Süddeutsche Zeitung

Frank Ocean in München:Beschwörung des Nichtvollzuges

R'n'B ist gerade das aufregendste Genre der Popmusik - und Frank Ocean einer seiner wichtigsten Protagonisten. Bei seinem einzigen Deutschland-Konzert in München verweigert sich der junge Künstler der Ekstase. Und lässt doch keinen unbefriedigt zurück.

Von Sebastian Gierke

Ein alter BMW, wohl aus den Achtzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts. Gelb, tiefer gelegt, breite Reifen, getönte Heckscheibe. Das Auto fährt in Zeitlupe über eine gewaltige Ebene, eine Wüste vielleicht oder ein Salzsee, im Hintergrund die dunkle Silhouette einer Bergkette. Auf einer großen Videoleinwand ist dieses hypnotische Bild fast eineinhalb Stunden lang zu sehen. Ein kaum wahrnehmbarer Loop von wenigen Sekunden lässt das Auto immer geradeaus fahren. Und fahren. Und fahren. Ohne dass es jemals irgendwo ankommt.

Frank Ocean, der aus New Orleans stammt und in Los Angeles mit dem Hip-Hop-Kollektiv Odd Future bekannt wurde, ist Fan der Bayerischen Motorenwerke. Er besitzt mehrere klassische Modelle des Autobauers und lässt sie immer wieder auf Plattencovern oder in Videos auftauchen. Auch deshalb begeht der gefeierte Neo-R'n'B-Künstler den Auftakt seiner Europatour in der Münchner BMW-Welt. Es ist sein einziges Konzert in Deutschland.

Das Auto, es gleitet - Frank Ocean auch

Die Reifen des BMWs auf der Leinwand wirbeln nur ganz wenig Staub auf. Die Piste, auf der das Auto unterwegs ist: völlig glatt, eben. Das Auto, es gleitet.

Das Gefühl des Gleitens bestimmt auch das Konzert von Frank Ocean. Er ist keiner, der auf der Bühne aus sich herausgeht, er ist das Gegenteil eines exaltierten Bühnenstars. "Ich liebe Dich", sagt er irgendwann. Ein Mädchen aus der ersten Reihe hat ihm die Worte zugerufen. Ocean wollte wissen, was "I love you" auf Deutsch heißt. Jetzt schaut er seinen Worten hinterher, als würde er ihnen selbst nicht ganz trauen. Der 24-Jährige ist ein Geschichtenerzähler. Und am liebsten wäre es ihm, wenn er auch auf der Bühne hinter seinen Geschichten der Verzweiflung, der Liebe und der Sehnsucht verschwinden könnte.

Der Sound in der BMW-Welt ist überwältigend, seine sechsköpfige Liveband fantastisch. Am Bühnenrand schleicht Ocean hin und her, er trägt ein weites, mit psychedelischen Muster bedrucktes T-Shirt, sein Oberkörper meist nach vorne gebeugt, in der einen Hand das Mikrophon, die andere oft schüchtern hinter dem Rücken. Ocean erlaubt sich keine überspannten, überschwänglichen Gesten, trotzdem beeindruckt seine Präsenz. Mit oft geschlossen Augen konzentriert er sich auf sein Falsett. Die Stimme ist perfekt, glänzt samtig.

Im Leben handelt Ocean so, wie man es von einem Künstler seines Genres nicht unbedingt erwartet. Sein Coming-Out im vergangenen Jahr sorgte im immer noch von den dämlichsten Homophobikern bevölkerten Hip-Hop-Betrieb für großes Aufsehen. Und auch musikalisch überrascht Ocean ständig, er hält sich an kaum eine Pop-Konvention.

Die Melodiebögen seiner Songs verlaufen immer anders als man glaubt, Ocean spielt mit Brüchen und scheinbar nicht zusammen passenden Versatzstücken. Manchmal laufen die Melodien einfach ins Leere. Der 25-Jährige inszeniert auch auf der Bühne musikalisches Forschen, gibt sich nicht mit einfachen, standardisierten Schemata zufrieden. Es geht ihm um den Bruch der Regel - genau im Augenblick ihrer Etablierung.

In München beweist er damit, dass R'n'B im Moment das aufregendste Genre der Popmusik ist - mit ihm selbst als einem der wichtigsten Protagonisten. Das futuristische, polierte Glitzern, das das 2012er-Album "Channel Orange" schon jetzt zu einem der besten des noch jungen Jahrzehnts macht, das bringt Ocean auch auf die Bühne.

Die Palme brennt. Und brennt. Und brennt

Dabei gehorchen Popkonzerte eigentlich einer simplen Dramaturgie, an deren Ende im Optimalfall Publikum und Künstler gemeinsam zum Höhepunkt kommen. Frank Ocean geht es dagegen um die ständige Erregung ohne Erfüllung, die musikalische Beschwörung des Nichtvollzuges. Zwar steigert er die Energie den gesamten Abend über, so lange, bis die Explosion eigentlich unausweichlich ist.

Während des knapp zehnminütigen "Pyramids "zum Beispiel, diesem gewaltigen Song über die Schönheit Kleopatras und einer Stripperin in einem Las-Vegas-Nachtclub. Als in der Mitte des Liedes die Töne eines ungeheuer treibenden, eingängigen Bass-Breaks durch den Raum pulsieren, werfen die Fans - fast erleichtert - ihre Arme in die Luft. Doch nach nur wenigen Sekunden setzt schon wieder ein ruhiger Beat ein.

Der Ekstase verweigert sich Ocean. Und trotzdem: Unbefriedigt lässt er keinen zurück. Das Konzert ist ein ständiger wunderbarer Aufbruch. Auf der Leinwand ist der BMW verschwunden, eine brennende Palme ist nun zu erkennen. Wird sie jetzt kurz, heftig aufflammen - und dann in sich zusammenfallen? Nein. Die Palme, sie brennt. Und brennt. Und brennt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1706043
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
Süddeutsche.de/tba
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.