Fraktionschefs:Ihr Job: Integration

Referentenwahlen im Münchner Rathaus, 2016

73 von 80 Münchner Stadträten gehören einer Fraktion an. Das hat einige handfeste Vorteile für die politische Arbeit im Rathaus.

(Foto: Florian Peljak)

Wer eine Fraktion führt, muss Mehrheiten organisieren können und thematischer Universalexperte sein

Von Heiner Effen, Dominik Hutter

So schnell erreicht man höhere Weihen: Ob denn der Fraktionschef im Hause sei, lautete kürzlich die Frage am Telefon der CSU-Geschäftsstelle. Hans Podiuk wurde dringend gebraucht, als oberster Mann im Rathaus. Diese Position muss stets besetzt sein. Wenn der Oberbürgermeister im Urlaub und beide Stellvertreter verhindert sind, wechselt der Stab zur Nummer vier, das ist der Sprecher der Fraktion mit den meisten Stimmen. Seit der Kommunalwahl 2014 heißt der Hans Podiuk. Der CSU-Stadtrat war bereits im Büro, und schon bald machte der Spruch vom "Bürgermeister für einen Tag" die Runde. Bürgermeister Hans Podiuk.

Es gibt Stadträte und Ober-Stadträte im Münchner Rathaus. Ober-Stadträte, das sind die Fraktionschefs, von denen derzeit sechs am Marienplatz tätig sind: Hans Podiuk (CSU), Alexander Reissl (SPD), Gülseren Demirel und Florian Roth (Doppelspitze der Grünen), Johann Altmann (Bürgerliche Mitte) sowie Michael Mattar (FTB). Mindestens vier Mitglieder und ein gemeinsames politisches Ziel muss eine Fraktion haben, Einzelkämpfer und Mini-Gruppierungen fallen nicht darunter. 73 der 80 Münchner Stadträte sind Mitglieder in Fraktionen.

Deren Chefs, die zumeist alle zwei Jahre gewählt werden, haben eine herausgehobene Position in der Kommunalpolitik. Nahezu alles, was in der eigenen Fraktion passiert, läuft über ihren Schreibtisch. Der übrigens allein schon ein Privileg darstellt, da die meisten Stadträte sich Räume mit den Kollegen teilen müssen. Eine 40-Stunden-Woche habe ein Fraktionschef auf jeden Fall, sagt Reissl. Sitzungen, Vorbesprechungen, Treffen, Repräsentationstermine, Bürgerversammlungen - Reissl ist etwa vier bis fünf Abende pro Woche im Namen des Rathauses unterwegs. Mal als Vertretung der Stadtspitze (der SPD-Fraktionschef ist intern die Nummer fünf), mal als Vertreter des Stadtrats oder der SPD.

Eigentlich ist das ein Vollzeitjob. Stadtrat ist aber als Ehrenamt konzipiert, die meisten Fraktionschefs haben "nebenbei" noch einen Beruf auszuüben. Reissl etwa arbeitet bei der Stadtsparkasse, er muss sich regelmäßig von seinen dortigen Aufgaben freistellen lassen. Bis zur Hälfte seiner regulären Arbeitszeit darf er sich im Interesse der Kommunalpolitik abmelden. Der 69-jährige Podiuk ist schon im Ruhestand, er kommt daher fast täglich in sein Rathausbüro. 5072 Euro verdient ein Fraktionschef, plus Sitzungsgelder. Das ist zwar deutlich weniger als ein Landtagsabgeordneter, aber eben auch fast das Doppelte eines "normalen" Stadtrats.

Dafür müssen die Ober-Stadträte aber auch über alles Wichtige auf dem Laufenden sein, auf sämtlichen Themenfeldern. Sie gelten als die Garanten der Fraktionsdisziplin, also des gemeinsamen Abstimmens. Dafür sind der regelmäßige Kontakt mit den anderen Stadträten sowie zahllose Gespräche unverzichtbar. Ein Vorsitzender sollte wissen, was er seiner Fraktion zumuten kann. Wo sie vielleicht Bauchschmerzen hat und wo es schwierig werden kann, eine Mehrheit zu organisieren. Tanzt jemand spektakulär aus der Reihe, fällt das oft auf den Fraktionschef zurück.

Für die Chefs der beiden großen Fraktionen beginnt eine normale Sitzungswoche am Montag mit einem Besprechungsmarathon. Den Anfang machen die Treffen der Fraktionsvorstände. Unter der Leitung des Vorsitzenden, der auch die Tagesordnung gestaltet, werden die Eckpunkte der Woche vorbesprochen. Es folgt die Mittagsrunde beim Oberbürgermeister, gefolgt von der sogenannten Kooperationsrunde. Dort treffen die Spitzen von CSU und SPD ihre Absprachen. Um 14 Uhr beginnen dann jeweils die Fraktionssitzungen. Dort müssen die Chefs ihren Stadträten oft Kompromisse verkaufen, die niemand gut findet. Eine hohe Integrationskraft ist gefragt, um alle Unzufriedenen wieder einzufangen.

Diese mühsame Aufgabe der Regierungsfraktionen würden die Grünen-Sprecher Gülseren Demirel und Florian Roth nur zu gerne wieder auf sich nehmen. Sie erleben nun seit zwei Jahren, dass ein haariger Kompromiss immer noch besser ist, als gar nicht mehr im innersten Zirkel der Macht gefragt zu sein. "Man muss mehr nach außen wirken", erklärt Roth seine Rolle in der Opposition. Also versuchen, über öffentlichen Druck politische Ideen voranzubringen. Die Leitlinien dafür erarbeiteten die Sprecher, anschließend würden ihre Vorschläge mit der Fraktion offen diskutieren, sagt Roth. Das Abstimmungsergebnis sei im Gegensatz zu mancher großen Partei offen, sagt Roth. Wenn nötig, stimmen Demirel und er Entscheidungen dann auch mit der Landtagsfraktion und der Partei ab. Auch hierfür gibt es regelmäßige Treffen. Wie bei allen anderen Fraktionen auch sind die Fraktionssprecher zudem Mitglied des Ältestenrats der Stadt, in dem grundsätzliche Fragen, ins besondere zur Geschäftsordnung, parteiübergreifend vorberaten werden.

Für die Fraktion für Freiheitsrechte, Transparenz und Bürgerbeteiligung (FTB) nimmt an diesen Sitzungen Michael Mattar (FDP) teil. Er ist Sprecher einer Patchwork-Fraktion aus FDP, Piraten und der Gruppierung Hut. Da ist es noch schwieriger, alle auf eine gemeinsame Linie zu bringen. Meist scheitert das in der großen Politik, etwa bei TTIP. Kommt es in der Stadt zum Beispiel in der Wohnungspolitik zu unüberbrückbaren Differenzen, stimmt die Fraktion auch mal gespalten ab. "Das darf jedoch nicht ausarten, sonst fällt die Fraktion auseinander", sagt Mattar.

Über das politische Tagesgeschäft hinaus sind die Sprecher aber auch für die Verwaltung ihrer Fraktion verantwortlich. Sechs Mitarbeiter zählt zum Beispiel die Grünen-Fraktion, darunter sind eine Geschäftsleiterin, ein Pressesprecher und politische Zuarbeiter, die sich in Fachthemen wie Stadtplanung, Umwelt oder Verkehr intensiv einarbeiten. Jede Fraktion erhält dafür von der Stadt einen jährlichen Sockelbetrag von 14 437 Euro. Für jeden Stadtrat kommen nochmals 2625 Euro dazu. Personalkosten werden zusätzlich übernommen, je nach Stärke der Fraktion.

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