Fotografien von München:Das Geheimnis dieser Stadt

Der Fotograf Dimitri Soulas lichtete München zwischen 1968 und der Disco-Ära ab. Was wir sehen, ist toll: zum Beispiel die Gegenwart.

Andrian Kreye

Der Unterschied zwischen einem guten und einem brillanten Fotografen ist nicht leicht zu erklären. An den Bildern, die Dimitri Soulas Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre in München aufgenommen hat, kann man allerdings gut zeigen, dass es nicht reicht, das richtige Motiv im richtigen Augenblick zu fotografieren.

Sondern dass man in diesem Augenblick den entscheidenden Bruchteil einer Sekunde finden muss, der aus einem guten ein grandioses Foto macht. Das Bild von den Schwabinger Hippies, die sich auf der Leopoldstraße über die Dame im Rosenkleid lustig machen, ist so brillant, weil sich das Spannungsfeld zwischen jugendlichem Pöbel und bürgerlichem Popanz so sympathisch in Wohlgefallen auflöst. Letztlich ist sich auf diesem Bild keiner ernsthaft böse - auch wenn durch die Gesellschaft ein massiver Bruch ging.

So aber kam Dimitri Soulas mit seinen Fotos dem Geheimnis Münchens auf den Grund.

Dieses Geheimnis Münchens ist eigentlich bis heute ganz einfach: raushalten. Bloß kein zu großer Ernst. Wenn sich das elegante Paris, das königliche London oder das prollige Berlin mal wieder so richtig als Weltstädte aufspielen, wenn alle nach New York, Schanghai und Dubai schauen: nur nicht nervös werden.

Sie kommen ja doch alle wieder. Das war schon immer so. Das wird auch immer so sein. Auffällig ist dabei, dass die Hochzeiten der Stadt München immer wieder in historisch aufregende Zeiten fallen. Ende des 19. Jahrhunderts, als der preußische Nationalstaat und die industrielle Revolution das Land und die Welt umkrempelten, fanden all die Künstler zusammen, nach denen heute die Münchner Straßen benannt sind - und dann noch einmal zu Beginn des nächsten Jahrhunderts, als nach dem Ersten Weltkrieg die Experimente begannen, die Räterepublik nach drei Wochen scheiterte und München wieder zum Magnet für Künstler, Freigeister und Verrückte wurde.

Bodenständiger Bajuwarismus und entspanntes Laisser-faire

Auch 1968 war so ein Katalysator. In Berlin und Frankfurt tobte der Kampf gegen das System mit ideologischer Härte. In München wurde demonstriert, aber Verbissenheit war den Studenten hier fremd. "Zur Demo sind schon alle", erinnert sich Soulas. "Aber danach haben sie sich auf die Straße gesetzt und haben Musik gemacht oder sind in ein Café gegangen."

Das Geheimnis dieser Stadt

Gleichzeitig entdeckte der Jetset die Olympiastadt in spe, die Film- und Popstars, die Reichen, Schönen und Klugen. In München fanden sie diese unwiderstehliche Mischung aus anachronistischem Barock und modernem Luxus, aus bodenständigem Bajuwarismus und entspanntem Laisser-faire, und auch Glamour und Politik waren in München nie ein Widerspruch.

Das erzählt letztlich auch die Geschichte von Dimitri Soulas. Der kam 1959 als Student aus Thessaloniki nach Frankfurt. Für Volkswirtschaft war er eingeschrieben, aber nebenher besuchte er die Vorlesungen von Adorno, Horkheimer, Marcuse. Die Frankfurter Schule prägte sein politisches Bewusstsein. Als er dann in München einen gutdotierten Job bei der amerikanischen United Fruit Company bekam, gründete er 1967 nach der Machtergreifung der Militärjunta mit anderen Exilanten die "Gesamtgriechische Antidiktatorische Union".

Davon bekam das königlich-griechische Generalkonsulat Wind. Der Handelsattaché schritt ein. Soulas' Arbeitgeber versuchte ihn zum Austritt zu bewegen, ihn nach Bremen zu versetzen, degradierte ihn vom Prokuristen zum Obstpacker. Dann wurde er gekündigt. Ein halbes Jahresgehalt und eine Abfindung von 2500 Mark erstritt sich Soulas vor dem Arbeitsgericht. Davon kaufte er sich eine Kameraausrüstung.

Er begann als Paparazzo. "Wann immer ein Star wie Brigitte Bardot in München ankam, fuhr ich sofort zum Flughafen oder zum Bahnhof", erzählt er. Es war nicht leicht, sich als Fotoreporter zu etablieren. Heute tut er es als "Glück" ab, dass er schon bald für die Nachrichtenagentur AP und die neugegründete Boulevardzeitung tz fotografierte.

Soulas hatte mit seinem Blick für die Komik des Alltags und seinem politischen Gespür eine Bildsprache gefunden, die perfekt in die Zeit passte.Es war eine Bildsprache, die auch die Amerikaner Garry Winogrand und Lee Friedlander, der Schweizer Robert Frank und der Deutsche Thomas Hoepker gefunden hatten.

Als die Militärjunta 1974 stürzte, kehrte Dimitri Soulas in seine griechische Heimat zurück. Das Fotografieren ließ er bald bleiben. Er verkaufte und fabrizierte Brettspiele. So blieb sein Archiv von rund zehntausend Negativen ein abgeschlossenes Werk, das er vor vier Jahren dem Fotomuseum im Münchner Stadtmuseum vermachte. Dort sind die Fotos des heute Siebzigjährigen nun vom 29. April an bis Ende Juli zu sehen.

Straßencafé und weiß-blauer Himmel, so leicht kann das Leben sein

Es mag Zufall sein, dass Dimitri Soulas' Bilder gerade jetzt so viel über München erzählen. Wieder einmal funktioniert das Geheimnis von München so wunderbar, dass es die Welt an die Isar zieht. Wieder einmal finden hier die Reichen, Schönen und Klugen Zuflucht vor den Umwälzungen im Rest der Welt.

Das Geheimnis dieser Stadt

München ist teuer geworden. Aber mit genügend Geld spürt man hier nichts von der Finanzkrise, hier macht einem die digitale Revolution keine Angst. Hier kann man modern sein, ohne sich mit der Moderne auseinanderzusetzen. Hier kann man in einer großen Stadt leben, ohne sich dem Wahnsinn einer Großstadt auszusetzen.

Es war Der Spiegel, der 1964 das Schlagwort von München als heimlicher Hauptstadt prägte. Heute sind es die internationalen Magazine und Zeitungen, die München gleich zur lebenswertesten Stadt der Welt erklären. Als Münchner begreift man das meist erst, wenn man Gäste hat. Aus London, Paris oder New York, aus all jenen Städten also, die man um ihre Urbanität beneidet.

Die sitzen dann mit einem im Straßencafé, seufzen sehnsüchtig in den weiß-blauen Himmel. So leicht kann das Leben also sein. Das Leben in einer Stadt, in der man sich vor dem Lauf der Geschichte verstecken kann, ohne ihn gleich aus den Augen zu verlieren, in der es scheinbar um nichts geht, und in der doch alles möglich ist.

"München war immer anders", sagt Dimitri Soulas, als er von jener letzten großen Zeit erzählt. "Hinter dieser netten Fassade war München immer progressiver, offener, toleranter als die ganzen anderen deutschen Städte." Als Soulas 1974 die Stadt verließ, setzte München gerade zu einem neuen Höhepunkt an. 1974 kamen die Rolling Stones nach München, um in den Musicland Studios im Untergeschoss des Arabella-Hauses ihr Album "It's Only Rock and Roll" aufzunehmen.

Bald folgten Led Zeppelin, Queen und Elton John. Giorgio Moroder erfand die Discomusik. In den Bavaria Studios drehte Billy Wilder mit Henry Fonda und Hildegard Knef. Dann verschwand München wieder in den Dunst der Provinz. "München ist im Moment der heiße Ort", titelte die New York Times letzten Sonntag. Im Moment - denn festhalten wird München daran auch diesmal nicht.

Auch das gehört zum Geheimnis unserer Stadt.

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