Das Votum des Oberbürgermeisters war unmissverständlich: Ein neues Grünwalder Stadion für den TSV 1860 München wird es nicht geben. Zu wackelig sei die Finanzierung, zu groß seien die Hürden wie Baurecht und Lärmschutz. Franz Maget, Vizepräsident des Vereins, will dennoch nicht aufgeben. Er ist sich sicher, dass die Allianz-Arena den Sechzigern sportlich wie finanziell schadet. Und er ist verärgert über die fehlende Sensibilität des Stadtrats.
SZ: Herr Maget, seit der Ablehnung der Stadionpläne durch die Stadt kommen die Löwenfans nicht zur Ruhe. Bei den jüngsten Spielen im Fröttmaninger Stadion konzentrierten sie sich mehr auf den Protest denn aufs Spiel. Ein Ende der Debatte scheint nicht in Sicht.
Maget: Für die Vereinsführung stehen der sportliche Erfolg und die wirtschaftliche Stabilisierung natürlich im Vordergrund. Die Stadionfrage kommt dazu, denn jeder Verein, der sich erfolgreich platzieren will, hat gerne ein eigenes Stadion mit eigener Identität. Dass wir das an der Grünwalder Straße nicht verwirklichen konnten, hat verständlicherweise bei vielen Fans eine große Enttäuschung ausgelöst. Die Wunde ist ja noch ganz frisch. Jetzt kamen noch zwei schlechte Spiele dazu - der Schmerz wird dadurch noch größer, und der Ruf nach einem eigenen Stadion hat dann fast schon eine Ersatzfunktion, um die Unzufriedenheit auszudrücken.
SZ: Wie kann man die Wunde heilen? Allein durch den sportlichen Erfolg?
Maget: Wir feiern in diesem Jahr die 150-jährige Geschichte des Vereins, und die ist voll von Höhen und sehr vielen Tiefen. Der Schlüssel liegt beim sportlichen Management. Ich denke, dass die Vereinsführung gut gearbeitet hat in den letzten Monaten. Wir haben mittlerweile eine große Geschlossenheit - ein Pluspunkt. Das Präsidium ist vor wenigen Tagen einstimmig vom Aufsichtsrat wieder benannt worden, das hätte es früher nicht gegeben. Jetzt geht es darum, den Kader zu verstärken und die nächste Saison in Ruhe planen.
SZ: Der sportliche Erfolg ist das eine. Das andere ist die Identität eines Klubs, in dem sich Spieler wie Mitglieder und Fans zu Hause fühlen. Wie wollen Sie denn Identität schaffen?
Maget: Man wird die Debatte um ein eigenes Stadion am liebsten an der Grünwalder Straße nie ganz loswerden. Das muss man verstehen. Ich persönlich gebe das Ziel, ein eigenes Stadion zu realisieren, nicht auf. Wir haben einen Rückschlag erlitten, der viele nicht überrascht hat. Das ändert aber nichts an der Enttäuschung. Immerhin haben wir ein wichtiges Ziel erreicht: Das Stadion bleibt bestehen, es wird sogar durch eine Investition der Stadt dauerhaft gesichert. Wir werden hellwach bleiben, und es wird einen Tag geben, an dem wir das Thema wieder aufnehmen.
SZ: Die Sechziger-Seele wird sich nie in Fröttmaning wohlfühlen?
Maget: Die Allianz-Arena ist ein tolles Stadion - für den FC Bayern. Sie ist geeignet für die Champions League, sie ist gut fürs Netzwerken der großen Unternehmen, die die Logen füllen und ihre VIP-Besucher beglücken können. Für die Sechziger ist sie vor allem eines: zu groß und viel zu teuer. Sie ist eine seelenlose Fußballmaschine und leider kein soziokulturelles Ereignis.
SZ: Der Löwenfan braucht das Gesamterlebnis Fußball?
Maget: Genau. Und dazu gehören der Anmarsch zum Stadion - und das Bier hinterher sowieso. In der Arena hat man nur 90 Minuten Fußball und irgendwo in der Pause einen Bockwurststand.
SZ: Ist ein Neubau an einer anderen Stelle in der Stadt für Sie denkbar?
Maget: Wir haben die Arena, das Olympiastadion, die Grünwalder Straße. Ein viertes Stadion auf der grünen Wiese - das sehe ich im Augenblick nicht. Übrigens sind wir derzeit auch wirtschaftlich gar nicht in der Lage, solche Pläne ernsthaft zu verfolgen.
SZ: Das war auch der Knackpunkt beim städtischen Nein zu den Plänen der Stadionkommission der Sechziger.
Maget: Ich gebe zu: Ohne Unterstützung und Begleitung durch die öffentliche Hand, sei es in Form von Bürgerschaften oder der Übernahme von Kosten bei der Erschließung, wäre ein solches Projekt im Augenblick nicht zu schaffen.
SZ: Die Vorzeichen für eine wirtschaftliche Konsolidierung sind nicht gerade gut. Erstens gehen die Zuschauerzahlen in der zweiten Liga zurück, und zweitens bluten die Sechziger durch den Arena-Vertrag förmlich aus. Sie müssen jährlich fünf Millionen Euro Miete berappen.
Maget: Auf Dauer können wir uns die Arena in der Tat nicht leisten. Man muss uns hier auch mit der Liga-Konkurrenz vergleichen. Wir zahlen am meisten von allen, und das schmälert unsere Möglichkeiten, in den Kader zu investieren. Damit beißt sich die Katze in den Schwanz. Die Konditionen unseres Mietvertrags müssen deshalb zwingend besser werden, sonst bluten wir in der Tat aus.
SZ: Ein Streit über die Pachtbedingungen läuft ja derzeit vor Gericht.
Maget: Nachdem der FC Bayern nicht über die Konditionen sprechen will, waren wir gezwungen, den Gerichtsweg zu suchen. Eines unserer Argumente, die Monopolsituation des FC Bayern, wird dabei eine entscheidende Rolle spielen.
SZ: Ist für Sie eine Rückkehr ins Olympiastadion denkbar?
Maget: Wir prüfen auch diese Variante, weil wir alles tun müssen, um die Kosten für den Spielbetrieb zu senken. Allerdings steht dem der Vertrag zwischen Stadt und Stadion GmbH entgegen, wonach im Olympiastadion kein Profifußball mehr stattfinden darf.
SZ: Ihre Machbarkeitsstudie Grünwalder Stadion ist als nicht machbar abqualifiziert worden. War das eine politisch motivierte Entscheidung?
Maget: Es war eine Entscheidung, die die Stadt anhand der planungsrechtlichen Vorgaben getroffen hat. Das habe ich verstanden. Was mich allerdings geärgert hat, war, dass der Hintergrund unserer Bemühungen nicht wirklich verstanden worden ist. Der Hinweis, wir hätten ja ein Stadion mit der Allianz-Arena, verkennt die Erfordernisse des Fußballs. Die Situation, dass wir beim örtlichen Konkurrenten zur Miete untergebracht sind, gibt es in keiner anderen Stadt in Europa. Und natürlich besteht auch ein Zusammenhang zwischen Stadion und sportlichem Erfolg. Heimstärke resultiert oft auch darin, dass man sich stark präsentiert. Sie müssen nur mal auf den Betzenberg fahren. Da ist eine Atmosphäre, die wir in der Arena nicht herstellen können, obwohl wir tolle Fans haben, die eine bessere Stimmung bringen als dreimal so viele Besucher bei Bayern.
SZ: Nur wollte der Verein unter Wildmoser selbst in die Fröttmaninger Arena.
Maget: Richtig. Und ich sage offen, dass das gemeinsame Projekt mit dem FC Bayern ein Fehler war. Das Stadion ist uns viel zu groß. Wir werden dort nie Identität herstellen können. Dass das von der Stadt nicht verstanden und das Thema Grünwalder Straße eher als Spinnerei abgetan wird, hat mich enttäuscht.
SZ: Das Wohl oder Wehe der Planungen zum Grünwalder Stadion hat die Lokalbaukommission an der Frage Umbau oder Neubau festgemacht. Letztlich ist das aber im Baurecht eine Ermessensfrage. Alles also nur vorgeschoben?
Maget: Natürlich wollte die Stadt endlich Ruhe in dieser Frage haben. Wir müssen akzeptieren: Es ist ein städtisches Stadion, und die Stadt hat als Eigentümerin andere Pläne. Es gibt einen einstimmigen Stadtratsbeschluss, es gibt die Bereitschaft, dort Millionen für die dritte Liga zu investieren, deshalb muss ich der Stadt auch zugestehen, dass sie ihren eigenen Weg weiter verfolgt.
SZ: Entscheidend war, dass die Stadt für die Sechziger kein finanzielles Risiko eingehen wollte. Der Stadtkämmerer sagte zudem, eine Bürgschaft für den Verein sei rein rechtlich nicht zulässig.
Maget: Es gibt das EU-Wettbewerbsrecht. 1860 ist, was den Profifußball betrifft, ein Wirtschaftsunternehmen, und die direkte Förderung unterliegt dem europäischen Beihilferecht. Dieses Problem wäre aber lösbar gewesen. Der Fußball funktioniert europaweit nirgends ohne öffentliche Unterstützung. Für das Frankenstadion sind staatliche Mittel aufgewendet worden, Augsburg hat für die Impuls-Arena einen Zuschuss bekommen, auch die Allianz-Arena ist mit einem erheblichen öffentlichen Aufwand erschlossen worden. Es gibt bisher keinen mir bekannten Fall, bei dem die EU die Förderung des Fußballs angegriffen hätte. Im Wissen um seine gesellschaftliche Bedeutung. Und für München hat eben auch 1860 eine große Bedeutung.
SZ: Sie wollten die Bürgschaft, um bessere Konditionen am Kreditmarkt zu bekommen?
Maget: Das war unser Vorschlag. Ohne Bürgschaften der öffentlichen Hand ist kein derartiges Projekt darstellbar.
SZ: Fürchtete Ude ein Millionengrab?
Maget: Ude sieht schlichtweg nicht die Notwendigkeit für ein weiteres Stadion...
SZ: ... obwohl er angeblich ...
Maget: ... Sechziger-Fan ist ...
SZ: ... dann ist er kein echter.
Maget: In den Augen einiger ist das die Gretchenfrage. Und deswegen ist die Enttäuschung bei vielen Fans über Christian Ude so groß. Weil sie glauben, wenn er nur gewollt hätte, dann wäre es gegangen. Aber das stimmt natürlich so nicht. Es ist nicht eine Entscheidung des Oberbürgermeisters, sondern eine ganz klare städtische Linie. Sie steht auf dem Standpunkt, dass Infrastruktur für den Fußball ausreichend vorhanden ist. Die Notwendigkeit, die aus unserer Sicht für die Zukunftssicherung des Vereins besteht, wird leider vom gesamten Stadtrat so nicht gesehen.
SZ: Es ist an der Zeit, dass auch von Seiten des Vereins ein deutliches Signal ausgeht: Wir schauen jetzt nach vorn! Nur - wo ist das: vorn?
Maget: Wir müssen das Thema Grünwalder Straße jetzt ruhen lassen. Wir haben alles probiert, um uns doch noch eine Chance zu eröffnen. Damit sind wir gescheitert. Das Positive: Der Verein ist so geschlossen wie noch nie zuvor. Und wenn wir uns Jahr für Jahr wirtschaftlich erholen, können wir die Stadionfrage aus einer stärkeren Position heraus noch mal angreifen. Wir sind immerhin von den Mitgliederzahlen her einer der größten Vereine Deutschlands. Wir schlagen dabei manche Konkurrenten aus der ersten Liga um Längen. Und wir sind ein Verein mit Herz und Ausstrahlung. Den FC Bayern respektiert man, Sechzig wird geliebt. Dieses Potential müssen wir jetzt abrufen.