mit viel schlierendem Seifenschaum geputzt werden. Zum anderen malt sie die Werke an ihrem ursprünglichen Ort, setzt sie wie Leuchtkästen in die Räume des Hauses Lange ein. Ganz klar ist der Blick auf die Exponate freilich nie. Mit Dunst beschlagene Glasscheiben, über die Wassertropfen perlen, oder schräg gestellte Jalousien erlauben zwar den Blick in einen Raum, geben ihm aber gleichzeitig etwas Heimliches, Verbotenes, Voyeuristisches. Diese Sichtbarrieren seien anfangs aus der Not geboren gewesen, sagt Kneffel. Sie wollte die Schwarzweiß-Fotos nicht einfach kolorieren. "Ich weiß nicht, welche Farbe die Vorhänge oder der Teppich hatten." Die Glasscheiben boten ihr die Möglichkeit, die Einrichtung in ein farbiges Licht zu tauchen, mit Spiegelungen und anderen Effekten zu spielen. "Irgendwann fand ich sie auch als Kommentar zum Bild gut, sie halten den Betrachter auf Abstand und lassen ihn über seine eigene Position nachdenken."

In den Museen begnügt sie sich mit Fotografieren. Auch im Franz Marc Museum, in dem letzteres verboten ist. Aber da ihr Mann geschickt die Ablenkung der Aufsicht übernahm, gelang es ihr, August Mackes "Große Promenade", Kirchners "Zwei Tänzerinnen" und Wassily Kandinskys "Improvisation 21" abzulichten. Das riesige Gemälde, das die Bilder in genau jener Präsentation zeigt, die Kneffel seinerzeit im Museum vorfand, empfängt die Besucher der Ausstellung, begleitet von den Originalgemälden.

"Ich male gegenständlich"

Auf die Frage, wie sie ihren Stil bezeichnen würde - Fotorealismus, Realismus oder Illusionismus - hat sie eine einfache Antwort: "Dem Taxifahrer sage ich immer, ich male gegenständlich." Kneffel, 1957 in Marl bei Recklinghausen geboren und einst Meisterschülerin von Gerhard Richter an der Kunstakademie Düsseldorf, unterrichtet seit 2008 an der Akademie der Bildenden Künste in München. Manchmal vereint sie ihren Lehrer und ihre Studierenden sogar in einem Bild, etwa wenn sie letztere malt, während sie Richters berühmtes "Betty"-Bild bei einem Ausstellungsbesuch intensiv begutachten.

Teil der Kneffel-Ausstellung ist auch Marc Chagalls "Der heilige Droschkenkutscher". (Foto: bpk/Städel Museum)

Marc Chagalls "Heiliger Droschkenkutscher" (1911) hatte seinen Platz im Esszimmer der Familie Lange. Kneffel belebt in ihrer Fassung das Interieur mit Pflanzen, auf dem gedeckten Tisch wartet ein Kuchen. Im Bild, das das Frankfurter Städel zeigt, wo der Droschkenkutscher sich heute auf dem Kopf hängend befindet - genau andersherum wie im Haus Lange -, rahmt Kneffel ihn mit zwei Skulpturen, rechts Picassos Büste von Marie Theres Walter, links Otto Freundlichs "Ascension" (Aufstieg). Und noch in einem dritten Bild taucht er auf, das den großen Ausstellungsraum des Marc Museums mit all seinen Details zeigt: Boden, Lampen, das große Fenster mit dem Ausblick ins Grüne, die aparten Sessel - alles perfekt wiedergeben einschließlich des Chagalls, der im Original als Leihgabe unmittelbar neben Kneffels jüngstem Werk hängt.

Die Malerin selbst hat durch das Projekt ihre Sympathie für die Expressionisten wieder entdeckt, die sie in der Schulzeit verloren hatte. "Durch die permanente Präsenz der Drucke in jedem Klassenzimmer waren sie für mich totgesehen." Mit der Folge, dass sie in Museen um Expressionismus-Abteilungen einen weiten Bogen machte. Die Beschäftigung mit der ehemaligen Sammlung Lange hat diesen Zustand beendet. "Jetzt sehe ich die Bilder neu und kann wieder hingucken."

Karin Kneffel. Im Bild, bis 3.10., Franz Marc Museum , Kochel am See. Zur Ausstellung ist ein Katalog bei Schirmer / Mosel erschienen. Preis: 39 Euro (Museumsausgabe 29,80 Euro)

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